Die medizinische Versorgung im ländlichen Raum wird inzwischen auch von den Politikern in Berlin als große Herausforderung der Zukunft gesehen. Während einige Gemeinden längst mit sogenannten „Ärztehäusern“ eine Antwort auf den Ärztenotstand geben, gibt es im östlichen Landkreis ein kleines Städtchen, für das „Ärztemangel“ bisher kein Thema ist. Stühlingen darf mit seinem Krankenhaus, dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ), einer Hausarztpraxis, zwei Zahnärzten, Praxen für Psychotherapie und Psychologie sowie der Hans Carossa Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin mit Fug und Recht als „Stadt der Mediziner“ bezeichnet werden. Wir sprachen mit Peter Fischer, Geschäftsführer des Gesundheitsverbunds und Sprecher der Geschäftsführung sowie mit Chefarzt Christian Saurer.

- Welchen Nutzen bringt das MVZ? Das Krankenhaus in Stühlingen gehört zum Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz und vereint Klinikstandorte und Gesundheitseinrichtungen in Singen, Konstanz, Radolfzell, Engen, Stühlingen und Gailingen. Die medizinische Grundversorgung der Menschen in der Region Stühlingen soll am MVZ sichergestellt werden.
- Welche Leistungen werden angeboten? Das MVZ ist mit fest angestellten, niedergelassenen Ärzten allgemeinmedizinisch und in der Frauenheilkunde fachärztlich ambulant tätig. Der Verbund besetzt die Stellen, auch Teilzeitstellen für Ärzte seien so möglich. „Für die nächsten zehn Jahre kann ich sagen, dass dies gewährleistet ist, ansonsten würde in dieser Region eine Versorgungsengpass entstehen“, sagt Peter Fischer. Die Bedeutung des MVZ steige und die enge Verzahnung mit dem Krankenhaus habe große Vorteile. Fischer betont, dass es keine Pläne gebe, am MVZ-Angebote zu streichen. Gerüchten, die ambulante Gynäkologie werde geschlossen, tritt er entschieden entgegen: „MVZ und Krankenhaus werden weder reduziert noch geschlossen!“
- Ersetzt das MVZ den Hausarzt? „Nein“, sagt Peter Fischer. „Hausärzte und MVZ ergänzen sich.“ Das MVZ sei keine Konkurrenz zu den Allgemeinmedizinern. Christian Sauerer ergänzt: „Es gibt immer weniger Hausärzte, da wird das MVZ für die Grundversorgung der Menschen immer wichtiger.“ Zur Behandlung brauchen Patienten für den Allgemeinmediziner im MVZ keine Überweisung vom Hausarzt, für die fachärztlichen Bereiche aber schon.
- Wie funktioniert die Zusammenarbeit von MVZ mit dem Krankenhaus? „Diese Zusammenarbeit ist ideal, das geht Hand in Hand, wir stehen mit Rat und Tat zur Verfügung, der fachliche Austausch ist schnell möglich“, so Chefarzt Christian Saurer. Er verweist auf die Vorteile im Klinikverbund: „Wenn wir hier im Krankenhaus nicht weiterkommen, können wir Patienten an hoch spezialisierte Kliniken im Klinikverbund übergeben. Zudem sind wir mit dem Klinikum in Singen eng vernetzt und tauschen uns regelmäßig aus. Stühlingen ist im Verbund integriert.“
- Wer kann sich behandeln lassen? Vom Kassenpatienten über Privatpatienten bis zum Selbstzahler kann jeder die Leistungen von MVZ und Krankenhaus Stühlingen in Anspruch nehmen. „Organisatorisch sind wir ein Haus mit dem Krankenhaus in Singen“, erläutert Fischer. Die Versorgung über die Kreisgrenzen hinweg sei kein Problem.
- Wie steht es um die Zukunft des Krankenhauses Stühlingen und des MVZ? „Es gibt keinen Anlass, sich darüber Gedanken zu machen“, sagt der Geschäftsführer des Gesundheitsverbunds. Er macht allerdings die Einschränkung: „Wenn das vom Landkreis geplante Zentralkrankenhaus östlich von Waldshut gebaut wird, müssen wir über den Standort Stühlingen reden.“
Versorgung in Stühlingen
- Hausarztpraxis: Dr. Med. Peter Haarmann und Stefanie Kau.
- Zahnärzte: Mikael Ebbesen sowie Dr. Andrea und Dr. Johannes Esser.
- Hans Carossa Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin.
- Psychotherapie: Dr. Ingeborg Kerscher-Habbaba sowie Diplom-Psychologin Dörte Eickhoff.
- Apotheke in der Unterstadt.
Rezepte gegen den Ärztemangel
Die medizinische Versorgung sowie ein potenzieller Ärztemangel im ländlichen Raum ist immer wieder Thema, auch in der Politik. Stühlingens Bürgermeister Joachim Burger sieht eine Lösung dieses Problems in einer Weiterbildung der Mediziner vor Ort. Im Interview spricht der Rathauschef über seine Vorstellungen und Ideen.
Herr Burger, warum gehen Sie gerade jetzt in die Offensive bezüglich der ärztlichen Versorgung in Stühlingen?
Viele Gemeinden bauen derzeit Ärztehäuser um Anreize für Mediziner zu schaffen. Es ist deshalb an der Zeit aufzuzeigen, wie es mit der medizinischen Versorgung in Stühlingen aussieht und welche Fragestellungen sich auftun. Aus den gewonnenen Erkenntnissen können im Zusammenwirken der praktizierenden Ärzte, Kliniken, der Verwaltung und mit anderen Kommunen und dem Landkreis Lösungen entwickelt werden.
Wie wollen Sie das machen?
Ein Ansatz ist es, in diesem Jahr zusammen mit dem Landkreis Waldshut die Attraktivität des Ländlichen Raumes für Ärzte zu steigern, zum Beispiel durch eine Internetplattform aber auch mit den mit den Ärzten vor Ort einen Runden Tisch zu organisieren, um die Dinge für die Stadt selbst zu besprechen und zu lösen – auch im engen Zusammenschluss mit dem Hegau-Bodensee-Klinikum Stühlingen. Ein Ansatz könnte sein, durch Weiterbildung von Medizinern vor Ort die ärztliche Versorgung anzupacken. Hier müssen wir auf das Wissen und die Infrastruktur der hier ansässigen Ärzte zurückgreifen.
Was wollen Sie konkret unternehmen, um die medizinische Versorgung zukunftsfähig zu machen?
Dazu müssen wir zweigleisig unterwegs sein, selbst aktiv tätig werden. Wir müssen jungen Menschen im Arzt- und Pflegeberuf Praktika anbieten. Menschen, die hier schon gearbeitet haben und Strukturen und Lebensgewohnheiten kennen, bleiben eher in der Region. Auf jeden Fall müssen wir, und damit meine ich auch die Entscheidungsträger in der Politik, die medizinische Versorgung neu denken und neue Ansätze für den ländlichen Raum finden. Das fängt schon bei der Ausbildung an. Das Medizinstudium sollte wieder mehr Schwerpunkte auf die Allgemeinmedizin legen und überlegt werden, ob die Vergabe von Studienplätzen nach dem Numerus Clausus im Fach Medizin noch zielführend ist. Vorstellbar ist auch eine Anzahl von Studienplätzen an solche Bewerber zu vergeben, die sich bereit erklären für einen noch zu definierenden Zeitraum im Ländlichen Raum zu praktizieren.
Welche Rolle spielt das Krankenhaus Loreto, wenn der Landkreis ein Zentralklinikum baut?
Je nach Standort kann es an Bedeutung verlieren oder gewinnen. Bis zur Fertigstellung des Zentralklinikums möchten wir gemeinsam mit dem Gesundheitsverbund Anstrengungen unternehmen, um den Patienten eine gute medizinische Versorgung zu bieten. Der Einzugsbereich der Patienten erstreckt sich derzeit von Jestetten, Wutach, Grafenhausen, Bonndorf, Eggingen bis Wutöschingen.
Fragen: Gerald Edinger