Am heutigen Dienstag diskutieren Bund und Länder über eine Verschärfung und Verlängerung des Corona-Lockdown. Das Ziel: Die Kontakte der Menschen im beruflichen und privaten Bereich weiter einschränken, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Eine Gruppe, die dabei wenig Aufmerksamkeit erfährt, sind Erzieherinnen. Die Kita-Leiterinnen Martina Rückert und Constanze Selzer-Schilm aus Rheinfelden fordern von der Politik einen klaren Fahrplan und mehr Schutz für ihre Mitarbeiterinnen. Von Eltern wünschen sie sich mehr Solidarität.

Wenn es für die Leiterinnen sowie ihre Kolleginnen Stephanie Franco und Jennifer Grasso ein Reizwort gibt, so ist das „Notbetreuung“: Wer keine andere Möglichkeit hat, sein Kind betreuen zu können, hat Anspruch auf einen Platz in der Kita. Was das aber für die Einrichtungen und die Mitarbeiter bedeutet, findet in der Öffentlichkeit kaum Erwähnung. „Viele von uns haben seit Wochen überhaupt keinen Kontakt zu ihren Verwandten und haben auch die Feiertag alleine verbracht, weil sie Angst haben, etwas in die eigenen Familien zu tragen“, erzählt Martina Rückert.
Der Leiterin der Kita St. Josef sind der Frust und die Belastung der vergangenen Monate deutlich anzuhören: Hygienepläne erstellen, Masken beschaffen, Kontakte nachverfolgen, Mitarbeiter motivieren und nebenbei pädagogisch arbeiten. „Die gesamte Organisation ruht auf den Schultern der Einrichtungen.“ Auch die Last, Entscheidungen zu treffen und diese zu verantworten. „Hätte, könnte, sollte – das sind Formulierungen aus den Verordnungen.“
Wie genau ein pandemie-konformer Ablauf einer Betreuung aussehen soll, das sage ihr keiner. „Wir wurschteln alle vor uns hin und von überall her prasselt es auf uns ein“, beschreibt Rückert. Allein Dienstpläne aufzustellen, sei eine Herausforderung. „Die Gruppen dürfen nicht gemischt werden, die Mitarbeiter auch nicht.“ Zum Fachkräftemangel geselle sich so noch ein Mangel an Einsatzmöglichkeiten der verbliebenen Kräfte. Aktuell besuchen neun Kinder die Einrichtung, Rückert erwartet mit der Verlängerung des Lockdowns jedoch steigende Zahlen.
Zahlen, wie sie die Kita St. Michael längst hat. „Wir machen keine Notbetreuung. Wir leisten pädagogische Arbeit unter erschwerten Bedingungen“, stellt die 37-jährige Constanze Selzer-Schilm klar, die seit fünf Jahren die katholische Kita leitet. 55 Kinder werden derzeit betreut, das ist rund die Hälfte aller Kinder.
Und das, obwohl es nicht alle Eltern nötig hätten, wie Erzieherin Jennifer Grasso weiß. Neulich habe sie im Morgenkreis den Kindern in ihrer Gruppe erklärt, warum sie nur so wenige seien. „Ich habe gesagt: Ihr seid hier, weil eure Eltern arbeiten.“ Daraufhin habe sich das erste Kind gemeldet und berichtet, dass die Mama gar nicht arbeiten gehe, weil sie ein Baby bekommen habe, das zweite Kind berichtete genau das gleiche. „Ein Junge meinte, Mama sei zwar arbeiten, Papa aber daheim.“
Verständnis und Frust
Wer bei seinem Arbeitgeber als unabkömmlich gilt, hat Anspruch auf einen Betreuungsplatz – egal, ob er einen präsenzpflichtigen Beruf hat oder im Homeoffice arbeitet. „Man will den Arbeitnehmern nicht zumuten, neben der Arbeit noch die Kinder zu versorgen.“ Das verstehen die Erzieherinnen – und doch ist es die Ungleichbehandlung, die schwer auszuhalten ist. „Alle reden von Homeoffice, um die Mitarbeiter zu schützen. Aber was ist mit uns?“, fragt Selzer-Schilm.
Schutz für Erzieher angemahnt
Rückert findet drastische Worte: „Uns stopfen sie die Einrichtungen voll.“ Die Anträge auf einen Betreuungsplatz aus dem ersten Lockdown im Frühjahr gelten ungeprüft weiter. Das bestätigt auf Nachfrage auch Armin Zimmermann, Leiter des Amtes für Familie, Jugend und Senioren. „Man wollte das Verfahren für die Eltern so niederschwellig wie möglich halten.“ Auch die maximale Belegungsquote von 50 Prozent pro Einrichtung ist laut Zimmermann vom Tisch. Volle Kitas also? Wer das wolle, so die Erzieherinnen, müsse für ausreichend Schutz der Mitarbeiter sorgen. Zum Beispiel durch eine Impfung? „Bei der Kategorisierung war sehr lange immer nur von Lehrern die Rede, bis sich unsere Gewerkschaft stark gemacht hat“, sagt Rückert. Jetzt ist das Kita-Personal mit auf dem dritten Rang.
Praxistaugliche Regeln gefordert
Auch wären klare Vorgaben nötig, die sich in der Praxis umsetzen lassen. Ein Beispiel, wie das nicht geht: Toiletten nach Gruppen aufteilen. „Wenn ein Dreijähriger muss, dann muss er und rennt“, sagt Stephanie Franco, die seit 25 Jahren in der Kita St. Josef arbeitet. Bei der Arbeit mit den Kindern trägt sie, wie auch die übrigen Erzieherinnen, keine Maske, denn Kinder müssten die Mimik sehen. „Für die Kinder ist das alles ja verstörend genug.“ Auch Abstand halten ist nicht möglich. „Wir nehmen die Kinder nach wie vor auf den Schoß, trösten sie“, so Franco.
Die mögliche Lösung
In dieser Blase, so erleben es Grasso und Franco, erscheine die Arbeit fast normal. „Tagsüber bin ich ohne Maske von vielen Kindern umgeben. Aber abends, wenn ich heimkomme und mein Vater klingelt, überlege ich, ob ich ihn reinlasse“, sagt Grasso. Für ihre Chefin Selzer-Schilm kann eine Lösung eigentlich nur in der erneuten Einschränkung des Betriebs bestehen. „Plätze für Angehörige systemrelevanter Berufe. Da kann man dahinter stehen.“ Doch aus der Politik sind hierzu bislang keine Signale zu vernehmen. So warten Rückert und ihre Kolleginnen weiter. Auf ein Signal der Wertschätzung. Und darauf, dass jemand die Verantwortung übernimmt.