Am 31. März wird Philipp Brunner das etablierte Konstanzer Fachgeschäft an der Marktstätte zum letzten Mal absperren. Treue Stammkunden bedauern die Schließung des Optikers und Hörgeräte-Akustikers ihres Vertrauens und nutzen gleichwohl die Gelegenheit, noch rasch eine zusätzliche Brille in Auftrag zu geben.
Nicht nur sie bedauern das Ende des eingesessenen Familienbetriebs, der nach 63 Jahren die Türen und das Firmengeschichtsbuch schließt; auch Inhaber Philipp Brunner ist bekümmert. Das Aufhören fällt ihm schwer. „Ich mache es nicht freiwillig“, sagt er. Haben die vielen Optiker-Ketten das Geschäft unrentabel gemacht und letztlich zum Aus des Familienbetriebs geführt?
Warum schließt das Fachgeschäft?
Nein, die Konkurrenz hat nicht das vorzeitige Ende von Brillen Brunner verschuldet. Es sind gesundheitliche Gründe, wegen denen der 60-Jährige zum 31. März aufhört. Die Entscheidung sei ihm nicht leicht gefallen, aber Vernunft und Verantwortung habe er in die Waagschale geworfen.
„Ich kann meinen Kunden nicht so gerecht werden, wie ich es mir vorstelle“, stellt Philipp Brunner ob seiner gesundheitlichen Einschränkungen, die er mehr wahrnimmt als Außenstehende, fest. „Und ich will meinen Mitarbeitern nicht zur Last fallen“, fügt er an.

1. April ist ein bedeutsames Datum
Am 1. April 2023 werden die Kunden an der Marktstätte 12 vor verschlossenen Türen stehen. Exakt vor 63 Jahren, am 1. April 1960, hat Philipp Brunners Vater Franz Brunner in der Bodanstraße 31 sein Optikfachgeschäft eröffnet.
„Bei Optikern haben früher in der Regel auch Foto, Ferngläser und meteorologische Instrumente dazugehört“, erzählt Philipp Brunner. Meteorologische Instrumente würde heute kaum ein Optikfachgeschäft mehr verkaufen, denn wer interessiert sich in Zeiten von Wetter-Apps noch für ein Barometer?
Im Jahr 1970 zog Franz Brunner mit seinem Fachgeschäft in das Haus zum Wolf in der Rosgartenstraße 4 um und erfand sein Geschäft ein Stück weit neu. „Mein Vater hat die Fotogeschichte aufgegeben. Die ersten Großhändler haben angefangen und Filme zum Teil billiger verkauft, als sie mein Vater einkaufen konnte“, berichtet Philipp Brunner.
Hier zieht Brunner eine Parallele zum Hier und Heute, denn der Online-Handel könne vieles wesentlich billiger verkaufen als der stationäre Handel. Optiker hätten allerdings weniger Probleme mit der Internet-Konkurrenz, denn die Beratung sei unverzichtbar. „Jemand muss das Auge prüfen“, sagt Philipp Brunner. Und selbst wenn jemand online eine Brille kauft: „Wenn sie rutscht oder drückt, dann sind wir Optiker wieder gefragt“, berichtet er und fügt an: „Durch guten Service fängt man die Leute wieder ein.“

1970 hat Franz Brunner Hörgeräte in sein Portfolio aufgenommen. „Das war damals eine Neuheit“, so Philipp Brunner, „denn das Berufsbild des Hörgeräteakustikers entstand erst Ende der 1960er Jahre. Mein Vater war damals Gründungsmitglied der Bundesinnung, die das Berufsbild auf den Weg gebracht hat.“
Zuvor hatten Handlungsreisende im Auftrag der Herstellungsfirmen Hörgeräte vertrieben und hierzu Neben- und Hinterzimmer von Restaurants und Gasthäusern genutzt oder bei Optikern angefragt, ob diese ihren Augenprüfraum zur Verfügung stellten, erzählt Philipp Brunner.
Der Sohn tritt in die Fußstapfen
Selbstverständlich war es nicht, dass Philipp Brunner, der am humanistischen Heinrich-Suso-Gymnasium mit den Leistungskursen Physik und Chemie das Abitur gemacht hat und gleichzeitig Latinum und Graecum in der Tasche hatte, in die Fußstapfen seines Vaters trat. „Unsere Eltern haben nie Druck auf uns ausgeübt“, sagt Philipp Brunner über sich und seine drei Geschwister.
„Ich wollte ursprünglich Archäologe werden. Aber damals gab es keine freien Stellen.“ Sein Vater riet ihm an, einen Beruf zu erlernen, von dem er sich ernähren könne. Studieren könne er dann ja immer noch. So begann Philipp Brunner 1985 die Optikerlehre, studierte später Augenoptik, und die Hörgeräteakustik hat er bei seinem Vater gelernt.
„1986 habe ich angefangen zu arbeiten“, so Brunner. 1990 ist das Fachgeschäft an die Marktstätte umgezogen. „Das Haus zum Wolf war zu klein geworden. Die Miete wurde zudem jedes Jahr erhöht. Das war damals schon ein Problem“, blickt Philipp Brunner zurück. 1997 hat er dann das Fachgeschäft von seinem Vater übernommen und mit Leidenschaft in die Zukunft geführt.
Schließlich liebt er seine Berufe, was in Anbetracht seiner damals gewählten Leistungskurse nicht wirklich erstaunt. „Es ist die Verbindung von Technik und Menschen und ein bisschen Medizin“, beschreibt Philipp Brunner, was ihn an seiner Tätigkeit reizt, und er lächelt dabei.
Zugewandtheit war ihm wichtig
Ihm war es immer wichtig, für jeden einzelnen Kunden das individuell bestmögliche Ergebnis zu erzielen, um Seh- und Hördefizite möglichst effektiv zu kompensieren. Seine Zugewandtheit, seine offene und ehrliche Beratung und seine technischen Fachkenntnisse wussten seine Kunden zu schätzen.
Philipp Brunner wiederum schätzt seine Kunden. „Wir haben Familien, die bereits in der dritten Generation zu uns kommen. Unsere älteste Kundin hat mich als Baby im Kinderwagen in der Bodanstraße kennengelernt. Ihr habe ich jetzt ein Hörgerät verkauft“, erzählt Philipp Brunner, wobei deutlich spürbar ist, wie gerade jetzt viele Erinnerungen wieder präsent werden und ihm der Abschied nicht leichtfällt.
Die Stammkunden werden Brunner und sein Team vermissen. Mit dem Fehlen des eingesessenen Familienbetriebs an der Marktstätte wird Konstanz um ein inhabergeführtes Fachgeschäft ärmer und das Stadtbild verändert sich erneut.