Sie haben sich mal wieder bei Maria getroffen, die zwei Waltrauds, einer der Männer, und Maria selbst. Krisensitzung in Petershausen. „Es ist“, sagt Maria Vormittag, „eine halbe Weltreise, wenn wir mit dem Bus in die Stadt wollen, seitdem sie unsere Bushaltestellen dicht gemacht haben.“
Eine aus der Nachbarschaft sei mit dem Schrittzähler von der alten Haltestelle „Tenbrinkstraße“ zur neuen „Am Rheinufer“ gegangen. 530 Meter soll das Gerät am Ende angezeigt haben. Vielleicht waren es auch 530 Schritte, egal. Es ist zu weit für jemanden wie Waltraud Hahn, 71, die in größeren Gruppen immer ein Stück hintendran läuft und sagt „Entschuldigung, ich weiß, bin so langsam, die Hüfte.“ Und zu gefährlich für jemanden wie Maria Vormittag, die nur noch auf einem Auge sehen kann, 30 Prozent. Denn die neue Haltestelle liegt an der Bundesstraße 33. Die ist breit und viel befahren:
Die Lage ist seit Februar so, seit Waltraud Ramsberger, 78 Jahre alt, von ihrem Erker in der Markgrafenstraße aus zusah, wie Mitarbeiter der Stadtwerke die Haltestellenschilder mit Müllsäcken abdeckten. Wenige Tage danach waren aus Waltraud Ramsberger, Maria Vormittag, Waltraud Hahn und mindestens 20 weiteren Senioren aus dem Viertel Aktivistinnen geworden. Sie schrieben Briefe an die Stadtwerke, an Lokalpolitiker, an den Bürgermeister. Sammelten Unterschriften, Sie riefen an, sprachen persönlich vor.
Doch nun gibt es Neuigkeiten: Stadträte haben im Technischen und Umweltausschuss dafür votiert, dass zumindest stadteinwärts der Bus mit der Nummer 6 wieder an den alten Haltestellen „Tenbrinkstraße“ und „Markgrafenstraße„ stoppt. Dazu, für die Busfahrer, die Möglichkeit, die Bedarfsampel auf rot zu schalten.
Zu gefährlich für Busfahrer
Die Busfahrer waren der offizielle Grund, warum die Stadtwerke die Linie 6 im vergangenen Frühjahr auf die Bundesstraße brachten. Seitdem aus der Petershauser Straße um die Ecke eine Fahrradstraße geworden war, so hieß es, empfanden die Busfahrer es als zunehmend gefährlich, in die Markgrafenstraße zu biegen. Der große Schwenk und die vielen Fahrradfahrer, die trotz Ampel einfach weiter in die Pedale treten würden.
Dass der Ausschuss findet, die Seniorinnen sollten ihre Haltestellen wieder bekommen, ist ein Teilsieg. Denn: Obwohl die Stadtwerke der Stadt Konstanz gehören, haben weder Gemeinderat noch Ausschuss ins operative Geschäft hinein zu reden.
Stadtwerke sind im operativen Geschäft autonom
Die Stadtwerke sind eine GmbH mit eigenem Aufsichtsrat. Was die Räte denken, kann allenfalls als Empfehlung an die städtische Tochter gehen. Jürgen Ruff und die SPD waren es, die den Antrag der Aktivistinnen ins Gremium brachten. Er sagt: „Ich denke, es ist ein guter Kompromissvorschlag. Es wäre schade, wenn Rad- und Busfahrer gegeneinander ausgespielt werden und so, wie es gerade ist, wird das getan.“ Außerdem: „Es kann doch nicht angehen, dass Leute, die Verkehrsregeln missachten, als Ideengeber für die Buslinienführung herhalten.“
Manchmal sind sie sauer
Auch die Aktivistinnen aus Petershausen sind manchmal sauer. Auf Busfahrer, Radfahrer, die Stadt. Aber sie bemühen sich um Diplomatie. Sagen, dass die Radfahrer schon viel disziplinierter seien, als bei Eröffnung der Fahrradstraße. Schlugen den Kompromiss vor mit der alten Linienführung stadteinwärts und der neuen stadtauswärts. Holten den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club mit ins Boot. Den Förderverein Mobilitätszentrale. Und den VDC – Mobilität für Menschen.
Ob den Stadtwerken an Diplomatie gelegen ist? Auf Anfrage des SÜDKURIER heißt es, sie prüfen den Vorschlag.
Starker Einschnitt im Leben ohne Bus
„Wir wollen unsere Haltestelle wieder!“, sagt Waltraud Hahn. „Ich wollte immer in der Stadt wohnen, da kann man auch im Alter selbst zu Ärzten. Ich war immer so stolz, wenn unsere Verwandten aus dem Schwarzwald kamen. Ich sagte: ‚Hier in Konstanz können wir das Auto stehen lassen.‘“ Nun müsse ihre Tochter sie mit dem Auto zum Einkaufen fahren. Die Tochter oder das Taxi. Aber auf Dauer, sagt sie zum Abschied, sei das Taxi zu teuer.
Waltraud Ramsberger wohnt seit 51 Jahren in der Markgrafenstraße. „So schön zentral, habe ich immer gesagt.“ Die 78 Jahre alte Frau ist noch ganz gut zu Fuß. Anders als ihr Mann. Vor kurzem musste er an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zum Arzt. 52 Euro hätten sie für Taxen ausgegeben. „Das ist einfach zu viel ...“
Manchmal ist es ihr zu viel
Maria Vormittag ist diejenige, die in der Öffentlichkeit die Wortführung übernommen hat. Weil sie einen Computer besitzt, als einzige. Sie schrieb Emails. Sie druckte die Schilder aus, mit den Herzen, für die Gemeinderatsitzung. „Habt ein Herz – gebt uns unsere Haltestellen wieder“. Sammelte die 400 Unterschriften:
Manchmal, sagt Maria Vormittag, wird es ihr fast ein bisschen viel. Sogar, als sie im Krankenhaus war, zwei Monate lang, telefonierte sie in Sachen Bus. Was wird sie tun, wenn die Stadtwerke den Kompromissvorschlag ablehnen? „Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht.“ Sie sagt nichts, eine Sekunde, noch eine. Sie atmet ein. Dann sagt sie, so resolut wie eh: „Wir werden alle Mittel, die wir haben, ergreifen. Aufgeben ist nicht!“