Herr Dörflinger, Ende 2024 erschien das Buch „Verbandsgeschichte in Lebensbildern“, was genau beinhaltet es?
Dörflinger: Ich habe das Buch zusammen mit Ulrich Vollmer geschrieben, der im Münsterland wohnt und Bundessekretär des Kolpingwerks Deutschland war. Es geht um das Kolpingwerk Deutschland von 1946 bis 1995. Vollmer hat den verbands- und zeitgeschichtlichen Kontext geschrieben und ich die Porträts über die Persönlichkeiten, die das Kolpingwerk geprägt haben.
Zum Beispiel Alois Stiefvater, Reinhold Kästel und Alois Schätzle. Der erste Band ist 2023 erschienen und umfasst die Jahre 1846 bis 1945. Der Aufwand war beim zweiten größer als beim ersten, weil viele der darin vorkommenden Personen zu alt waren, um im Netz viel über sie zu finden und zu jung für viele Einträge in der Sekundärliteratur.
Ich musste viel rumtelefonieren und habe sicher ein paar Wochen daran gearbeitet. Aber es hat Spaß gemacht, war lehrreich und mit vielen tollen Erlebnissen und Begegnungen verbunden.
Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Dörflinger: Ja, ich halte die beiden Bände für gelungen. Wir haben es bewusst anders gemacht als die Autoren älterer Darstellungen des Kolpingwerks, die streng dokumentarisch vorgingen. Wir haben uns bemüht, sachlich zu schreiben und gleichzeitig so, dass es kurzweilig zu lesen ist.
Auf Fußnoten haben wir zum Beispiel verzichtet. Die Porträts sind auch nicht zu lang und mit knapp 190 Seiten ist das Buch auch nicht zu dick. Es hat viele Bilder und ist für 14,95 zu haben.
Wer war Adolph Kolping und was machen die heutigen Kolpingfamilien?
Dörflinger: Adolph Kolping hat von 1813 bis 1865 gelebt, er war katholischer Priester und ist Gründer der Gesellenvereine, aus denen später die Kolpingfamilien entstanden sind. Er hat sie ins Leben gerufen, um den zuvor vagabundierenden Gesellen Halt und Heimat zu geben, ihnen gleichzeitig Bildung zu vermitteln und sie so zu ermutigen, selbst etwas für die Verbesserung ihrer Lage zu tun.
Kolping trat für soziale Gerechtigkeit, Eigenverantwortung, Solidarität, Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit ein, alles Ziele, die ich unterschreiben kann und die bis heute Leitbilder der Kolpingfamilien sind, die weltweit verbreitet sind. Kleine Familien mit 20 bis 30 Mitgliedern können genauso gut funktionieren wie große mit 700 bis 800 Mitgliedern.
Die regelmäßigen Treffen können religiöser Natur sein, es kann um Bildung, Freizeitgestaltung oder Ausflüge gehen. Jede Familie hat ihr eigenes Profil und eigenes Programm, das meistens mit einem sozialen Engagement verbunden ist.
Wie viele Mitglieder hat die Kolpingfamilie Tiengen und wie engagiert sie sich für die Gesellschaft?
Dörflinger: Wir sind rund 130 Mitglieder und machen zum Beispiel jedes Jahr die Nikolaus- oder die Christbaumaktion. Wir sammeln ausrangierte Christbäume und entsorgen sie im Namen des Landratsamtes fachgerecht. Hierfür bitten wir die Leute um kleine Spenden, die dann in der Regel einem sozialen Zweck zukommen. Im Internet unter www.kolping-tiengen.de erfährt man alles über uns und unser umfangreiches soziales Engagement.
Wer ist Thomas Dörflinger?
Hat uns Adolph Kolping heute noch viel zu sagen?
Dörflinger: Ja. Er hat viel geboten, aber auch viel gefordert. Er hat für die Handwerksgesellen Unterkünfte bereitgestellt, mit der Erwartung, dass diese auch was tun für ihre Qualifikation und für den Nachwuchs, dass sie sich in der Gesellschaft und in der Kirche engagieren. Er hat nach dem Grundsatz „Fördern und Fordern“ die Dinge in die Hand genommen.
Vermissen Sie das in unserer Gesellschaft?
Dörflinger: Adolph Kolping ist für mich ein Fingerzeig in die Gegenwart, ein Aufruf, nicht auf dem Sofa zu sitzen und zu sagen ‚ist alles Scheiße‘, sondern sich zu überlegen, was kann ich, was kann man tun, damit es anders und besser wird.
Würde Adolph Kolping noch leben, würde er im Unterschied zu vielen heutigen Zeitgenossen nicht nur Forderungen an andere stellen, sondern selbst was machen. Wir beschreiben seit Jahren Probleme, anstatt sie anzugehen und zu lösen. Das geht mir auf den Geist. Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem.
Sie meinen auch die große Politik – sind Sie eigentlich noch zufrieden mit „Ihrer“ CDU?
Dörflinger: Obwohl für mich 2017 nach Ende meines Bundestagsmandats ein Abschnitt zu Ende ging und ich auch vor Ort in keinem CDU-Vorstand bin, sondern ein ganz normales Mitglied der CDU Tiengen, stehe ich nach wie vor zur CDU, auch wenn sie mir gelegentlich Schmerzen bereitet. Ich bin gespannt, wie es auf Bundesebene weitergeht. Mit den 400 Milliarden ist es nicht getan, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.
Adolph Kolping war als katholischer Priester fest im christlichen Glauben verankert, hat er Ihnen und uns auch da noch was zu sagen?
Dörflinger: Bis heute sind Kolpingmitglieder in ihrer Mehrzahl mit dem christlichen Glauben verbunden. Auch wenn ich mich, wie in der Politik, gelegentlich über Dinge aufrege, bin ich überzeugter Christ. Gott kann nichts für sein Bodenpersonal. Auch wenn bei uns in Deutschland bei Kolping die Mitgliederzahlen eher etwas rückläufig sind, in vielen anderen Ländern nehmen die Mitglieder zu. Das zeigt, dass das, wofür Adolph Kolping stand, nach wie vor aktuell ist.
Sind eigentlich im Bundestag viele Kolpingbrüder und -schwestern?
Dörflinger: Seit 1949 sind Kolpingmitglieder im Bundestag und in den Länderparlamenten vertreten. Wir sind nicht so bedeutend wie der Deutsche Bauernverband oder der Verband der deutschen Automobilindustrie, aber hatten schon immer Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen und nutzen diese auch.
Was sind Ihre schriftstellerischen Pläne für die Zukunft?
Dörflinger: Es erscheinen voraussichtlich noch weitere Bände zur Verbandsgeschichte des Kolpingwerks Deutschland nach 1995. Je mehr wir uns der Gegenwart nähern, desto mehr Material ist da, desto besser ist die Archivlage.
Ich bin in meiner Zeit als Bundesvorsitzender viel herumgekommen und habe den Laden richtig gut kennengelernt und kann auf persönliche Erfahrungen zurückgreifen. Im dritten, vielleicht sogar in einem vierten Band, werden noch mehr als im zweiten, auch Menschen vorgestellt werden, die Vollmer und ich gekannt haben oder kennen.