Philipp Baumgartner weiß schon, dass er keine Jubel-Zahlen präsentieren wird. Er habe „nicht nur gute Nachrichten“, sagt er gleich vorab, als er den aktuellen Klimaschutzbericht der Stadt Konstanz in öffentlicher Sitzung präsentieren soll.

So hat Konstanz das Zwei-Grad-Ziel bereit gerissen – um so viel ist die durchschnittliche Jahrestemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit am Bodensee schon gestiegen. Und der Ausstoß an Treibhausgasen geht ausgerechnet in der Stadt, die als erste in Deutschland vor fast sechs Jahren den Klimanotstand ausrief, kaum noch zurück.
„Empört uns und macht uns traurig“, sagt die Aktivistin
Das sorgt insbesondere bei Klimaschutz-Aktivisten für Empörung. Der Haupt-, Finanz- und Klimaausschuss gibt an diesem Abend, was eine große Ausnahme darstellt, einer externen Person das Rederecht. So darf Salome Brodbeck von Fridays for Future (FFF) ans Rednerpult treten, und sie wird deutlich.
Der jüngste Klimaschutzbericht zeichne „ein Bild des Grauens“. Wie langsam Konstanz vorankommt, das „empört uns und macht uns traurig“, sagt Brodbeck. Konstanz setze den Auftrag nicht um, den sich die Stadt 2019 selbst gegeben habe. Und gestehe dem Klimaschutz auch nicht genügend politischen Raum zu.
Mehr wütend als resigniert sagt Brodbeck in den Ratssaal hinein solche Sätze wie: „Klimaschutz kostet viel Geld, aber alles andere ist viel teurer“ oder „Ihre Enkel werden Sie fragen, warum Sie das Wichtige nicht angegangen sind“. Was die derart kritisierten Stadträte und auch Oberbürgermeister Uli Burchardt dem entgegnen, das hört sich die FFF-Aktivistin nicht mehr an. Schon bald nach ihrem Statement verlässt sie den Saal. „Sehr, sehr enttäuschend und richtig schwach“ nennt OB Burchardt das.
Von den Antworten bekommt das Fridays-Mitglied nicht mehr viel mit
Von der zentralen politischen Debatte zu dem Thema, das ihr so am Herzen liegt, bekommt die Fridays for Future-Akivistin nicht viel mit. Unter anderem geht es dabei darum, dass Konstanz gegenüber dem Absenkziel im vergangenen Jahr 100.000 Tonnen CO2 zu viel in die Luft geblasen hat. An die selbst verordnete „weitgehende Klimaneutralität bis 2035“ zu glauben, kostet auch den Klimaschutz-Chef im Rathaus erkennbar Kraft.
OB: Verwaltung kann sich „nicht auf den Klimaschutz konzentrieren“
Zumal sich laut Oberbürgermeister Uli Burchardt die Verwaltung „nicht auf den Klimaschutz konzentrieren“ kann, denn andere Aufgaben seien eben auch wichtig. Dass am zögerlichen Fortschritt öffentlich Kritik geäußert wird, gefällt ihm nicht. „Wir sind immer noch vorne mit dabei“, sagt er und verbittet sich ein Schlechtreden.
Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn betont, Konstanz habe eine ehrgeizige, „wenn nicht die ambitionierteste Klimaschutzstrategie in Deutschland“. In Wärmenetzen und im C-Konzept für den Altstadtverkehr lägen die größten Hebel.
Dazu gibt es freilich auch andere Stimmen, sogar aus dem Rathaus selbst. Lorenz Heublein aus dem Amt für Klimaschutz sagt, in Schaffhausen werde gerade für über 100 Millionen Euro das Nahwärmenetz ausgebaut, während in Konstanz Geld, das für die Förderung von Rad- und Fußverkehr eingeplant war, zu den Verkehrskadetten wandere. „Auch bei uns“ schwinde der Rückhalt für den Klimaschutz, klagt Stadträtin Gabriele Weiner (Junges Forum) und spricht von einem „Trauerspiel“.

Niklas Becker (FGL&Grüne) sagt, man dürfe „nicht beim Klimaschutz den Rotstift ansetzen“, müsse aber auch überlegen, ob es neben vergleichsweise teuren Anreizen nicht auch mehr preiswert umzusetzende Verbote und Abschreckungsmaßnahmen geben müsse.
Ein Stadtrat sagt ernüchtert: Vorreiter sind wir schon lange nicht mehr
„Die Ziele werden verfehlt“, bekennt auch Levin Eisenmann (CDU), doch er ist sich sicher, dass der Wärmenetzausbau einen großen Effekt bringen wird. Nicht immer würden all die Klimaschutzanstrengungen angemessen gewürdigt.

Das sieht Jan Welsch (SPD) anders. Man müsse gar nicht mehr davon reden, ob Konstanz noch Vorreiter sei. Die viel beachteten Pilotprojekte zum Klimaschutz fänden alle an anderen Orten statt. Und für Achim Schächtle (FDP) steht fest: „Auf dem Weg, auf dem wir es die letzten sechs Jahre versucht haben, kommen wir nicht an.“
Für Amtsleiter Baumgartner ist unterdessen klar, dass Konstanz nun Prioritäten setzen muss – nicht für den Klimaschutz, sondern auch beim Klimaschutz. Sein Vorschlag ist, zunächst dort ranzugehen, wo man am schnellsten fossile Energieträger ersetzen kann, das sind für ihn die Schiffe auf dem See und die Beheizung privater Gebäude (mit Wärmenetzen) und öffentlicher Liegenschaften. Wichtig sei aber auch, über Parteigrenzen hinweg für den Klimaschutz einzutreten und die Chancen zu betonen, die darin liegen.
Und dann sagt Philipp Baumgartner noch etwas, das Klimaschutz-Aktivistin Salome Brodbeck mit ihrer Forderung nach einer „Vorzeigestadt“ wohl sofort unterschreiben würde: Mut und Ehrgeiz brauche es. Konstanz habe einmal das große Vorbild sein wollen. Das hätten die Menschen nicht vergessen: „Deutschland guckt auf uns.“