Noch immer stehen Kerzen und Blumen am Gebäude der Stephansschule, noch immer treffen sich dort regelmäßig Eltern, Freunde und Bekannte des siebenjährigen Jungen, der am 18. September 2023 in seiner ersten Schulschwimmstunde ertrank.

Seitdem fragen sich nicht nur die Angehörigen, was damals im Schwimmbad geschah, als eine zweite Klasse der Stephansschule zum ersten Mal ins Hallenbad am Seerhein ging. Inzwischen wurden viele Zeugen befragt, die Ermittlungen sind abgeschlossen.

Doch trotz aller Bemühungen konnte nicht geklärt werden, wie der Siebenjährige unter Wasser geriet und wie lange er unentdeckt unter der Oberfläche blieb. Dies sagt Dubravko Mandic, Anwalt der Eltern des Jungen, dem SÜDKURIER. Dennoch kommt er zu dem Urteil: „Bei der Ausgestaltung des Schwimmunterrichts wurde praktisch alles falsch gemacht.“

Der Anwalt der Familie trat für die AfD bei Wahlen an

Dubravko Mandic ist kein Unbekannter: Er war nach eigenen Angaben bis 2021 Mitglied der AfD und wurde deren rechtsnationaler Gruppierung, die unter dem Begriff Der Flügel bekannt wurde, zugeordnet. 2017 trat er, jeweils nach Angaben der Wahlleitungen, für die AfD bei der Bundestagswahl und 2021 bei der Landtagswahl an und war zeitweise auch AfD-Stadtrat in Freiburg.

Als Anwalt hat er laut der „Oberbadischen“ unter anderem einen Mann vertreten, der der Reichsbürger-Szene zugeordnet wird und in Efringen-Kirchen (Kreis Lörrach) absichtlich einen Polizisten angefahren und schwer verletzt haben soll.

„Bei der Ausgestaltung des Schwimmunterrichts wurde praktisch alles falsch gemacht“, ist die Meinung von Dubravko Mandic, ...
„Bei der Ausgestaltung des Schwimmunterrichts wurde praktisch alles falsch gemacht“, ist die Meinung von Dubravko Mandic, der die betroffene Familie vertritt. | Bild: Dubravko Mandic

Der Tod des Jungen hing laut dem Anwalt damit zusammen, dass er zu lange von der Sauerstoffzufuhr abgeschnitten war. „Mehr Augen hätten früher das Ertrinken erkannt. Und ein früheres Eingreifen von rettungserprobten Fachleuten hätte das Gehirn weniger nachhaltig geschädigt“, so Mandic.

Strafanträge lauten auf fahrlässige Tötung

Deshalb stellte er nicht nur Strafanträge gegen die im Schwimmunterricht anwesende Lehrerin und die Referendarin, sondern auch gegen die Direktorin der Stephansschule und gegen vier Angestellte der Konstanzer Bäderbetriebe (BGK). Die Strafanträge lauten auf fahrlässige Tötung.

Denn für ihn steht fest, dass der Junge starb, weil „sorgfaltswidrig erforderliche Maßnahmen zur Sicherheit im Schwimmunterricht unterlassen wurden und der Geschädigte der Todesgefahr ausgesetzt wurde.“ Die Hauptverantwortung für den tragischen Vorfall sieht der Anwalt bei der Lehrerin und der Referendarin.

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„Die Kinder spielten Waschanlage“

„Die Grenzleine zum Nichtschwimmerbereich befand sich an einer Stelle, wo der Junge bereits nicht mehr stehen konnte“, so Mandic. Das hätten die Beteiligten aus seiner Sicht bedenken müssen, zumal sich in der Klasse einige Nichtschwimmer befanden.

„Zudem spielten die Kinder ‚Waschanlage‘ und spritzten umher. Dadurch konnten die Lehrerinnen nicht erkennen, wenn jemand ertrank“, sagt der Anwalt. „Der fehlerhafte Schwimmunterricht ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für eine lückenhafte Beobachtung der Kinder verantwortlich.“

(Archivbild) Mitschüler hatten in Gedenken an das verunglückte Kind gebastelt und die Sachen an der Stephansschule neben den Kerzen ...
(Archivbild) Mitschüler hatten in Gedenken an das verunglückte Kind gebastelt und die Sachen an der Stephansschule neben den Kerzen abgestellt. | Bild: Kirsten Astor

Den Strafantrag gegen die Schulleiterin stellte er, „weil sie es unterlassen hat, das eingesetzte Lehrpersonal auf seine Schwimm- und Rettungsfähigkeit zu überprüfen.“ Dazu müsste sie bestimmte Nachweise einfordern. Doch „ob die hier eingesetzte Lehrkraft diese Voraussetzungen erfüllte, war der Direktorin nicht wichtig beziehungsweise diese ganze Problematik war ihr nicht präsent“, sagt der Anwalt.

Gegen die vier Personen der Bäderbetriebe stellte der Anwalt Strafanträge, weil sie seiner Aussage nach die Wasseraufsicht nicht wahrgenommen hatten, sondern sie auf die Lehrerin und die Referendarin übertrugen, obwohl diese nicht die dafür nötige Ausbildung besitzen und auch nicht ordnungsgemäß in die Aufgabe eingewiesen wurden.

(Archivbild) Blick in das Hallenbad am Seerhein, dessen Wassertiefe schnell zunimmt. Nach Auffassung des Anwalts der betroffenen Familie ...
(Archivbild) Blick in das Hallenbad am Seerhein, dessen Wassertiefe schnell zunimmt. Nach Auffassung des Anwalts der betroffenen Familie befand sich die Leine zur Abgrenzung des Nichtschwimmerbereichs an der falschen Stelle. | Bild: Hanser, Oliver | SK-Archiv

Staatsanwaltschaft entscheidet in wenigen Wochen

Und was sagen die Betroffenen? „Die Bädergesellschaft Konstanz äußert sich nicht öffentlich zu möglichen Strafanträgen oder Ermittlungsverfahren“, sagt Josef Siebler, Pressesprecher der Stadtwerke Konstanz. Auch die Schulleiterin, die Lehrerin und die Referendarin möchten nichts dazu sagen. Laut Heike Spannagel, Pressesprecherin des Regierungspräsidiums Freiburg als Schulaufsichtsbehörde, sind alle drei im Dienst.

Wie es nun weitergeht, ist offen. Derzeit laufen Stellungnahmefristen für die Verteidiger. „Das Verfahren wird aus Sicht der Staatsanwaltschaft bis Ende März 2024 abgeschlossen sein, falls nicht noch Nachermittlungen anstehen“, sagt Andreas Mathy, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Konstanz. Wann, wie und wo diese Vorwürfe verhandelt werden, steht deshalb noch nicht fest. Es ist auch möglich, dass der Fall gar nicht vor Gericht landet.

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Dubravko Mandic hofft, dass sich ein solches Unglück nicht wiederholt: „Täglich vertrauen Eltern den Lehrkräften blind und gehen davon aus, dass diese sorgfältig auf die Kinder aufpassen. Mit einem solchen Unfall rechnet kein Elternteil und sollte auch nicht damit rechnen müssen.“

Kritik am Schulschwimmen in Baden-Württemberg

Es gibt unter Eltern und Schwimmprofis aber auch Kritik an den Rahmenbedingungen fürs Schulschwimmen. So sagt Sybille Rinn, die bei der DLRG Konstanz für die Ausbildung zuständig ist: „Es ist unglaublich, was den Lehrern zugemutet wird. Sie sind mit sehr vielen Kindern im Wasser, oft nur zu zweit. Da läuft was schief, der Staat lässt sie alleine.“

Im DLRG-Anfängerschwimmkurs komme ein Rettungsschwimmer auf fünf Kinder, oft sei sogar noch ein Nachwuchs-Ausbilder dabei. „Umso wichtiger, dass in Konstanz jetzt auch beim Schulschwimmen zusätzliche Trainer eingebunden werden“, so Rinn. Die Stadt Konstanz, die Crescere-Stiftung und der Schwimmklub Sparta legten ein entsprechendes Programm auf.

Für alle Betroffenen gilt bis zu einem rechtskräftigen Urteil die Unschuldsvermutung.

„Es ist unglaublich, was den Lehrern zugemutet wird. Da läuft was schief, der Staat lässt sie alleine“, meint Sybille Rinn ...
„Es ist unglaublich, was den Lehrern zugemutet wird. Da läuft was schief, der Staat lässt sie alleine“, meint Sybille Rinn von der Konstanzer DLRG. | Bild: Lukas Ondreka | SK-Archiv