Er richtet wüste Worte gegen Polizeibeamte, pöbelt und wird ständig straffällig: Raub, Diebstahl, Beleidigung, Körperverletzung, schwerer räuberischer Diebstahl. Der Jugendliche, geboren 2007, hat ein Messer dabei. Sein Kumpel, ein Heranwachsender, geboren 2004, begeht Diebstähle, dreimal, bei denen er eine Waffe und/oder einen gefährlichen Gegenstand mit sich trägt wie Messer und Schere.
Es ist der zweite Verhandlungstag eines Prozesses vor dem Amtsgericht Konstanz. Die Männer sitzen wegen früherer Delikte bereits in Haft.
Richterin: „Die Polizei verdient respektvolles Verhalten“
„Sie waren in einer Phase, da machten sie, was sie wollten. Sie haben über die Konsequenzen nicht nachgedacht.“ Mit diesen Worten hält Richterin Heike Willenberg dem jüngeren Angeklagten eine Standpauke. Sie äußert durchaus Verständnis für seine Lage und sie macht darauf aufmerksam, dass er oft nur Mitläufer gewesen sei.
Kein Verständnis aber zeigt sie, dass er sich manchmal wie ein „kleiner trotziger Bub“ verhalte. Etwa, wenn er einen von ihm beleidigten Polizeibeamten nicht um Entschuldigung bitten will. „Die Polizei verdient respektvolles Verhalten“, sagt Willenberg. Die Richterin macht deutlich, dass die Masse der Fälle ausschlaggebend sei.
Typisch bei den Delikten des Angeklagten: Aus einer kleinen Sache wird ein großes Ding, wie im Supermarkt. Der Angeklagte stiehlt eine Flasche Wodka, er läuft weg, ein Supermarktmitarbeiter versucht, ihn festzuhalten, der Dieb rauft sich frei, später beleidigt er Polizisten. Die Richterin geht davon aus, dass er bei dieser Straftat ein Messer dabei hatte, auch wenn er es nicht einsetzte.
Die Geschichte, dass er dieses, je nach Version einem anderen gegeben und dann bei der Flucht wieder geholt haben will oder bei der Flucht gefunden habe, nimmt sie ihm nicht ab. „Ich glaube viel, aber das glaube ich nicht.“ In einem anderen Fall geht es um Handschuhe im Wert von 12,99 Euro. Auch hier wird der Angeklagte erwischt, weigert sich, das Diebesgut herauszugeben, es kommt zu einer Rangelei und Verletzungen.
Das junge Leben des Straffälligen verläuft dramatisch. Es ist es von Umzügen geprägt. Die Eltern wollen ihn nicht, der Kontakt riss schon vor langem ab. Er bekommt keine Post oder liebe Worte von ihnen, nicht zum Geburtstag, nicht zu Weihnachten. In der Verwandtschaft ist niemand ist da, zu dem er gehen könnte.
Er wird von Einrichtung zu Einrichtung gereicht, acht verschiedene Stationen zählt die Jugendgerichtshilfe auf. Sie berichtet weiter: Er sei immer wieder fortgelaufen, habe sich auf keine Regeln einlassen können, verbrachte eine Zeit als Obdachloser auf der Straße, absolvierte seine Schulpflicht ohne Abschluss, er habe keine Hobbys, außer mit Freunden herumzuhängen.
Kiffen im Alter von zwölf
Der Angeklagte selbst sagt, dass er im Alter von zwölf Jahren das Kiffen begonnen habe, dazu seien Alkohol und Ladendiebstähle gekommen, die ihm irgendwann als völlig „normal“ erschienen. Der Angeklagte berichtet, wie er sich in Haft weiterentwickelt habe. Er sei jetzt dabei, den Hauptschulabschluss nachzuholen. In sechs Monaten könne er ihn machen. Er habe auch Arbeitserfahrungen gesammelt: „Das ist besser, als in der Zelle zu sitzen.“
Er hoffe auf eine Chance, im Seehaus in Leonberg, wo Jugendstrafvollzug in freien Formen möglich ist. Es bietet für Jugendliche und Heranwachsende zwischen 14 und 23 Jahren, die bereit sind, an sich zu arbeiten, eine Alternative zum Gefängnis. Richterin Heike Willenberg spricht die Empfehlung aus, ihn dort aufzunehmen. Verteidiger Toralf Duve sagt über seinen Mandanten: Dieser mache sich das erste Mal Gedanken darüber, wie es weiter geht. Nach dem Abschluss an der Hauptschule wolle er eine Ausbildung beginnen.
Wohnort- und Schulwechsel, später Verweis
Auch beim älteren Angeklagten gibt es Brüche. Er hat Probleme mit seinem Vater. Es kommt zu Wohnort- und Schulwechseln. Er kann aber immer zur Oma gehen, die ihm ein Dach über den Kopf, ein Ohr und finanzielle Unterstützung bietet. Seine Mutter verfolgt den Prozess im Zuschauerraum. In der Schule bringt es der Angeklagte auf erhebliche Fehlzeiten, er kassiert an einer Berufsschule einen Schulverweis, an einer anderen macht er einen Abschluss.
Eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann bricht er ab. Er sagt heute, das Handwerk sei seine wahre Berufung. Er macht bis April eine Qualifikation und kann danach eine Lehre beginnen. Bis zu seiner Haft konsumierte er Drogen und lebte in den Tag hinein. Trotz Bewährungshilfe und Suchtberatung schaffte er es nicht, straffrei zu bleiben.
Während des Prozesses bittet der Heranwachsende um Entschuldigung für seine Taten. Er sagt: „Ich habe in Haft gelernt, hart zu arbeiten.“ Der geregelte Tagesablauf habe ihm gutgetan. Richterin Willenberg sagt: Es dürfe keine allzu großen Lücken zwischen den Aufgaben geben, „sonst zieht der Schlendrian wieder ein.“ Sie nimmt an, dass er bei einem Diebstahl neben dem Messer auch bewusst eine Schere dabei hatte. Der Angeklagte will nicht wissen, wann er diese eingesteckt hat. In einem anderen Fall kam die Schere gezielt zum Einsatz, um Diebstahlsicherungen wegzuschneiden.
Das Gericht verurteilt am Ende die beiden jungen Männer unter Berücksichtigung früherer Verurteilungen zu hohen Jugendstrafen – den Jüngeren zu drei Jahren und zwei Monaten, den Älteren zu einem Jahr und acht Monaten Gefängnis. Das Verfahren gegen einen weiteren Angeklagten wurde wegen Erkrankung der Verteidigerin abgetrennt. Ob in dem neuen Prozess die bisherige Beweisaufnahme verwertet werden kann, wird geprüft.