Diese positive Energie ist jederzeit zu spüren. Bei allen drei. Julia, Isabel und Mäx. Hier wird gelacht, hier genießt man das Leben und alle Vorzüge, die es bieten hat. Gemeinsam nennen sie sich Team Konstanz. Vor zwei Jahren nahm die gesamte Region teil am Schicksal des Trios. Leukämie. Den Tod vor Augen. Die Hoffnung auf ein medizinisches Wunder. Nichts anderes ist die Heilung von der heimtückischen Krankheit. Sie haben dieses Wunder am eigenen Leib erlebt – alle drei gelten heute als geheilt. Die Chancen, erneut an der Blutkrankheit zu erkranken, ist nur unwesentlich höher als bei nicht vorbelasteten Menschen.
„Mer waret echt arme Säu, aber mer hont‘s gschafft.“
„Ich frage mich heute manchmal, wie ich damals so stark sein konnte“, sagt Julia Capellino. Isabel Allert fügt hinzu: „Im Rückblick ist das alles wie in einem Film.“ Mäx Kessler lacht, wie eigentlich fast immer, und ergänzt: „Mer waret echt arme Säu, aber mer hont‘s gschafft.“ Und darauf, hängt er noch hintendran, „darauf könne mer echt stolz sein“. Fürwahr.

An diesem verregneten Sonntag sehen sie sich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder. Übers Internet und übers Handy hatten sie immer Kontakt. Doch an einem Tisch saßen sie eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr. Das bisher letzte Aufeinandertreffen war beim SÜDKURIER-Interview kurz vor Weihnachten 2017. Da steckten sie mittendrin im Albtraum, auch wenn das Entscheidende in Form einer Stammzellentransfusion überstanden war. Chemotherapie, Schmerzen, Hoffnung, Endzeitstimmung, Krankenhausaufenthalte, Reha. Das volle Programm. Doch auch damals war diese positive Energie der treue Begleiter. „Ich bin überzeugt davon, dass das auch hilft“, sagt Mäx Kessler, der beliebte Fasnachter der Hofpeter. „Wenn du gut drauf bist und viel lachst, dann hilft das bei der Genesung.“ Wer will da widersprechen?
Der 54-Jährige ist seit Mai wieder im Berufsleben. Er ist neuer Wirt des Siedlerheims auf der Reichenau Waldsiedlung. „Treff mit Herz“ hat er das schmucke, kleine Restaurant mit Grill und Biergarten genannt – passender könnte der Name nicht sein. Wer zu Mäx geht, der weiß, dass es hier ansteckend lustig zugeht. Er ist ja ein Hofpeter, kein Miesepeter. Die zwei anderen Teile von Team Konstanz sind zum Mittagessen gekommen. Gemeinsam reden sie mit ihren Familien über die härteste Zeit ihres Lebens, bei denen sie sich gegenseitig so große Stützen waren.
„Ich war gerade bei einem Kunden in Freiburg, habe dort eine Maschine gewartet“, sagt Markus Capellino. „In dem Moment hat meine Frau angerufen und gesagt, dass Julia Leukämie hätte.“ Er legte auf und wusste nicht, wie ihm geschah. „Ich dachte nur: Ja und jetzt? Fahre ich jetzt heim? Arbeite ich weiter?“, erinnert er sich. Er rief seinen Chef an und erzählte ihm die traurige Neuigkeit – da übermannte es ihn. „Ich habe zwei Minuten nur geheult. Mein Chef hat super reagiert und gesagt, ich solle sofort heimfahren, er würde sich um den Rest kümmern.“

Julias Mutter Nicole ahnte schon vor der Diagnose, dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmte. „Sie war immer so müde, lag nur noch auf dem Sofa herum“, erinnert sie sich. „Irgendwie dachte ich, dass da etwas im Argen liegt.“ Sie ging mit ihrer Tochter zur Heilpraktikerin, die unbedingt ein großes Blutbild vom Hausarzt machen lassen wollte. Der rief dann ein paar Tage später bei den Capellinos an und wollte ein zweites großes Blutbild machen, „denn die Werte waren so schlecht, dass er an eine Verwechslung dachte“, so die Mutter. Als dann aber auch die zweite Analyse erschreckend schlecht war, gingen Mutter und Tochter sofort in die Onkologie nach Singen und wenige Tage später nach Freiburg in die Uni-Klinik.
Beeindruckende Rettungskette von Konstanz bis Freiburg
Bei Isabel Alert war es ganz ähnlich. Mutter Bettina wunderte sich, warum das Energiebündel so schlapp war und warum sich die Haut so veränderte. „Sie kippte auch mehrmals einfach so um“, erzählt die Mutter. „Da war die Sauerstoffversorgung schon zu schwach.“ Als nach ersten Tests in der Konstanzer Klinik klar war, dass es Leukämie sein würde, fuhren sie noch in der Nacht noch nach Freiburg. „Beeindruckend war die Rettungskette: Alles war vorbereitet, jeder wusste Bescheid und hatte uns erwartet. Sowohl in Konstanz als auch in Freiburg„, sagt Vater Steffen Allert. Die Eltern wechselten sich ab, fuhren täglich mit dem Fernbus nach Freiburg.
Den schlimmsten Moment schildert Isabels Mutter Bettina. Die Ärzte wollten vor der Chemotherapie die Fruchtbarkeit ihrer Tochter retten, in dem sie Eizellen entnehmen und einfrieren wollten. „Dabei kam der Verdacht auf, dass sie Bauchspeicheldrüsenkrebs haben könnte“, schildert sie. „Als sie mir das sagten, musste ich das Zimmer verlassen. Ich war auf dem Flur wie gelähmt und dachte nur: Du verlierst dein Kind. Bauchspeicheldrüsenkrebs bedeutet: nur noch acht Wochen.“ Niemand, der das nicht erlebt hat, könne nachvollziehen, was in so einem Moment in einer Mutter vorginge.

Sie flüsterte sich immer wieder zu: Du musst jetzt für dein Kind da sein, du musst jetzt stark sein. Als sie am nächsten Tag den Anruf von der Uni-Klinik Freiburg erhielt, „da sagte ich laut am Telefon: Gott sei Dank, es ist nur Leukämie„. Gott sei Dank, es ist nur Leukämie – ein Satz, den man erst einmal sacken lassen muss. Heute studiert Isabel in Litauen Medizin.
Plötzlich kam das Bild der verstorbenen Freundin im Fernsehen
Steffen Allert möchte gerne auch an die Patienten erinnern, die es nicht geschafft haben. „Wir hatten natürlich viel Glück“, sagt Isabels Vater. „Leider kann das nicht jeder sagen. Umso wichtiger ist es, Werbung zu machen für Hilfsorganisationen wie die DKMS.“ Als er kurz vor Weihnachten 2018 die José-Carreras-Gala, die für Leukämie-Patienten und die Erforschung der Krankheit Spenden sammelt, im Fernsehen sah, wurde ihm bewusst, wie viel Glück seine Tochter hatte. „Da werden zu einem Zeitpunkt die Bilder der in diesem Jahr verstorbenen Patienten eingeblendet“, erzählt er. „Darunter war eine Freundin von Isabel, die sich in der Klinik kennengelernt hatte.“
Mäx Kessler hatte große Unterstützung durch Freunde und Familie. „Ich bin heute noch so dankbar“, sagt er. „Da spürt man, wer auf deiner Seite ist und wer nicht – und dass man so ein schlechter Kerl nicht sein kann.“ Die drei lernten sich übers Internet kennen, sie vernetzten sich über die Facebook-Auftritte, auf denen für sie Knochenmarkspender gesucht wurden. Tausende von Menschen engagierten sich für Team Konstanz und gleichzeitig für alle anderen Leukämie-Patienten Die Dateien sammeln Daten weltweit. Wer sich registriert, kann irgendwo auf der Welt seinen genetischen Zwilling finden und zum Lebensretter werden.
Jetzt, nachdem Julia, Isabel und Mäx als geheilt gelten, können sie Kontakt zu dem Menschen aufnehmen, der ihnen Stammzellen gespendet und somit das Leben gerettet hat. Ist die Person einverstanden, können sich Retter und Geretteter treffen. Team Konstanz möchte das unbedingt.
Alle drei Mitglieder von Team Konstanz feiern mittlerweile zweimal im Jahr Geburtstag: An dem Tag, als sie das Licht der Welt erblickten, und an dem Tag, als ihnen die lebenswichtigen Stammzellen transplantiert wurden. Isabel hat sich oberhalb des linken Sprunggelenks eine Welle tätowieren lassen als Symbol des Sternzeichens Wassermann. Sie erhielt die Stammzellen am 16. Februar 2017.

Die Knochenmarkspenderdatei DKMS
Die Geschichte: 1991 starb Mechtild Harf, die Ehefrau des Gründers Peter Harf, an Leukämie. Peter Harf versprach seiner Frau, sich dafür einzusetzen, für jeden Blutkrebspatienten einen passenden Stammzellspender zu finden. Zu diesem Zeitpunkt waren in Deutschland 3000 Menschen als potenzielle Stammzellspender erfasst.
Die Vision: Das Handeln der DKMS ist langfristig ausgerichtet auf die Erfüllung der Vision: Wir besiegen Blutkrebs. Auf dem Weg dahin ist die DKMS schon weit gekommen. Aber noch ist der Blutkrebs nicht besiegt. 2004 startete die internationale Arbeit der DKMSe, zunächst in den USA, 2009 in Polen, 2011 in Spanien und 2013 in UK. Mit einem umfassenderen Tätigkeitsfeld kommt die Organisation ihrem übergeordneten Ziel näher, den Blutkrebs zu besiegen.
Die Datei: Weltweit sind knapp acht Millionen Personen bei der DKMS registriert, davon über fünf Millionen in Deutschland. Alle 15 Minuten erhält ein Patient in Deutschland die Diagnose Blutkrebs. Nur ein Drittel findet innerhalb der Familie den Spender. Jeder zehnte sucht vergeblich. Die Wahrscheinlichkeit, einen passenden Spender außerhalb der Familie zu finden, liegt bei 1:20 000 bis 1:mehreren Millionen.
Spender werden: Auf der Homepage www.dkms.de kann man bequem ein Registrierungs-Set bestellen. Formulare ausfüllen, mit den beigelegten Wattestäbchen Abstriche von der Wangenschleimhaut machen und das Set zurückschicken. Bei passendem Gewebe meldet sich die Datei und leitet die nächsten Schritte ein.