Jutta Binner-Schwarz

Vor 125 Jahren, in der Nacht auf den 6. Juni 1895, verwandelte sich die Region entlang der Wutach in ein Katastrophengebiet. Schuld war ein Jahrhunderthochwasser, ausgelöst durch ein Gewitter verbunden mit enormem Starkregen.

Der Fluss trat in kürzester Zeit über die Ufer und riss alles mit sich fort, was sich ihm in den Weg stellte. Betroffen von dem Hochwasser waren Gebäude, aber auch der Wiizemer Steg und die Hallauer Brücke wurden von den Fluten mitgerissen. In Stühlingen gab es ein Todesopfer zu beklagen. Die Fläche Schleitheim/Oberwiesen-Stühlingen/Neumühle wurde weitläufig überschwemmt und präsentierte sich als geschlossene Wasserfläche.

1895 war dieser Bereich eine Insel inmitten der Wutach – und so sieht die Neumühle heute aus. Es handelt sich um die weltweit ...
1895 war dieser Bereich eine Insel inmitten der Wutach – und so sieht die Neumühle heute aus. Es handelt sich um die weltweit tätige Zwirnerei an der Wutach. | Bild: Jutta Binner-Schwarz

Dem „Lithografen“ sei Dank

Die Ausmaße der Flut hat der Stühlinger Lithograf Emil Würth in detaillierten Bildern aus verschiedenen Blickwinkeln festgehalten. Sie zeigen die gänzlich überschwemmten Areale zweier Industriebetriebe. Zum einen handelte es sich um die Spinnerei Oberwiesen, die mittlerweile der Zaunfabrik Pletscher Platz gemacht hat. Zum anderen war mit der Neumühle die heutige Zwirnerei an der Wutach betroffen. Würths spannende Zeitdokumente finden sich in mehrfacher Ausgabe in Schleitheim und Stühlingen und illustrieren das verheerende Ereignis eindrucksvoll.

Der „Schleitheimerbote“ berichtete ausführlich: „Letzte Nacht brach ein Gewitter los, bei welchem im badischen Wutachgebiet der Regen wie mit Gelten geschüttet, geflossen sein muß, denn die Wutach begann so rasch zu steigen, daß sie über ihre Ufer austrat und mit ungeheurer Gewalt alles mit sich fortriß, was nicht festen Grund und Widerstand hatte... Von der Wutachbrücke bis zur Neumühle bildete das gesamte rechtsufrige Areal einen See, der die üppigen mit Gras bewachsenen Wiesen in einen Schlammplatz verwandelte.“

Auch Grimmelshofen war betroffen. „In Grimmelshofen selbst sieht es gar trostlos aus“, hieß es im „Schleitheimerboten“. Der „hart an der Wutach gelegene Garten“ des Konstantin Hettig sei nebst der Kegelbahn ins Wasser gestürzt, die Mühle des Franz Burger „ist unter dem Anprall der Wogen und Holzstämme“ zum größten Teil zusammengebrochen.“

In seiner Chronik hielt der Stühlinger Heimatforscher Gustav Häusler fest: „Die Wutach glich einem gewaltigen Strom, Baumstämme, Brückenteile, Faschinen u. a. m. einhertreibend. Der Wasserstand bei der äußeren Brücke war etwa 1 m höher als beim Hochwasser des Jahres 1882. Die Gebäude der Neumühle (der jetzigen Zwirnerei) wurden hart mitgenommen, eine Mauer zwischen dem Turbinenhaus und dem Neubau unterspült und weggerissen, ein Teil des Kanals vollständig zerstört.“

Todesopfer zu beklagen

Über den tödlichen Unfall schrieb Gustav Häusler schließlich: „Den 21 Jahre alten Karl Merkt von Stühlingen, der mit einem Haken einen angeschwemmten Pfadschlitten ans Ufer ziehen wollte, rissen die Wassermassen mit sich fort. Erst am 22. Juni konnte er aus dem Abflu?kanal der damaligen Gipsfabrik Oskar Senn geborgen werden.“

Glücklicherweise erwies sich folgende dramatische Meldung, im „Schleitheimerbote“ abgedruckt, als Zeitungsente: „Soeben wird sämtliche Feuerwehr alarmirt, da der Titisee ausgebrochen und eine ungeheure Wassermasse zu erwarten sei. Alles was gehen kann, ist nach Oberwiesen geeilt.“

Renaturierung

Trotzdem veranlasste dieses Hochwasser Baden und den Kanton Schaffhausen, die bereits weit gediehenen Pläne für eine „Wuthachcorektion“, zur Eindämmung der Wutach zum Ende zu bringen. Gustav Häusler nannte diese als „segensreich“, auch wenn es später weiterhin Hochwasser gab: „Aber die Auswirkungen in dem Ausmaß wie vor der Zähmung des Wildlings traten nicht mehr auf...“, betonte er. Das starre Korsett, das der Wutach aufgezwungen wurde, ist mittlerweile aufgebrochen. Dank der Renaturierung erobert sich der einstige Wildfluss sein natürliches Bett zurück. Das aufwendige Projekt wurde auf Schweizer Seite, danach auch auf deutschem Gebiet vorangetrieben.