Was ist Cannabis?
Cannabis ist eine Pflanze, ihre Blüten und Blätter werden Marihuana oder auch Gras genannt, ihr Harz Haschisch. Cannabis wird zumeist geraucht, im selbst gedrehten Joint oder in der Bong, einer Art Pfeife. Aber es kann auch mit Keks-Teig vermengt und gebacken werden. Cannabis enthält sogenannte Cannabinoide, die psychoaktiv wirken – das bekannteste ist THC. Es gibt ganz unterschiedliche Sorten, das hängt von der Züchtung und den Zuchtbedingungen ab. Und Dealer können Cannabis mit anderen Substanzen strecken, damit es stärker wirkt.
Andreas ist 21 Jahre alt und gerade auf Entzug im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Reichenau. Er will wegkommen vom Gras. Seinen ersten Joint rauchte er mit 16, erzählt er – „Ich musste direkt kotzen.“ Das Gras sei nicht rein gewesen, glaubt er. Er warnt: „Was auf der Straße an Gras geht, ist nicht clean.“ Auch Dr. Aksel Hansen, Oberarzt im ZfP, sagt: „Es gibt keine Ehre unter Dieben. Es kommt vor, dass Dealer anderes dazu mischen.“ Zum Beispiel: Benzodiazepine, ein starkes Beruhigungsmittel.

Neben der Cannabis-Pflanze gibt es auch sogenannte synthetische Cannabinoide, sie werden auch Spice oder Kräutermischung genannt. Das sind Pflanzen – keine Cannabis-Pflanzen – die mit künstlich hergestellten Cannabinoiden besprüht werden. Synthetische Cannabinoide ähneln in ihrer Wirkung Cannabis. Oft ist unklar, was sie enthalten. Daher können sie sehr viel stärker wirken als pflanzliches Cannabis.
Wie wirkt Cannabis?
Wer Gras raucht, absorbiert Cannabis über die Lunge. Über die Blutbahnen gelangen die Wirkstoffe an die Cannabinoid-Rezeptoren. „Die sind überall im Körper verteilt“, erklärt Hansen. Auch im Gehirn, dort docken die im Gras enthaltenen Cannabinoide an den Rezeptoren an. „Das flutet dann dort an“, sagt Hansen – und wirkt beruhigend und berauschend. Wird Cannabis über den Magen aufgenommen, tritt die Wirkung später ein als beim Rauchen. Auch Angstzustände und Filmrisse können auftreten.
Ein halbes Jahr nach seinem ersten Joint, erzählt Andreas, raucht er Cannabis in der Bong. Das Gras hatte ein Kumpel angebaut. „Das war die beste Erfahrung meines Lebens.“ Er sei entspannt gewesen, kommunikativer und kreativer.
Kann Cannabis abhängig machen?
„Ja“, sagt Hansen. „Das dauernde beduselt und berauscht Sein, das ist das, was Suchterkrankte suchen.“ Andreas erzählt, dass er nach seinem ersten Joint direkt wieder zu seinem Dealer geht. Ihm geht es zu der Zeit, er ist 16 Jahre alt, nicht gut, erzählt er, er kifft, um mit seinen Gefühlen klarzukommen.
„Irgendwann hat es nicht mehr so geprallt, und ich wollte mehr haben“, sagt Andreas. Aus einem Kopf in der Bong – so heißt die Ration in einer Pfeife – am Tag werden erst zwei, dann drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht. „Dann kommt man schnell auf dumme Gedanken und will andere Drogen konsumieren.“ Er erzählt von Ecstasy, LSD und synthetischen Cannabinoiden.
Welche Folgen kann der Konsum haben?
„Ich war faul und träge und habe mein Leben nicht mehr auf die Kette bekommen“, sagt Andreas. Sein Leben sei eine Dauerschleife aus Zocken, Kiffen und Depressionen gewesen. Er sei nicht mehr vom Fleck gekommen und habe seine Ausbildung abgebrochen. „Ich hatte keinen Bock auf alles“, sagt er. „Amotivationales Symptom“, nenne man das, sagt Hansen: „Sie können sich nicht aufraffen und bleiben hängen.“
Darüber hinaus kann die Abhängigkeit auch soziale Folgen haben: Andreas sagt, er habe keinen Kontakt mehr zu seiner Familie und seinen Freunden, er habe zwei Jahre auf der Straße gelebt und sei kriminell geworden, um seinen eigenen Konsum zu finanzieren. „Ich habe Autos aufgebrochen, Leute beklaut und verschlagen, gedealt.“ Andreas Geschichte ist eindrücklich – und natürlich auch ein Extremfall. Aber er sagt auch, dass Cannabis das Leben vieler Menschen in seinem Umfeld zerstört habe.
Kann Cannabis Psychosen auslösen?
„Es begünstigt die Entstehung von Psychosen“, sagt Hansen. Menschen, die an einer Psychose erkrankt sind, haben Wahnvorstellungen, Verfolgungswahn und Halluzinationen. “Es gibt verschiedene Faktoren, die das Risiko für eine Psychose erhöhen“, sagt Hansen. „Cannabis ist einer dieser Faktoren.“
Warum? Psychosen hängen auch mit einem Missverhältnis zwischen dem Dopaminangebot und den Dopaminrezeptoren im Körper zusammen, erklärt Hansen. Dopamin ist ein Glückshormon, Drogen bewirken häufig eine erhöhte Ausschüttung. Aber nur weil man kifft, muss man keine Psychose bekommen. Andreas zum Beispiel hat in fünf Jahren Kiffen keine Psychose bekommen.
Ist Cannabis für Jugendliche gefährlicher?
Das jugendliche Gehirn sei noch nicht voll entwickelt, erklärt Aksel Hansen. „Wir haben ein hochentwickeltes Gehirn, das bis Mitte 20 ausreift.“ Und in diesen Reifungsprozess würden Drogen eingreifen – nicht nur Cannabis. Daher seien Jugendliche anfälliger, sowohl ein amotivationales Syndrom als auch eine Psychose zu entwickeln.
Schon der einmalige Konsum könne gefährlich sein, sagt Hansen. Dann könnten gestrecktes Gras oder Cannabis mit hohem THC-Anteil zu einer Psychose führen. Wenn man grundsätzlich anfälliger für eine Psychose ist, zum Beispiel wegen einer genetischen Disposition. „Es ist aber nicht die Regel“, sagt Hansen.
Was spricht für die Legalisierung von Cannabis? Und was dagegen?
Gegen eine Freigabe von Cannabis spricht laut Hansen, dass nach Alkohol und Tabak eine weitere Droge frei erhältlich wäre. Aber er sagt auch: „Man muss sich mit der Realität auseinandersetzen: Die Leute, die das haben wollen, die werden das bekommen.“ Entweder sie züchteten es selber oder sie kauften es bei einem Dealer.
Durch die Legalisierung hätte man zumindest die Möglichkeit, Cannabis zu regulieren, so sauber wie möglich zu halten und Wirkstoffgrenzen einzuführen. Aber auch im ZfP seien sich die Kollegen uneins, ob sie für die Legalisierung oder dagegen sind. Dafür sehen sie zu oft Patienten, die sehr schlechte Erfahrungen mit Cannabis gemacht haben. So wie Andreas. Der ist dagegen: „Cannabis sollte nicht legalisiert werden.“
Chillen, Party, Sucht – die Serie
Dieser Text ist Teil von „Chillen, Party, Sucht: Vom Erwachsenwerden mit Drogen“, einem Themenschwerpunkt des SÜDKURIER. In der nächsten Folge lesen Sie die Geschichte einer jungen Frau, die jahrelang Teil einer kleinen Konstanzer Drogenszene war. Und die erst ganz unten ankommen musste, um zu genesen.