Die Sachlage klingt verständlich: Wenn ich nicht zurechnungsfähig bin, kann ich für meine in diesem Zustand begangenen Taten nicht verantwortlich gemacht werden. Sollte ich beispielsweise vorhaben, eine Fensterscheibe einzuschlagen, betrinke ich mich vorher – und schon bin ich nicht schuldfähig.

Die Sache hat allerdings ein paar Haken: Unabhängig der Tatsache, dass ich in meinem volltrunkenen Zustand vergessen könnte, die Straftat zu begehen, weil ich ja nicht mehr weiß, was ich mache, könnte mir dann das absichtliche Betrinken als fahrlässiger Vollrausch ausgelegt werden – wofür ich bestraft werden kann.

Folglich wird das absichtliche Betrinken zur eigentlichen Straftat, da ich in Folge des Rauschzustandes schuldunfähig war. Die Strafe darf jedoch nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.

"Ich wollte meinen Schmerz betäuben"

Das Amtsgericht Konstanz verhandelte gestern einen ähnlichen Fall. Ein heute 41-jähriger Mann wurde mehrmals betrunken hinterm Steuer erwischt. Das Fass zum Überlaufen brachte der 21. November 2016. An jenem Montag trank er die eine oder andere kleine Flasche Wodka – und fuhr Auto. "Meine Frau hat mir an dem Tag oder am Tag davor die Trennung verkündet, die Finanzkrise hat mir als Selbstständiger zu schaffen gemacht", erzählte der Angeklagte. "Ich wollte meinen Schmerz betäuben."

Er trank schon in den Monaten zuvor immer mehr Alkohol, seine gravierende geschäftliche Situation beeinträchtigte das Leben der gesamten Familie: "Alles hat gelitten, nichts war mehr so wie früher." Auch das Verhältnis zu den beiden Töchtern, heute acht und elf Jahre alt, war negativ beeinflusst.

Er selbst bezeichnet sich als "heimlichen Trinker. Ich habe mittags einen Liter Wodka getrunken. Zum Abendessen mit meiner Frau vielleicht ein Glas Wein, dann bin ich aber zeitig ins Bett". Wodka besteht fast nur aus Wasser und Alkohol und hat keine geruchlich bedenklichen Bestandteile wie Fuselöle oder Aromen – daher gibt es von gutem Wodka kaum eine Fahne.

Mit über 4 Promille hinter dem Steuer

An jedem 21. November fuhr er bereits betrunken zu einer Tankstelle im Industriegebiet. "Ich war auf der Suche nach noch mehr Alkohol", wie er erklärt. Auf Fotos und Videos kann man ihn beobachten, wie er eine kleine Flasche Wodka kauft und sie trinkt. Eine Person fordert ihn auf, nicht mehr zu fahren – doch er steigt in seinen Wagen, übergibt sich und fährt weg.

Ein Mitarbeiter der Tankstelle ruft die Polizei an, die sich sofort mit zwei Streifen auf die Suche macht. Schließlich wird der Wagen vor dem Haus des Besitzers angetroffen. Die Ehefrau öffnet den Beamten die Tür, der Ehemann sitzt in desolatem Zustand in der Küche. Der kontaktierte Staatsanwalt ordnet eine Blutprobe an, der Verdächtige wird ins Krankenhaus gebracht. Der Test ergibt einen Wert von 3,53 Promille – rund drei Stunden nach seinem Besuch in der Tankstelle. 

"Man kann davon ausgehen, dass der Wert bei einem Abbau von 0,3 Promille pro Stunde also deutlich höher war", erklärte der sachverständige Tobias Hölz, forensischer Psychiater bei der Weissenau Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Ravensburg. "Ich denke, dass es so rund 4,3 Promille gewesen sein könnten." Richterin Christine Kaiser schüttelte den Kopf und sagte: "Andere Menschen würden sterben." Zumal er gleichzeitig ein Medikament gegen seine Depressionen nahm.

Der Angeklagte kämpft gegen seine Sucht

Beim Familienvater wurde eine Alkoholkrankheit diagnostiziert – die er seither bekämpft: Nach einem Aufenthalt in Station 25 im Zentrum für Psychiatrie Reichenau, einer Kriseninterventionsstation, die rund um die Uhr Patienten in akuten Krisensituationen aufnimmt. Danach begab er sich für knapp fünf Monate in eine Rehaklinik im Schwarzwald – beides wurde vom Gericht positiv ausgelegt.

Die Psychiater hingegen wollten nicht so weit gehen, einen schweren Rauschzustand mit erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit bescheinigen – dann nämlich wäre er komplett unzurechnungsfähig gewesen. "Er hat die Garage noch gefunden, konnte seinen Wagen noch starten", sagte Tobias Hölzl und sprach von einem "mittelschweren Rauschzustand".

Nach Berücksichtigung des guten Gesamteindruckes, des freiwilligen Entzuges des Mannes und seines Geständnisses sprach die Richterin den Familienvater schuldig des fahrlässigen Vollrausches – und brummte ihm 40 Tagessätze á 15 Euro sowie ein weiteres Fahrverbot von sieben Monaten auf. Danach muss er sich einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung unterziehen, um wieder einen Wagen lenken zu dürfen. Also wurde nicht die Alkoholfahrt bestraft, sondern der fahrlässig herbeigeführte Vollrausch.

Die Gesetzeslage

Eine Schuldunfähigkeit des Täters kann sich aus dem Konsum berauschender Mittel ergeben. Um Straflosigkeit zu vermeiden, wurde Paragraf 323a, Strafgesetzbuch geschaffen. Demnach wird derjenige bestraft, der sich vorsätzlich oder fahrlässig durch Alkohol oder andere Mittel in einen Rausch versetzt, in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist. Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.