Frau Tomasi, sich in der Freizeit mit Mundart zu beschäftigen, ist nicht gerade das Gängigste, wie kam es dazu?
Ich besuchte vor rund zwei Jahren mit einer Freundin eine Aufführung der Alemannischen Bühne in Freiburg, auch alemannische Lyrik war zu hören. Ich war begeistert und habe gedacht, das ist meins. Kurz darauf meldete ich mich bei der Muettersproch Gesellschaft in Freiburg an, die sich für die Pflege und den Erhalt der alemannischen Mundart einsetzt. Ich habe mich dann an die nächste Regionalgruppe der Gesellschaft im Wiesental gewandt.
Es gab früher in Tiengen auch eine Regionalgruppe, der verstorbene Theo Brogle hat sich sehr fürs Alemannische eingesetzt. Im Wiesental hat mich die dortige Leiterin Heidi Zöllner motiviert und gesagt, mach mal einen alemannischen Abend und guck wie er ankommt und geh in die Schulen. Die Muettersproch Gesellschaft hat ein Projekt, das sich ‚Mundart in der Schule‘ nennt, Infos im Internet unter www.mundart-in-der-schule.de.
Und haben Sie einen Abend gemacht?
Ja, mein erster öffentlicher Auftritt war dieses Jahr im Juni in der Buchhandlung Kögel zusammen mit Sandhya Haswani, die aus Rickenbach kommt und schon mehrere Bücher veröffentlicht hat, auch in alemannisch. Rund 30 Leute waren da, wir haben beide vorgelesen, es gibt mittlerweile viele Bücher auf Alemannisch, und ich habe auch Gedichte von mir vorgetragen. Der Abend kam gut an und zog Kreise, es gab Anfragen für weitere Lesungen, kürzlich habe ich zum Beispiel beim Frauenverein Tiengen vorgelesen. Das Interesse an regelmäßigen Treffen, zum Beispiel im Rahmen eines Stammtisches, war aber gering. Ich denke, Stammtische sind heute auch nicht mehr zeitgemäß.
Erzählen Sie uns noch ein wenig von Ihren Gedichten, was haben Sie zum Inhalt?
Ich habe schon als junge Erwachsene für den privaten Kreis gedichtet, beispielsweise wenn jemand Geburtstag hatte. Allerdings in hochdeutsch, in Mundart dichte ich erst seit letztem Jahr. Ich bin Fan von Heinz Ehrhardt, Loriot, Eugen Roth und Ringelnatz und dichte ähnlich wie sie: Humorvoll, aber auch kritisch.
Ich lasse mich dabei oft vom Alltag inspirieren wie im Gedicht Handy, das so beginnt: „Hüt bruucht jede Depp für öbbis eine App.“ Oder auch von den Jahreszeiten, dem Wetter, dem ersten Schnee oder von Sonnenstrahlen, die „einem direkt ins Herz gön.“ Mein Lieblingsgedicht ist ‚Draadsche‘, der Impuls dafür kam von außen, jemand hat mir was erzählt und ich dachte, das kann doch nicht wahr sein und der nächste hat es auch erzählt, aber anders, man weiß nicht, ob es wahr ist oder nicht, das ist draadsche für mich.
Warum begeistert das Alemannische Sie so?
Das Alemannische ist ein Stück Heimat und spiegelt mein Gefühl für Tiengen. Es ist etwas Vertrautes und klingt einfach schön, wie Musik. Es steht für hier wohne ich, hier wird so gesprochen und das will ich auch vermitteln. Mundart ist für mich etwas Spannendes, etwas im reden Gewachsenes ohne feste Regeln. Fünf Dörfer weiter sind die Ausdrücke schon wieder anders. Heimat oder Fasnacht sind zum Beispiel Begriffe, die auf ganz verschiedene Weise geschrieben und betont werden.
Alemannisch ist eben nicht gleich Alemannisch. Im ländlichen Birkendorf wird beispielsweise alemannischer gesprochen als in Tiengen, wo es etwas hochdeutscher ist. Allgemein ist Mundart emotionaler, direkter und oft derber als Hochdeutsch, zum Beispiel bedeutet allfurzlang bei jeder Gelegenheit, ein Rotzlumpe ist ein Taschentuch und ein Düpfleschieser ein Pedant.

Ist ihr Mann auch so vom Alemannischen begeistert?
Er schwätzt eifach Alemannisch und unterstützt mich und hilft mir. Wenn ich ihm ein Gedicht vorlese, hört er genau zu und sagt mir, wenn irgendwo ein Holperer ist.
Sie sagten, Sie gehen in Schulen, sind die Kinder für die alemannische Mundart zu begeistern?
Ich gehe nur in Grundschulen und dort hat es bislang den Kindern richtig gut gefallen und ich denke, auch den Lehrern. Ich lese aus ausgesuchten Kinderbüchern vor und da es Abwechslung braucht, habe ich ein Memory gebastelt. Auf Zetteln stehen jeweils alemannische und hochdeutsche Wörter, die Kinder müssen dann die passenden zwei Begriffe zusammenbringen.
Ich rede auch mit den Kindern, frage wie sie beispielweise eine Jacke noch nennen. Tschobe ist ein alemannischer Ausdruck dafür. Und ich sage den Kindern immer, ein Mal im Jahr sprecht ihr Alemannisch. Es ist ihnen aber in der Regel nicht bewusst, dass wenn sie hoorig, hoorig isch die Chatz sagen, Alemannisch sprechen.
In den Klassen sind sicher viele Kinder mit Migrationshintergrund, wie beziehen Sie die ein?
Es ist mir neben dem Alemannischen wichtig, den Kindern bewusst zu machen, dass nicht alles selbstverständlich ist. Das tue ich, indem ich ihnen von früher Bilder von mir zeige und Dinge wie mein Poesiealbum und dann erzähle ich wie es in meiner Kindheit gewesen ist, was ich mir zum Beispiel zum Geburtstag gewünscht habe. Ich frage sie, was sie sich wünschen oder gewünscht haben. Da sind dann alle angesprochen.
Wie vertraut sind die Kinder überhaupt noch mit der alemannischen Mundart?
Ich würde sagen, in unserem ländlichen Raum spricht vielleicht noch ein Drittel der Kinder Dialekt, weil die Eltern und Großeltern noch Dialekt sprechen, ich hör von den Kindern oft, dass Oma und Opa es auch so sagen würden. Ältere und alte Menschen können in der Regel noch Dialekt, das habe ich auch bei Lesungen in Altersheimen gemerkt, manchmal tragen sie mir dort sogar neue Wörter zu.
Großeltern könnten Ihrer Ansicht nach viel tun?
Sie könnten den Enkeln aus alemannischen Büchern vorlesen. Es mangelt nicht an passender Kinder-Literatur, das sieht man allein am Angebot der Buchhandlung Kögel. Wenn die Kinder das Alemannische nicht mehr hören, ist es irgendwann weg. Wenn unsere Generation jetzt den alemannischen Dialekt nicht vermittelt, geht er verloren. Das wäre ein großer Verlust, denn Mundart ist ein Kulturgut und wie gesagt, ein Stück Heimat. Leider bin ich immer noch die Einzige, die in Tiengen in Schulen geht.
Ganz allein sind Sie aber nicht mit Ihrem Engagement, haben Sie nicht mit dem Landrat einen prominenten Unterstützer?
Ja, seit 2022 ist Landrat Martin Kistler Vorsitzender des neu gegründeten Dachverbands der Dialekte Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart und engagiert sich sehr. Der Dachverband will Mundarten mehr in der Öffentlichkeit publik machen und zu ihrem Erhalt und ihrer Rettung beitragen. Durch Initiativen des Dachverbands wird sich mehr bewegen. Der Verband versucht Neues zu organisieren, gerade über die Schulen. Die Muettersproch Gesellschaft ist Mitglied im Dachverband.
Welche Pläne und Zukunftswünsche haben Sie?
Ich wünsche mir, dass Kinder auch zukünftig Mundart erleben können und ihnen so bewusst wird, hier lebe ich, hier ist meine Heimat, hier sprechen wir so. Die Schulen könnten meiner Ansicht nach, mehr tun und das Thema ausführlicher behandeln. Ich selbst träume davon, einmal ein Buch mit meinen Gedichten rauszubringen. Ich werde auf jeden Fall weitermachen. Noch arbeite ich halbtags, aber wenn ich erst ganz in Rente bin, werde ich noch mehr Zeit haben, mich für die alemannische Mundart einzusetzen -ganz nach dem Motto „schwätze, loose und au lache kasch in Mundart über viili Sache.“