Im Jahr 2013 steht ein Student verschämt und mit gesenktem Blick vor einem Richter des Konstanzer Amtsgerichts. Der Grund? Auf der Tanzfläche einer Diskothek soll der junge Mann seinen erigierten Penis aus der Hose geholt und so eine Frau angetanzt haben.
Erinnerung an diesen Vorfall habe er keine mehr, erklärt er damals dem Richter. Zu viel Alkohol sei in der betreffenden Nacht geflossen, um den Frust nach einer vermasselten Prüfung zu ertränken. Der junge Mann hat Glück. Das Verfahren wegen exhibitionistischer Handlungen wird gegen eine Geldauflage von 400 Euro eingestellt. Sein polizeiliches Führungszeugnis bleibt ohne Eintrag.
Was passiert mit diesen Geldauflagen?
Ein Ausgang, wie er im deutschen Justizsystem immer wieder beobachtet werden kann. Denn Richter und Staatsanwälte haben hier das Recht, in Strafverfahren Geldauflagen festzusetzen, oder sie – wie im Falle des Konstanzer Studenten – gegen eine entsprechende Zahlung einzustellen. Doch was geschieht eigentlich mit diesem Geld, von dem die Justiz weitgehend frei entscheiden kann, wohin es fließt?
„Ein Teil kommt der Staatskasse zugute, ein anderer wird an gemeinnützige Organisationen und Vereine verteilt.“ Das sagt Franz Klaiber, Direktor des Konstanzer Amtsgerichts.
Welche Summe dabei jährlich zusammen komme, sei höchst unterschiedlich, „weil es abhängig ist von der Anzahl und der Größe der Verfahren, die in einem Jahr verhandelt werden“.
Die Verfahrenseinstellung
431 000 Euro wurden 2018 im Bezirk des Konstanzer Landgerichts verteilt
Das Konstanzer Landgericht verbuchte im Jahr 2018 Geldauflagen in Höhe von 431 000 Euro in seinem Bezirk. Der umfasst neben den Amtsgerichten in Donaueschingen, Radolfzell, Singen, Stockach, Überlingen und Villingen-Schwenningen auch das Amtsgericht in Konstanz, dessen Anteil bei etwa 130 000 Euro lag.
Eine Aufschlüsselung, die dem SÜDKURIER vorliegt, zeigt: Knapp zehn Prozent der Auflagen des Konstanzer Amtsgerichts flossen 2018 in die Staatskasse. Etwa 15 Prozent gingen an den Badischen Landesverband für soziale Rechtspflege. Der Rest, immerhin rund 99 000 Euro, kam gemeinnützigen Organisationen und Vereinen zugute.
Aber nicht nur Gerichte, auch die Staatsanwaltschaften verteilen Gelder, über die sie durch das Einstellen von Ermittlungsverfahren frei verfügen. „Im Jahr 2018 wurden insgesamt 354 609 Euro zugewiesen“, sagt Andreas Mathy, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz. Insbesondere Organisationen im Bereich der Opferhilfe, der allgemeinen Wohlfahrtspflege, der Resozialisierungshilfe, der Gewalt- und Drogenprävention sowie der Prävention im Straßenverkehr profitierten demnach von diesem Geldsegen.
Namentlich genannt werden die Vereine und Organisationen nicht. Wer begünstigt wird, bleibt geheim. Denn bislang weist die Justiz die Empfänger nur in anonymen Kategorien aus.
Kritik an der intransparenten Vergabepraxis der Justiz
Das gemeinnützige Recherche-Büro Correctiv kritisierte diese fehlende Transparenz in der Vergangenheit immer wieder. Während andere Bundesländer mehr Licht in die Vergabepraxis brachten, wie Correctiv in einer Datenbank zusammentrug, belege Baden Württemberg in dieser Hinsicht weiterhin einen der hinteren Ränge.
Offenbar auch aus Gründen der Datensparsamkeit, wie es aus dem Justizministerium des Landes auf Nachfrage heißt. Denn über eine entsprechende Gesamtauflistung mit den begünstigten Vereinen und Organisationen verfüge man Stand heute weiterhin nicht.
Was also sind die Kriterien bei der Zuweisung der Gelder?
„Es ist eine absolute Selbstverständlichkeit, dass keinerlei persönliche Vorteile oder Interessen bei der Entscheidung über die Vergabe eine Rolle spielen dürfen“, sagt Franz Klaiber.
Für ihn gilt bei der Verteilung deshalb eine ungeschriebene Regel: „Wir versuchen häufig, einen Bezug zur Tat herzustellen.“ Bei einem Verkehrsunfall könne man sehr wohl an Vereine im Bereich des Rettungswesens oder der Verkehrssicherheit denken; bei Delikten im Drogenbereich an Organisationen in der Suchtprävention.
„Es bleibt letztlich die freie Entscheidung eines jeden Richters“, sagt Klaiber und fährt fort: „Im Laufe eines Jahres versucht ein jeder von uns, ein möglichst breites Spektrum an Organisationen zu bedienen.“
Doch oftmals warten die Vereine erst gar nicht darauf, von den Richtern bedacht zu werden. Sie werden selber aktiv. Und so erreichen Klaiber fast täglich Briefe von Organisationen aus ganz Deutschland, in denen diese für entsprechende Zuwendungen werben. „Aber natürlich versuchen wir, örtliche und regionale Organisationen zu bedienen“, sagt Klaiber.
So profitiert die gemeinnützige Vereinslandschaft letztlich auch von einem Verfahren, wie es im Jahr 2013 gegen den Konstanzer Studenten lief.