Die Obstbauern in Litzelstetten und Oberdorf machen mobil. „Wenn das Volksbegehren durchgeht, dann müssen wir unsere Höfe komplett dicht machen“, sagt Florian Fuchs, Junior-Chef auf dem Fuchshof. „Dann gäbe es kein heimisches Obst und Gemüse mehr.“ Artenschutz: Rettet die Bienen in Baden-Württemberg, heißt die Kampagne, die die Gemüter derzeit so erhitzt.
Unterschriften zum Wohle der Bienen
Zwei Imker aus dem Großraum Stuttgart haben ein Volksbegehren ins Rollen gebracht. Sie haben bis Ende Juli 35 865 Unterschriften für den Antrag gesammelt und beim Innenministerium eingereicht – mehr als das Dreifache der gesetzlich geforderten Unterschriften. Ihre Forderungen: eine Gesetzesänderung, um den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft in Natur- und Landschaftsschutzgebieten bis 2025 zu halbieren und die Fläche für Ökolandbau zu erweitern. Der Bodanrück, Heimat zahlreicher Obstbauern und Landwirte, ist fast komplett Schutzgebiet. Bisher durfte hier auf bewirtschafteten Flächen Pflanzenschutz benutzt werden.
Schutz ja, aber zu welchem Preis?
„Es ist richtig, sich für den Schutz der Bienen einzusetzen. Das liegt auch im Interesse der Obstbauern“, sagt Heiner Fuchs, „doch zu welchem Preis? Was sind wir bereit zu opfern? Eine Folge wären Äpfel aus Neuseeland. Wollen wir das?“

„Das bedroht unsere Existenzen“
„Ich habe mein ganzes Berufsleben nichts anderes gemacht als schonend mit der Umwelt umzugehen“, sagt Reinhard Honsel aus Litzelstetten. „Jetzt werden unsere Existenzen bedroht. Ich verstehe die Welt nicht mehr.“ Seit 40 Jahren benutze er Pflanzenschutz, immer habe er Bienenvölker gehabt, „doch noch nie gab es bei uns einen Bienenschaden wegen der Pflanzenschutzmittel. Das eine Mal im Jahr 2018 wurden die Bienen mutwillig geschädigt. Doch mit dem Pflanzenschutzmittel hatte das nichts zu tun“.
„Ohne Pflanzenschutz geht es nicht. Wein- und Obstbau wäre unmöglich“, erklärt Heiner Fuchs. Sein jüngerer Sohn Benny fügt hinzu: „Der Kaiserstühler Wein beispielsweise würde von heute auf morgen verschwinden.“ Alles, was nicht zum Ackerbau gehöre, wäre davon betroffen: Obst, Gemüse oder Wein.
Nach 300 Jahren droht das Ende
Thomas Romer, staatlich geprüfter Techniker für Obstbau und Obstverwertung, leitet seit 15 Jahren den Obsthof Romer in Litzelstetten. Er bewirtschaftet 20 Hektar Obstkulturen, unterhält eine eigene Imkerei und eine Früchteküche, auch er hat Bio-Produkte. „Wenn ich mir die Ziele des Volksbegehren Artenschutz ‚Rettet die Bienen‘ ansehe, kann ich als Imker mit diesen gerne mitgehen“, sagt er. „Aber für meinen Hof wäre es nach 300 Jahren Familienbetrieb das Ende.“
Wenn das Gesetz so durchginge, könnte er 92 Prozent seiner Flächen nicht mehr obstbaulich bewirtschaften, da sie im Landschafts- oder Naturschutzgebiet liegen. „Auf 1,5 Hektar übriger Flächen kann ich nicht mal das Geld erwirtschaften, um meinen Eltern das Leibgeding zu bezahlen, welches Ihnen neben der kümmerlichen Bauernrente in Höhe von 500 Euro pro Monat den Lebensunterhalt sichert“, berichtet Thomas Romer. Das Leibgeding sichert eine lebenslange Versorgung des Übergebenden durch den Übernehmer als Gegenleistung.
Es bleibt unklar, ob der Hof weiter Pflanzenschutzmittel nutzen dürfte
60 Prozent der Fläche des Romer-Hofs liegt im Naturschutzgebiet. Als das Naturschutzgebiet in den 1970er Jahren ausgewiesen wurde, habe die Untere Naturschutzbehörde Thomas Romers Eltern eine „ordnungsgemäße Landwirtschaft“ weiterhin erlaubt, berichtet Thomas Romer – der Betrieb basiert also bereits auf einer Ausnahmegenehmigung. Jetzt befürchtet er, dass gemäß des neuen Gesetzesentwurfs ein Einsatz von Pflanzenschutzmitteln komplett verboten werde. „Somit kann ich die Gesundheit meiner 36.000 Apfelbäume, 2000 Birnbäume, 1000 Kirschbäume, 1000 Zwetschgenbäume, und der anderen Obstsorten nicht mehr sichern.“
Der Nabu unterstützt die Ziele des Volksbegehrens
Thomas Körner, Bezirksgeschäftsführer beim Naturschutzbund, sieht das Volksbegehren positiver. „Wir halten die Ziele für sinnvoll“, sagt Körner, „die Initiatoren fordern weniger Pestizide, es ist kein komplettes Verbot.“ Thomas Körner kennt die Erfordernisse, die die Landschaft am Bodensee an die Landwirte stellt. Deshalb hätte er sich gewünscht, das Volksbegehren mit mehr Aufklärungsarbeit zu verbinden. Körner glaubt aber auch, „dass es nicht so arg wild wird.“ Das Pflanzenschutzmittel-Verbot betreffe nur Höfe, die in Naturschutzgebieten liegen, nicht in Landschaftsschutzgebieten. Allerdings ist das bei den Bodanrück-Höfen der Fall. „Bei diesen Betrieben soll es Ausnahmen geben“, sagt Körner. Tatsächlich heißt es im Entwurf: „Die untere Naturschutzbehörde kann auf Antrag die Verwendung bestimmter Mittel im Einzelfall zulassen, soweit eine Gefährdung des Schutzzwecks der in Satz 1 genannten Schutzgebiete nicht zu befürchten ist.“ Doch was bedeutet „im Einzelfall“? Erhält ein Hof also eine dauerhafte Ausnahmegenehmigung oder müsste der Hof jeden Pestizideinsatz genehmigen lassen?
Das Regierungspräsidium soll die Ausnahmen festlegen
Holger Stich, Bezirksgeschäftsführer des BLHV Stockach, verweist auf das Regierungspräsidium, das eine Ausnahmeregelung für ein ganzes Naturschutzgebiet aussprechen darf. „Allerdings müsste das RP den Schutzzweck überprüfen. Wenn der Zweck der Schutz einer Insektenart ist, müsste es nachweisen, dass ein Pflanzenschutzmittel keine Gefährdung dieser Art befürchten lässt.“ Und das sei eben sehr schwer. Die zweite Möglichkeit wären Einzelanträge eines Landwirts an das Landratsamt. „Es ist aber nicht definiert, ob der Landwirt vor jeder Spritzung und für jedes Flurstück einen Antrag stellen müsste“, sagt Stich.
Die Initiatoren wollen nicht, dass Obstbauern aufgeben müssen
Sven Prange, Koordinator des Volksbegehrens, erläutert die Ziele: „Unser Ziel ist nicht eine zu 100 Prozent von Pestiziden befreite Landwirtschaft“, sagt er, „aber wir wollen, dass sich etwas ändert.“ Bisher sei in Naturschutzgebieten die Ausbringung von Pestiziden verboten. Für die Landwirtschaft gebe es aber eine Ausnahme. „Wir finden, die Ausnahme muss auf den Schutzzweck bezogen sein“, sagt Prange. Die Ausnahmen sollen durchs RP erteilt werden. Es müsste eine Liste von Mitteln erstellen, deren Nutzung in einem bestimmten Schutzgebiet erlaubt ist. Die Ausnahmegenehmigungen durch die Untere Naturschutzbehörde sollten nur ausgesprochen werden, wenn es nötig ist: etwa, wenn ein Landwirt eine spezielle Kultur anbaut oder ein ungewöhnlicher Schädling auftritt.
Veränderungen wird es in jedem Fall geben
Prange macht deutlich: Die Initiatoren wollen nicht, dass ein Landwirt seine Existenz aufgeben muss. Eine Umstellung auf ein alternatives Pflanzenschutzmittel sei aber möglich. Der Bodenseeraum sei im Übrigen ein besonders kniffliger Fall. Nur dort und am Kaiserstuhl gebe es Landwirtschaft direkt in Naturschutzgebieten.
Das Volksbegehren: Dem Volksbegehren liegt ein Gesetzentwurf zugrunde. Forderungen sind der Ausbau der ökologischen Landwirtschaft auf 50 Prozent bis 2035, die Halbierung der Pestizide sowie deren Verbot in Naturschutzgebieten und verbesserter Schutz für Streuobstwiesen. Dafür müsste bis Frühling 2020 jeder zehnte Wahlberechtigte in Baden-Württemberg unterschreiben. In Bayern hatten 1,7 Millionen Menschen für einen verbesserten Artenschutz unterschrieben. In Bayern ist die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten für Obstbauern weiter erlaubt.
- So geht es weiter: Wenn das Volksbegehren 770 000 Unterschriften erhält, wird es dem Landtag vorgelegt. Entweder dieser übernimmt das Gesetz unverändert oder es kommt zur Volksabstimmung. Möglich wäre auch ein Alternativvorschlag, dann müssten die Initiatoren aber zurückziehen. Sven Prange sagt: „Wir würden die Probleme des Gesetzes lieber durch ein Begleitgesetz abfedern.“ Er plädiert dafür, dass Landwirte, die ihren Betrieb auf alternative Pflanzenschutzmittel umstellen müssen, dafür Fördermittel bekommen. (aks/cla)