Es ist Schichtende in Fez-City. „Wir haben gerade geschlossen, aber du kannst später wiederkommen“, erklärt das junge Mädchen geduldig. Lara arbeitet hinter der Bar. Während ihrer Schicht mixt sie Cocktails und streicht Eiscreme in kleine Pappbecher. Die Bar liegt zwischen Restaurant und Beauty-Salon. Hinter der Fassade mit aufgemalten Ziegelsteinen werkeln viele fleißige Hände mit Säften, Milch und bunten Strohhalmen. Aus den Lautsprechern ertönt eine Stimme, die Lara und ihre Kollegen dazu aufruft, ihren Lohn bei der Bank abzuholen – danach geht es zum Betriebsausflug. Als Lara die Straße überquert, fährt das Postauto vorbei. In flottem Tempo schiebt ein Junge den Mattenwagen geschickt durch den Korridor aus Gebäuden und Passanten. Er hat es eilig, schließlich hat er einen Job zu erledigen.

Einen Job, den haben in Fez-City alle Kinder. Seit vielen Jahren dürfen die Kleinen bei dem Ferienangebot das machen, was sonst nur Erwachsene tun. Einmal Arbeitsluft schnuppern. Einmal Stadt spielen – und es ernst meinen. Viele Eltern richten mittlerweile sogar ihren Urlaub nach Fez-City, erzählt Onur Harbelioglu vom Kinder- und Jugendreferat Waldshut-Tiengen: „Das muss beibehalten werden, indem wir die Kinder jeden mit einem Lächeln nach Hause schicken.“

Eigenverantwortung wird groß geschrieben

30 Betreuer für 100 Kinder. Mehr braucht es nicht. Jeder, der hier älter als zwölf ist, gilt als „Rentner“, bezieht eine kleine Pension aus den Steuern der Kinder und hält sich im Hintergrund. Sich einmischen sollen die Betreuer „so viel wie nötig und so wenig wie möglich“, sagt Harbelioglu.

Die Kinder haben freie Bahn und tun, was Kinder eben tun. Sie suchen sich einen Job aus, gehen arbeiten und holen ihren Lohn bei der Bank ab. Jannik und seine Schwester Nele arbeiten beim Baubetriebshof, halten die Stadt sauber. Warum sie das machen? „Ich habe eine Stauballergie und wenn wir die Stadt sauber machen, dann kann ich hier sein, ohne dass ich husten und niesen muss“, erzählt Jannik. Der größte Unterschied zu erwachsenen Reinigungskräften – „wahrscheinlich, dass mein Chef dreimal so alt ist wie ich“, meint Jannik und lacht. Nele findet, die Erwachsenen können sich ruhig eine Scheibe von ihrer Arbeitsweise abschneiden: Teamarbeit, ganz ohne Stress und Streitereien.

Die Geschwister Jannik und Nele haben Spaß beim Aufräumen.
Die Geschwister Jannik und Nele haben Spaß beim Aufräumen. | Bild: Norea Rüegg
Fleißig am Putzen: Der Baubetriebshof hält Fez City blitzeblank.
Fleißig am Putzen: Der Baubetriebshof hält Fez City blitzeblank. | Bild: Norea Rüegg

„Es ist doch erstaunlich, was die Kinder alles hinkriegen, wenn man ihnen nur die Möglichkeit dazu gibt.“ Harbelioglu ist überzeugt: Weniger Einschränkung bedeutet mehr Entfaltung.

Von Wahlurnen und Zeitungspreisen

Neben Arbeitsethik lernen die Kinder hier auch Demokratie. Viele erleben Fez-City als ersten Kontakt: Die Wahlurne hätten viele der Kinder für einen Mülleimer gehalten, sagt der Sozialarbeiter und lacht.

Zu einer funktionierenden Demokratie gehört bekanntlich eine starke Presse. Hoch oben auf der Besuchertribüne, mit Blick auf das bunte Treiben, arbeitet Thea mit dem Redaktionsteam. „Das Wichtigste ist, dass wir anderen das Mikro überreichen und ihnen die Chance geben, über sich zu berichten.“ Mit ihren Kollegen druckt sie eine Zeitung und tritt in der Tagesschau auf. Gerade schreibt sie schon am nächsten Artikel, den Blick fest auf die Seite geheftet. Nur kurz schaut sie auf, um ein Wort nachzuschlagen. Das Interview mit dem Bürgermeister und seiner Stellvertreterin muss heute fertig werden – schließlich werden die beiden bei der Bürgerversammlung jeden Tag neu gewählt.

„Na klar darfst du ein Bild machen – ich arbeite halt gerad“, sagt Thea. Neben ihr bereitet sich Erik auf die Tagesschau vor.
„Na klar darfst du ein Bild machen – ich arbeite halt gerad“, sagt Thea. Neben ihr bereitet sich Erik auf die Tagesschau vor. | Bild: Norea Rüegg

Ausgerechnet in diesem Moment kommen zwei kleine Arbeiter, um eine Zeitung zu kaufen. Doch sie sind mit dem Preis nicht einverstanden: Fünf Waltie – so heißt die FEZ-City-Währung – wollen sie nicht zahlen. Nach kurzer Diskussion einigen sich die Kinder schließlich auf eine Lösung: Für den gesamten Betrieb der beiden Jungen gibt es die Zeitung zu einem reduzierten Preis.

Das könnte Sie auch interessieren

Auch Harbelioglu beobachtet, dass Kinder sehr unterschiedlich mit ihrem Geld umgehen. Manche vertrauen der Bank nicht und holen ihr gesamtes Geld lieber direkt ab, andere möchten es sich nur in einzelnen Scheinen auszahlen lassen. Auch dafür gibt es Fez-City: Hier können Kinder spielerisch üben, Entscheidungen über ihr Geld zu treffen und den Wert der bunten Scheine selbst zu erfahren.