Die Diebstähle folgten offenbar alle demselben Muster: Die Täter kamen über die Schweizer Grenze von Kreuzlingen nach Konstanz. Dort schlugen sie in Grenznähe zu, um die gestohlenen Gegenstände schnellstmöglich zurück in die Schweiz bringen zu können. Nun stand einer von ihnen vor dem Amtsgericht Konstanz.
Wie konnte es zu den Taten kommen?
Der damals 20-Jährige hatte Anfang 2021 selbst den Entschluss gefasst, seine Heimat Algerien zu verlassen. Er habe sich in Deutschland eine Zukunft aufbauen wollen, erzählt der junge Mann, der einen Dolmetscher an seiner Seite hatte. Deshalb ließ er Eltern und Geschwister zurück und machte sich über Italien auf den Weg nach Deutschland. Seine Reise endete allerdings in der Schweiz, wo er von den Behörden aufgegriffen wurde.
Aufgrund von Diebstählen und des unerlaubten Aufenthalts war er dort inzwischen zweimal in Haft. Während des Prozesses in Konstanz gibt er zudem an, auf Drogen angewiesen gewesen zu sein. Auch auf deutscher Seite lag ein Haftbefehl gegen ihn vor, der im vergangenen Mai vollstreckt wurde, als er sich hier aufhielt. Seitdem befindet sich der 22-Jährige in Untersuchungshaft.
„Ich wusste nicht, wie man sich benimmt“, sagt der Angeklagte, der die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft sofort einräumt. Er wolle sich bessern und Arbeit in Deutschland finden. Doch der späte gute Wille macht die Taten nicht ungeschehen, die nun vor Gericht verhandelt werden.
Überwachungskamera filmt Einkauf mit gestohlener Karte
Eine Zeugin kann sich gut an die Nacht erinnern, in der ihre Handtasche gestohlen wurde. Die 31-Jährige hatte sich im August 2021 mit Freunden und ihrem Bruder spätabends in der Nähe des Großaquariums Sealife aufgehalten, als zwei Fremde zur Gruppe dazustießen. Durch ein gewieftes Ablenkungsmanöver gelang es den beiden, die Handtasche der jungen Frau zu stehlen.
Darin befanden sich nach Angaben der Zeugin Kopfhörer, Schlüssel wie auch ihr Geldbeutel mit etwas Bargeld und verschiedenen Bankkarten. Die Überwachungsvideos eines Geschäfts in Kreuzlingen zeigen, wie der Angeklagte und ein weiterer Mann kurze Zeit später mit einer der gestohlenen Bankkarten ihren Einkauf bezahlten.
Angeklagter wollte gestohlene Ware gegen Drogen eintauschen
Eindeutig sind auch die Bilder der Überwachungskamera einer Parfümerie im Lago-Shoppingcenter. Sie zeigen den Angeklagten, wie dieser Ende August 2021 Parfüm im Wert von etwa 380 Euro in seiner Tasche verschwinden lässt. Kurze Zeit später geriet der damals 20-Jährige mit zwei weiteren Männern in eine Kontrolle am Schweizer Zoll.
Dabei stellten die Beamten eben jene Tasche sicher. Sie sei von innen mit Alufolie ausgekleidet gewesen, um so die Diebstahlsicherung zu umgehen, gibt der Angeklagte zu. Auch auf die Frage der Richterin, was er mit dem Parfüm vorgehabt habe, antwortet er offen: Er habe es gegen Kokain eintauschen wollen.
Jugendparty als Gelegenheit für Diebstähle genutzt
Am Abend des 17. September 2021 machte der damals 20-Jährige während einer Jugendparty auf Klein Venedig gleich zweimal negativ auf sich aufmerksam. Eine 18-Jährige, die ebenfalls als Zeugin aussagt, berichtet, dass sie in der Menschenmenge eine Hand in ihrer Handtasche gespürt habe. Als sie den jungen Mann zur Rede stellen wollte, sei der Angeklagte hinzugekommen, um auf sie einzureden.
Danach seien die beiden Männer in der Menge verschwunden. In Absprache mit den anwesenden Polizeibeamten habe die Zeugin nach den beiden Männern Ausschau gehalten. Dabei fiel ihr auf: Die Täter wechselten mehrmals ihre Kleidung. Ein weiteres Indiz dafür, dass das Vorgehen des Angeklagten und seiner Komplizen organisiert war.
Am gleichen Abend kam es zum Diebstahl eines Rucksacks. Sein Besitzer, ein Jugendlicher, war in das Gespräch mit einem Freund vertieft. Als sie bemerkten, dass der Rucksack fehlte, seien sie sogleich in Richtung der Schweizer Grenze gegangen, berichtet das Opfer.
Tatsächlichen hätten sie dort den Angeklagten mit einem weiteren Mann und dem Rucksack entdeckt. Die Diebe konnten allerdings fliehen. Der Angeklagte gibt zu, den Inhalt des Rucksacks – eine Musikbox und eine Jacke – mit seinem Komplizen aufgeteilt zu haben.
Auch Verteidiger hält Bewährung für unrealistisch
Für die Staatsanwältin ist die Sache klar: Das Geständnis des Angeklagten und die Zeugenaussagen beweisen die Vorwürfe. Da der 22-Jährige aufgrund seines Aufenthaltsstatus in der Schweiz gar nicht nach Deutschland hätte kommen dürfen, gehe den Taten eine unerlaubte Einreise voraus. Sie fordert 14 Monate Haft. Eine Bewährung käme in diesem Fall nicht in Frage, obwohl sie zugestehe, dass die Situation des Angeklagten keine leichte gewesen sei.
Auch der Verteidiger des Angeklagten sieht in diesem Fall „keine positive Sozialprognose“, weshalb auch er eine Bewährung für unrealistisch hält. Allerdings weist er auf das Geständnis seines Mandanten hin – und die lange Zeit, die seit den Taten vergangen ist. Seine Forderung: Man soll den Angeklagten nach Jugendstrafrecht verurteilen. Die Haftstrafe soll hierbei aber nicht länger als ein Jahr betragen.
Richterin zeigt Verständnis für Umstände – ist aber verärgert
Die Richterin folgt in ihrem Urteil der Staatsanwältin und verurteilt den 22-Jährigen zu einer 14-monatigen Haft. Auch sie habe sich für die Anwendung des Jugendstrafrechts entschieden, sagt sie, und verweist auf die Reifeverzögerung des Angeklagten.
Außerdem habe man ihm sein Geständnis hoch angerechnet und sei sich der Situation des jungen Mannes bewusst, so die Richterin weiter. Nach einer schwierigen Flucht sei er in eine fremde Kultur gekommen, ohne die Sprache zu beherrschen. Zudem habe der Angeklagte womöglich unter einer Drogensucht gelitten.
Dennoch ist die Richterin verärgert: „Sie haben das Vertrauen junger Menschen beim Feiern ausgenutzt. Sie haben gestohlen, obwohl sie noch nicht einmal richtig hier waren.“ Sie hoffe aber, dass der junge Mann seine Zeit hinter Gittern nutzt, um Deutsch zu lernen und sein Leben mithilfe eines Sozialarbeiters in den Griff zu bekommen.
Der 22-Jährige, der sich im Prozess bei zwei seiner Opfer mit knappen Worten entschuldigt hatte, bekommt schließlich die Möglichkeit, sich zu seiner Verurteilung zu äußern. Er nutzt die Gelegenheit lediglich für eine Bitte: Er möchte seine Eltern anrufen. Dies sei in den letzten Monaten in Untersuchungshaft nicht zustande gekommen.