Rheinfelden Lisa Dittrich ist 36 Jahre alt, Max Reichl 29, beide sind berufstätig – und machen in wenigen Wochen ihr Abitur. Sie besuchen das Abendgymnasium an der Volkshochschule (VHS) Rheinfelden. Was sie zu diesem zweiten Bildungsweg geführt hat, erzählten sie in einem Pressegespräch, an dem auch VHS-Leiterin Veronika Plank und Lehrer Danny Stoll teilnahmen.

Das Abendgymnasium wendet sich als „Ersatzschule“, wie Plank es formulierte, an Erwachsene ab 18 Jahren, die einen mittleren Bildungsabschluss, eine Berufsausbildung oder eine zweijährige Berufstätigkeit vorweisen können. Drei Jahre lang lernen die Schüler von Montag bis Freitag jeden Abend bis zu vier Stunden, um die allgemeine Hochschulreife zu erlangen.

Viele Abbrecher

Wie Plank sagt, gebe es eine relativ „hohe Quote“ an Abbrechern, denen entweder die Inhalte zu schwierig oder die Belastung neben der Arbeit zu hoch seien. Es gebe aber auch etliche Beispiele von Absolventen, die nach zwei Jahren mit der fachgebundenen Hochschulreife abgehen und mit dieser die Möglichkeit haben, zu studieren. Im Schnitt sind diejenigen, die sich für ein Abitur am Abend entscheiden, zwischen Anfang 20 und Ende 30 Jahre alt. „Wir hatten aber auch schon eine Teilnehmerin mit über 60 Jahren“, berichtet Plank. Da das Rheinfelder Abendgymnasium das einzige zwischen Lörrach und Konstanz ist, kommen die Lernenden aus einem großen Einzugsbereich, aus dem Wiesental, Hotzenwald und „die ganze Hochrheinschiene entlang“. Auch Lisa Dittrich und Max Reichl haben im Erwachsenenalter drei Jahre intensiven Lernens für das Abitur auf sich genommen. Sie ist gelernte Erzieherin und hat im Laufe der beruflichen Karriere gemerkt, dass sie sich noch einmal umorientieren möchte, sagte Lisa Dittrich. So habe sie sich entschlossen, das Abitur zu machen und danach auf Lehramt zu studieren. „Die Eigenmotivation und das Ziel vor Augen, das man sich gesetzt hat“, das habe sie über diese drei anstrengenden Jahre durchhalten lassen. „Es gibt schon Abende, an denen man die Zähne zusammenbeißen muss, weil man müde und erschöpft von der Arbeit ist“, räumt Dittrich ein. „Aber man reißt sich zusammen. Die Klassengemeinschaft und die Lehrpersonen unterstützen und motivieren einen immer wieder.“

Hausaufgaben würden meist an den Wochenenden erledigt oder während des Zeitpuffers zwischen Arbeit und Abendgymnasium. Sicher gebe es auch „Ärger, Tränen, Zweifel“, weiß Lisa Dittrich. Freundeskreis, Familie, Freizeitbeschäftigung, Hobbys kämen in der Zeit zu kurz, „aber es ist ja nur für eine begrenzte Zeit, und es lohnt sich, weil man weiß, was man erreichen möchte“.

So ähnlich empfindet es auch Max Reichl aus Waldshut-Tiengen, der zuvor schon die Abendrealschule besucht hat. Weil er sich in seinem Job unzufrieden gefühlt habe, entschied er sich für das Abendgymnasium. Nach dem Abitur will er für ein Jahr eine Sprachschule in Japan absolvieren und dann später Maschinenbau oder Elektromaschinenbau studieren.

Der Lernstoff am Abendgymnasium sei derselbe wie an den Tagesgymnasien, erklärt Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer Danny Stoll, der seit zehn Jahren am Abendgymnasium unterrichtet. „Allerdings können wir aus zeitlichen Gründen nicht den gesamten Fächerkanon abdecken wie an den Tagesgymnasien.“ Unterrichtet werden als Hauptfächer Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache, als Nebenfächer Geschichte, Physik, Biologie, aber auch Wahlfächer wie zum Beispiel Philosophie, Wirtschaftskunde oder Geografie. „Die künstlerischen Fächer Musik und Kunst, Sport und Religion fallen allerdings weg“, erklärt Stoll.

Das Unterrichten am Abendgymnasium sei ein ganz anderes als an Tagesgymnasien, beschreibt es der 37-jährige Pädagoge. Für ihn sei es wie „Wellness-Unterricht“, ähnlich wie im Idealfall an einer Uni: Kleine Klassen, motivierte Schülerinnen und Schüler. „Die wollen da sein, das spürt man in jedem Unterricht“, sagt Danny Stoll. Von Lehrerseite her sei es „ein Vergnügen“, mit Erwachsenen auf Augenhöhe zu arbeiten, die eine andere Lebenserfahrung, einen anderen Horizont, eine andere Ausdrucksweise und ein größeres Vokabular mitbrächten als etwa ein 14- oder 17-Jähriger. In den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern merke er, dass in der Klasse „mehr an politisch-historischem Bewusstsein“ da sei.

An der VHS arbeiten 17 Lehrer für Abendrealschule und Abendgymnasium. Jede Klasse hat im Haus ihr eigenes Klassenzimmer. Die Abiturprüfungen legen die Schüler nach den Osterferien im Georg-Büchner-Gymnasium ab, zusammen mit den anderen Gymnasiasten. Der Abiturschnitt, so Danny Stoll, sei bei den Absolventen des Abendgymnasiums sogar meist besser als am örtlichen Gymnasium. Einen Abi-Ball gibt es an der VHS zwar nicht, dafür einen Abi-Hock mit Bewirtung Anfang Juli.