Vor Kurzem erreichte mich die Anfrage, einen Kurzkrimi zu verfassen. Sozusagen einen Auftragsmord. Nur war mir gerade so gar nicht nach Mord. Ich finde, die Nachrichten sind schon schlimm genug. Nichts gegen gut gemachte Spannungsliteratur, aber nach den Tötungsdelikten an Frauen in unserer Region ist mir die Lust am fiktiven Mord wieder mal gründlich vergangen. Zu lange und zu oft war ich in Rechtsmedizin und Sozialpsychiatrie mit Gewalt gegen Frauen konfrontiert. Es dauerte eine ganze Weile, bis der Krimi und ich Freunde wurden.
Warum konsumieren wir eigentlich Gewaltverbrechen zur Unterhaltung? Im echten Leben sind wir doch dankbar, wenn wir davon verschont bleiben. Ist es die Tatsache, dass wir selbst entscheiden können, wieviel wir uns zumuten? 90 Minuten und der Fall ist gelöst und der oder die Schuldige gefunden.
Ist das Konfrontations-Therapie?
Die Psychologie weiß, wie wichtig es ist, dass wir unseren Ängsten begegnen und trotzdem handlungsfähig bleiben. Wenn ein Krimi an tiefsitzende Ängste heranführt, dann ist das zwar keine wissenschaftlich fundierte Konfrontationstherapie, aber ein Gefühl kurzzeitiger Erleichterung kann sich schon einstellen, wenn ein Ermittlerteam mit Erfolgsgarantie tätig wird.
Von der Faszination des Grauens
Dann wäre da noch die Faszination des Grauens, der Blick auf die dunkle Seite – schon Kinder lieben den Kitzel zwischen Angst und Schrecken. Aber für uns muss es schon etwas mehr sein als die Geisterbahn: Wahre Fälle und Dokumentationen – so abgründig sie auch sind – geben uns das gute Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Wir können uns abgrenzen. Auch dies eine wichtige Leistung zur Psychohygiene.
Die dritte Funktion der Krimis gefällt mir persönlich am besten (obwohl ich hier regelmäßig versage): Das knifflige Puzzlespiel herauszufinden, wer die Tat begangen hat. Sozusagen Gehirnjogging mit Gänsehaut. Ich gebe zu, auch als Autorin habe ich ein kriminelles Vergnügen daran, meine mitermittelnde Leserschaft in die Irre zu führen. Ich spiele gern mit Klischees und Stereotypen – genauso wie meine schreibenden Kolleginnen.
Bei Lesungen von Krimiautorinnen ist auch das Publikum meist weiblich. 2021 wurden bei uns über 143.000 Gewaltdelikte gegen Frauen angezeigt – begangen vom Partner. Jede dritte Frau in unserem Land erfährt körperliche oder sexuelle Gewalt. Tendenz seit Jahren steigend. Hinzu kommt die Dunkelziffer. Alle 72 Stunden wird eine Frau von ihrem Partner oder Ex getötet.
Wenn bei einer meiner Lesungen, eine Frau einen körperlich überlegenen Kerl gekonnt um die Ecke bringt, gibt es jedes Mal dieses fast verschämte Lachen im Publikum oder den großen, erleichterten Seufzer aus vielen Frauenkehlen. Wahrscheinlich ist auch das Psychohygiene. Eine Lösung ist es nicht.