Das ist wohl der große Unterschied: Ehen zwischen Menschen altern mit ihnen, „Ehen“ unter Städten nicht. Und mögen auch die Männer und Frauen der ersten Stunde, die sich einst das „Ja-Wort“ gaben, alt geworden sein oder gar nicht mehr unter uns weilen – so wachsen doch immer neue Generationen nach. Sie beleben die Partnerschaft, halten sie jung, geben ihr neue Impulse. So ist das auch bei Waldshut-Tiengen. Die Doppelstadt kam 1975 aus der „Ehe“ zwischen Waldshut und Tiengen zustande – und feiert dieses Jahr so „Goldene Hochzeit“ im großen Stil.
Den Auftakt ins Jubeljahr machte jetzt der Neujahrsempfang in der Waldshuter Stadthalle. Gast und Redner auf der Bühne war auch Alt-OB Martin Albers. Der hat wohl Mühe mit dem Bild der Goldenen Hochzeit. „Wenn man die erreicht hat, hat man doch das meiste schon hinter sich“, sagte er. Daher sprach er lieber von den „Flegeljahren“, aus denen die Stadt „noch kaum heraus“ sei. Und diese meinen gemeinhin ja Jugendlichkeit und Unangepasstheit.

Geschehen per live-Stream online übertragen
Die Stadt lud zum Neujahrsempfang ein und mehr als 800 geladene und spontane Gäste kamen in die Stadthalle, um gemeinsam anzustoßen, auf die vergangenen 50 Jahre zurückzuschauen und um sicherzugehen, dass es der Doppelstadt um die Zukunft nicht bange sein muss. Nein – die „Ehe“ zwischen Waldshut und Tiengen ist quicklebendig und voller Harmonie. Davon konnten am Abend alle Zeugen werden und die, welche zu Hause das Geschehen per live-Stream online mitverfolgten.
Silke Padova, Leiterin des städtischen Kinder- und Jugendreferats, begrüßte und moderierte das zweistündige Programm voller Musik, Show, Ansprachen und Diskussionsrunden. 1975 sei der Vietnam-Krieg zu Ende gegangen, die Jugend sei schon mit 18 statt mit 21 volljährig geworden und Udo Jürgens habe „Griechischer Wein“ gesungen, erinnerte Padova.

Kriege damals wie heute: „Uns begleiten für die Zukunft auch eher düstere Bilder“, sagte Oberbürgermeister (OB) Marin Gruner in seiner Festansprache. Aber Krisen böten auch Chancen, betonte er: „Wir können darin zeigen, was in uns steckt.“ Veränderung sei „manchmal unbequem“, aber „immer notwendig“, unterstrich er. Stillstand sei keine Option. Den Schritt zum Zusammenschluss von 1975 nannte er „mutig“. Obwohl nicht immer einfach, sei die Partnerschaft zwischen Waldshut und Tiengen erfolgreich verlaufen, getragen von „Neugier, Hoffnung und wahrscheinlich Skepsis“. Zwei Städte „mit stolzer Geschichte“ hätten zusammengefunden, ohne dabei ihre jeweilige Identität zu verlieren, so der OB. Und das „Fundament“ der „Ehe“ sei heute fester denn je, auch wenn die Herausforderungen bleiben. „Die besten Jahre liegen ja noch vor uns“, gab sich Gruner überzeugt. „Das Wichtigste sind und bleiben die Menschen. Sie bilden das Herz und die Seele der Stadt“, unterstrich Gruner außerdem.
Mit Herz und Seele Waldshut-Tiengener sind die Rapper „BunYa“ und „Ba2“, alias Bünyamin Yagmur und Batuhan Yalcin. Beide traten am Abend auf. Padova lobte: „Ihr habt heute Abend sicher 800 neue Fans gewonnen.“ Das dürfte auch für die Tänzerinnen und Tänzer der im Jugendzentrum Tiengen aktiven Hip-Hop-Gruppe gelten. Bei ihrem Auftritt bebte die Stadthallenbühne. Zahlreiche Besuchenden reckten die Smartphones hoch, um alles aufzuzeichnen.

1984 war die Kaiserstraße noch voller Autos
In von Padova moderierten Diskussionsrunden kamen zunächst Martin Albers, zwischen 1991 und 2015 OB der Doppelstadt und Manfred Beck zusammen, der zwischen 1984 und 2014 Bürgermeister von Waldshut-Tiengen war. Beck kam in die Stadt, als auf der Waldshuter Kaiserstraße noch bis zu 300 Autos parkten und das Schweizer Chemieunternehmen Lonza mehr als 1000 Mitarbeitende zählte. Fußgängerzonen für Tiengen und Waldshut seien dann aber noch in den 1980er Jahren entstanden, erinnerte Beck. Der sagte: „Es war 1975 keine Liebeshochzeit, eher eine Vernunftehe.“ Die gute Infrastruktur der Stadt, unterstrich Albers, finde man anderswo bei Städten dieser Größenordnung kaum: Hallenbad, Behörden und Dienststellen, breites Kulturangebot, die Nähe zur Schweiz: „Waldshut-Tiengen ist einfach toll“, so der Alt-OB. Von Padova nach Wünschen für die Zukunft gefragt, nannte Albers gleich drei – dabei sein bei der Eröffnung des neuen Spitals in Albbruck, beim Einzug des ersten Elektrozugs auf der Hochrheinbahn und beim Spatenstich für den Stadttunnel der A 98 durch Waldshut.

In einer zweiten Runde saßen der um Tiengen verdiente Kurt Reckermann Andreas Lämmel, Co-Inhaber der Tiengener Kletterhalle „Hotzenblock“, Stadt-Azubi Malik Tümkaya und Karin Lindemann, Stadtführerin und 1975 eine der ersten Gemeinderätinnen der neuen Stadt, zusammen.
Sorge vor aktuellem Rechtsruck
Reckermann lobte die Attraktivität beider Altstädte und warb dafür, vor Ort einzukaufen. Wer „Hotzenblock“ nutzt, zahlt dafür keine fixen Preise, sondern spendet in frei wählbarer Höhe. Lämmel sagte, dass die Umstellung auf Gemeinnützigkeit ein voller Erfolg war. Tümkay indes sagte, der aktuelle Rechtsruck mache ihm Sorge. Der Azubi in der Stadtverwaltung mit Migrationshintergrund ist Kreisvorsitzender der Waldshuter Jusos, sei politisch sehr interessiert, was unter seinen Altersgenossen aber oft nicht so sei. Lindemann, aus Hamburg an den Hochrhein gekommen, appellierte an die Festgäste: „Sie sollten 2025 nicht nur ertragen, sondern etwas Neues wagen.“
Bildergalerien vom Neujahrsempfang gibt‘s hier:
Neujahrsempfang der Stadt Waldshut-Tiengen: Das war auf der Bühne geboten.
Neujahrsempfang der Stadt Waldshut-Tiengen: Sehen Sie hier, wer alles da war.