Kaum ein Tag vergeht, an dem keine neuen Infektionsfälle mit dem Coronanirus gemeldet werden. Erste Fälle von Hamsterkäufen treten auf. Dabei ist die Lage in Deutschland noch relativ entspannt. Anders in Asien. Der Horheimer Artur Tibelius lebt seit zwei Jahren in Japan. Der 27-jährige Steuerfachangestellte, der mittlerweile als Englischlehrer im Land der Kirschblüten und Samurai arbeitet, erlebt hautnah, wie sich das Virus auf das Leben der Japaner auswirkt.
„Die Stimmung ist angespannt. Immer mehr Menschen haben Angst“, sagt er, der selbst bislang noch auf Atemschutzmasken verzichtet hat. Seit Kurzen ist er aber verpflichtet, auf der Arbeit eine Maske zu tragen. „Man merkt deutlich, wie die Vorsichtsmaßnahmen steigen.“
Hygieneartikel sind ausverkauft
Das Tragen von Schutzmasken ist in Japan generell nichts ungewöhnliches. Aber in diesen Tagen sind es deutlich mehr als sonst. „Taschentücher, Masken und Toilettenpapier sind in vielen Supermärkten ausverkauft“, sagt Tibelius, der sich wundert, dass Lebensmittelkoserven in Zeiten der Krise weniger hoch im Kurs stehen. „Die findet man noch massig“, sagt er.

Vom Toilettenpapier dürfe man mancherorts nur noch eine Packung pro Kopf kaufen. Japan gelte ohnehin als Land der Sauberkeit und Hygiene. Das verstärke sich nun und wirke sich auch auf das soziale Miteinander aus. Ein Vorteil japanischer Kultur in der Krise: Handschlag oder gar Umarmungen gibt es in der Regel nicht, wobei Tibelius einschränkend sagt, dass sich diese kulturelle Besonderheit gerade bei der Jugend zusehends auflöse: „Erst vorgestern war ich mit jungen Japanern unterwegs, die sich alle per Umarmung und Handschlag verabschiedet haben.“
Schulen schließen
Nicht jede Region leidet im selben Ausmaß unter der Krise. Der Norden sei besonders hart vom Coronavirus betroffen. „Dort mussten mehrere Schulen schließen. Es gab erkrankte Lehrer, Schüler und Busfahrer“, unterstreicht Tibelius den Ernst der Lage. Ab dieser Woche sollen nun alle Schulen im Land geschlossen werden, um die Ausbreitung des Virus zu unterbinden.
Artur Tibelius hatte vor zwei Jahren seinen Traum wahr gemacht und das faszinierende Land im Pazifik besucht. Er hat Japan kennen und lieben gelernt. Das liegt nicht zuletzt an Yuria Kuroki: Die Beiden sind seit Mai 2019 verheiratet. Seine Ehefrau hat für den 27-Jährigen aus Hohrheim die Tür zur japanischen Kultur noch weiter aufgemacht. Yuria Tibelius arbeitete bis vor Kurzem in einem Pflegeheim. Auch dort seien Veränderungen spürbar. „Patienten werden engmaschiger betreut. Die Wachsamkeit ist deutlich größer als früher.“

Unbezahlter Zwangsurlaub
Artur Tibelius lebt mit seiner Ehefrau in Kobe auf der Insel Honshu. Die Stadt hat viel zu bieten. Er hat in dieser ganzen Zeit eine Menge Erfahrungen gemacht. „Was aber derzeit los ist, habe ich noch nicht erlebt.“ Tibelius hofft, dass sich sein Traum nun nicht in einen Albtraum verwandelt.
Die Ausbreitung des Virus schränkt das Leben der Japaner ein. Viele Arbeitnehmer wollen nur mit Maske zu ihrem Arbeitsplatz. In Berufen, in denen persönlicher Kontakt wichtig ist, sperren sich aber die Arbeitgeber. Andere schicken ihre Arbeiter in unbezahlten Zwangsurlaub. Das schürt Unzufriedenheit. „Japan ist eine Gesellschaft, in der hoher Druck herrscht, Leistung zu bringen. Und nicht jeder kann von zu Hause aus arbeiten“, gibt Tibelius zu bedenken.
So ist auch die Wirtschaft vom Coronavirus betroffen. Japan hat mit China enge wirtschaftliche Verbindungen und die meisten Touristen kommen aus dem Reich der Mitte. An Flughäfen gebe es vermehrt Gesundheitskontrollen, insbesondere für Reisende aus asiatischen Staaten. „Kürzlich musste hier ein Hotel schließen, da es kaum noch Buchungen gab“, berichtet Tibelius. Man merke, dass weniger Menschen auf den Straßen unterwegs seien. Die sonst so besonnenen Japaner seien „zunehmend in Sorge“.
Diskussion um Olympia
Diese besorgte Stimmung schlägt sich auch auf das kulturelle und sportliche Geschehen im Land nieder. „Viele Großveranstaltungen werden abgesagt, und es gibt eine große Debatte darüber, ob die Olympischen Spiele im Sommer in Tokio überhaupt stattfinden können“, umreißt Tibelius einen aktuellen Schwerpunkt der medialen Berichterstattung in Japan.
Artur Tibelius ist zwar besorgt wegen der Entwicklungen, bleibt aber dennoch gelassen. Er ist sich sicher, dass Panik immer die falsche Antwort auf die Frage nach dem Morgen ist. „Ich lasse mich nicht verrückt machen“, sagt der 27-Jährige.