Luca Hartmann

„Von wo kommt der Wind?“, fragt Isabel Siebenrock eine Segelmannschaft nach der anderen. Ob die Antworten der Nachwuchs-Skipper des Segelcamps Bodensee einen überzeugten oder eher ratenden Unterton haben, merkt sie sofort. Es ist keine leicht zu beantwortende Frage an diesem Tag. Ohne Wölbung spannen die Segel am Mast. Von der senkrecht stehenden Sonne brennt es heiß herab auf die kleinen Katamarane, die zwischen blauem Himmel und blauem See sanft vorwärts gleiten. Ruhig und platt liegt das Wasser an diesem Tag. Der Wind weht hauchzart darüber hinweg.

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Um den Wind dreht sich vieles im Segelcamp Bodensee, das noch bis zum Ende der Sommerferien auf der Höri stattfindet. Er ist der unsichtbare Motor des Segelboots. Wer ihn lesen kann, der kann ihn nutzen, also Segel und Ruder richtig ausrichten. „Man erkennt seine Richtung an den Wellen und an den Bojen, und irgendwie spürt man es auch“, erklärt Isabel Siebenrock.

Umweltthemen, Manöver, Verhalten auf dem See

Vom Motorboot aus coacht sie die jungen Segler. Seit der Geburtsstunde des Segelcamps im Jahr 2009 ist sie mit dabei. Damals noch als Schülerin, heute als Betreuerin. Ihre Augen sind wach, ihre Ansagen deutlich und konstruktiv. Das müssen sie auch sein, denn für Unklarheiten und Fragezeichen ist der See der falsche Ort.

Um sich das Gespür für den Wind zu erarbeiten und der Vielschichtigkeit des Segelns gerecht zu werden, stehen für die Schüler neben praktischen Einheiten beim Segelcamp auch Theoriekurse auf dem Programm. Hier werden sie an das Einmaleins des Segelns, an Manöver und das richtige Verhalten auf See herangeführt. Aber auch die Sensibilisierung für Umweltthemen und die Bedeutung von Teamgeist stehen im Zentrum der Kurse.

Erstmals im Strandbad Horn

„Schot“, „Pinne“, „Lee“ – der Segler kommuniziert in eigener Sprache. Für die meisten unter den Schülern ist es ein ganz neues Vokabular, das erst einmal erlernt werden muss. Ebenfalls neu ist der Standort des Camps. Erstmals sind die Anlagen im Horner Strandbad aufgebaut, statt wie üblich nebenan auf dem Campingplatz.

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Zu üben gibt es auf dem See übrigens auch an windstillen Tagen etwas. An diesem Tag proben die zehn- bis 17-jährigen Skipper den Ernstfall des Kenterns. Unterwegs sind sie in kleinen Teams. Für die Übung wird der Katamaran absichtlich auf die Seite gekippt.

Hier ist Teamwork gefragt: Gemeinsam müssen die Teilnehmer ihr Gefährt nach dem Kentern wieder umdrehen.
Hier ist Teamwork gefragt: Gemeinsam müssen die Teilnehmer ihr Gefährt nach dem Kentern wieder umdrehen. | Bild: Luca Hartmann

Um ihn wieder aufzurichten, muss man sich auf den unteren Rumpf stellen, ein Seil greifen und sich damit nach hinten ins Wasser fallen lassen. Die Fähigkeiten, die für dieses Unterfangen benötigt werden, symbolisieren die Komplexität des Segelsports. Kraft, Beharrlichkeit, Gleichgewichtssinn, ein Verständnis für Material und den eigenen Körper. Außerdem Teamzusammenhalt und Mut.

Die Erfahrungen werden ohne Handy gemacht

„Selbstwirksamkeit“ ist der Begriff, den Bernd Orschel, der langjährige Leiter des Camps, in solchen Zusammenhängen gerne benutzt. Eine innere Überzeugung, der Sache gewachsen zu sein. „Die Schüler werden mit einer kniffligen, aber keinesfalls unmöglichen Aufgabe konfrontiert, daran können sie wachsen“, sagt er.

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Wer sich mit Orschel unterhält, merkt schnell, dass er eine Passion fürs Segeln hat. Diese Passion möchte er weitergeben, dabei schreckt er auch nicht vor unkonventionellen Wegen zurück. Bei Anreise werden die Handys der Schüler eingesammelt, bei Abreise erhalten sie sie wieder zurück. Dazwischen können sie an drei Abenden ihren Eltern von den gesammelten Erfahrungen berichten.

„Um Segeln zu lernen, braucht man geschärfte Sinne und volle Aufmerksamkeit, dies ist mit permanentem Handykonsum nicht möglich“, ist er überzeugt. Was sich zunächst rigoros anhört, hat sich als erfolgreiche Maßnahme bewährt. Die Kinder seien nun aufmerksamer, gehen mehr aufeinander ein und auch die Eltern danken es.

Zusammenhalt spielt eine wichtige Rolle

Aufmerksamkeit ist an diesem Tag auch auf See das Stichwort. Das Aufrichten der Katamarane entpuppt sich für manchen Schüler als hartnäckiges Rätsel. Sie ziehen am Seil, fester und fester, doch das Boot bleibt stur. Plötzlich werden Schüler zu Lehrer. Sie coachen diejenigen, die noch Schwierigkeiten haben, geben Tipps wie „stell dich weiter zurück auf den Rumpf und lass dich dann nach hinten fallen, das ist vom Hebelgesetz besser“.

Segelstunde in idyllischer Kulisse.
Segelstunde in idyllischer Kulisse. | Bild: Luca Hartmann

Eindrucksvoll demonstrieren sie, dass der propagierte Zusammenhalt beim Segeln keine leblose Floskel ist. Sanft kippt das Boot wieder ab. Schwimmendes Teamwork. Am Ende schaffen es alle, die Katamarane wieder in Position zu bringen.

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Für die Segellehrer heißt es, Kommunikation und Hilfestellungen immer wieder neu abzuwägen. Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. „Einen elfjährigen Anfänger sprechen wir anders an als einen 17-jährigen Segler mit Erfahrung“, sagt Isabel Siebenrock. Kein „im Stich lassen“, aber auch kein Bemuttern auf See.

Teilnehmer kommen von weit her

Längst hat sich das Segelcamp etabliert. Aus Stuttgart, Heilbronn, sogar aus München reisen Schulklassen und Feriengäste an. Für dieses Jahr stand dennoch vieles auf der Kippe. Erst auf den letzten Drücker hätten die Verantwortlichen von behördlicher Seite das Okay für den neuen Standort erhalten.

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Mit Blick auf die kommenden Jahre braucht Bernd Orschel Planungssicherheit. Bis jetzt steht allerdings noch nicht fest, ob und wo das nächstjährige Camp stattfinden kann. Gerne würde er bleiben: „Der neue Standort ist ideal für uns: günstige Windverhältnisse, kurze Wege und genügend Platz.“

Zum Abschluss folgt die Prüfung

Nach zwei Stunden ist auch die Kenter-Übung beendet. Gemeinsam stapfen die Segelschüler Richtung Ufer. Schlamm klebt ihnen bis auf Kniehöhe an den Beinen, der Abdruck der Natur stört hier aber niemanden. Die Stimmung ist fröhlich und obwohl sich viele der Segler erst seit wenigen Tagen kennen, wirken sie wie eine durch dick und dünn gegangene Gruppe.

Dreckige Füße? Kein Problem – daran stört sich beim Segelcamp niemand.
Dreckige Füße? Kein Problem – daran stört sich beim Segelcamp niemand. | Bild: Luca Hartmann

Abenteuer und Seeluft, eine Mischung, die zusammen schweißt. Am kommenden Tag erwartet sie noch eine Prüfung, dann folgt schließlich die Abreise. Nicht nur ihren Mitstreitern sind sie in dieser Woche näher gekommen, auch den Wind haben sie besser kennengelernt.