Wohl keine Abtgestalt des rund 1000-jährigen Benediktinerklosters St. Blasien gibt so viel Deutungs- und Interpretationsstoff auf wie Fürstabt Martin Gerbert, dessen 300. Geburtstag in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie nicht ausladend gefeiert werden kann. Martin Gerbert bleibt auch eine kirchliche Persönlichkeit, die gelegentlich immer noch Rätsel aufgibt oder zumindest unterschiedliche Erklärungsversuche auslöst.
Auch wenn gelegentlich noch andere Zeitangaben im Umlauf sind, das Datum seiner Geburt dürfte unstrittig sein: In der Festschrift „200 Jahre Kloster- und Pfarrkirche“ (1983) hat ein Verwandter und überzeugender Erforscher des Fürstabts, der damalige Dekan Martin Steim, in seinem Beitrag über die Herkunft und die Familie des Fürstabts dargelegt, dass laut Taufbucheintrag der spätere blasianische Fürstabt am 11. August 1720 geboren und einen Tag später, wie damals üblich war, getauft wurde.
Wäre dieser Martin II. – am 15. Oktober 1764 mit 44 Jahren zum 46. Abt und zum vierten Fürstabt gewählt und am 13. Mai 1793 an einer versteckten Brustentzündung und Ansatz von Wassersucht gestorben – nicht so eine faszinierende, das Normalmaß weit übersteigende, herausfordernde und vermeintlich widersprüchliche Persönlichkeit gewesen, er hätte wohl kaum 300 Jahre im Gedächtnis der Menschen überlebt als höchst interessanter Kirchenfürst und Stoff für die Wissenschaft verschiedener Disziplinen.
Im Verhältnis zu Kirche und Papst erwies er sich als strenger und konservativer Befolger der Lehre und als treuer Diener im Gehorsam – und nutzte doch viele Gelegenheiten, von seinem freien Geist Gebrauch zu machen, ohne die theologischen Grundlagen zu verlassen. Ohne das geringste Zögern hatte er mit evangelischen Christen (unter anderen mit Professor Schöpflin und dem Bibliothekar Lamey in Straßburg) literarische Briefe ausgetauscht und echte Freundschaften geknüpft, die er durch die konfessionelle Verschiedenheit nicht trüben ließ.
Sein Entsetzen über das Verbot der Jesuiten 1773, seine deutschen Kirchentexte als Gegengewicht zu den sehr oft unverstandenen lateinischen, seine moderne, wenn auch mit ordentlichen Strafen belegte Verwaltung des St. Blasier „Klosterstaates“ und der Bonndorfer Grafschaft und die eigenen Wege beim Dombau ab 1771 sind nur wenige Beispiele für einen Klostermann, der gedanklich und in der aktiven Umsetzung seiner Zeit weit vorauseilte.
Rund 80 Jahre nach dem Tod des Fürstabts veröffentlichte Joseph Bader in der Verlagshandlung Herder in Freiburg eine historische Würdigung des bedeutendsten Klostervorstehers der Abtei St. Blasien. Der Autor Bader, dessen Arbeit noch heute weitgehend gültig und auch recht lesenswert ist, kommt durch die Berichte vieler fürstäbtlicher Zeitzeugen zu diesen Bewertungen: „Ausgezeichneter Gelehrter, aufgeklärter, gebildeter Geist, ehrenfester, gewissenhafter, humaner und liebenswürdiger Charakter“. Das sind keine Gefälligkeitsschreiben und unangemessene Schwärmerei, sondern das Ergebnis einer langen wissenschaftlichen Beschäftigung mit einer kirchlichen Persönlichkeit, die alle, die ihm begegneten, in ihren Bann zog.
Das Denkmal
In der Nachbarstadt Bonndorf, die der 1609/1612 durch das Kloster St. Blasien erworbenen Grafschaft den Namen gab, steht seit 1856 ein Ganzkörperdenkmal des Landesherrn und gewiss auch des blasianischen Klostervorstehers. Gut sechs Jahrzehnte nach dem Tod des Fürstabts waren keine Untertänigkeit und auch kein Wohldienen angezeigt. Selbst wenn eine leichte Obrigkeitsverehrung noch mitschwingen mag, behält die Widmung des Denkmals in der Gesamtwürdigung des 300-jährigen Jubilars doch ihren Stellenwert: „Dem geistvollen Gerbert weihen dieses Denkmal – damit das Gedächtnis seines segensreichen Waltens wie in seinen Werken so auch im Volksmunde lebe – die dankbaren Gemeinden des Amtsbezirkes Bonndorf.“
Und tatsächlich – dieser viele heutigen Menschen immer wieder ansprechende Fürstabt Martin Gerbert lebt in seinen wissenschaftlichen, literarischen, politischen und baulichen Werken und im Volksbewusstsein weiter. Und er wird über eine lange voraussehbare Zeit die interessierte Nachwelt von den unterschiedlichsten Ansätzen her beschäftigen.