Karina arbeitet seit acht Jahren als Prostituierte. Sechs davon im Club Imperia im Konstanzer Industriegebiet. „Ich mache das sehr gerne“, sagt die 28-Jährige lächelnd. Wer das hört, möchte ihr glauben. Die junge Frau klingt ehrlich – auch wenn ein Teil ihrer Profession darin besteht, fremden Menschen Illusionen zu verkaufen. „Das Geld ist gut. Und es macht mir Spaß.“

Karina, Sexarbeiterin aus Rumänien.
Karina, Sexarbeiterin aus Rumänien. | Bild: Lukas Ondreka

Wenn sie Zeit hat, besucht sie ihre Familie in Rumänien. Die Eltern. Die Geschwister. Die Freunde. Dann fährt sie viele Stunden mit dem Bus in die Heimat, tauscht für eine gewisse Zeit ihre beiden Welten gegeneinander aus. Immerhin: Zeit hatte sie in den vergangenen Monaten sehr viel.

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Auch das älteste Gewerbe der Welt muss mit der Pandemie klar kommen. Mundschutz, maximal zwei Personen, kein Oralverkehr, Geschlechtsakt nur in fest definierten Stellungen, die geringsten Körperkontakt garantieren, zuvor ein Einweg-Laken auf dem Bett platzieren. Sex nach Schema F.

Diese Einweg-Laken müssen vor jedem Akt auf den Betten platziert werden.
Diese Einweg-Laken müssen vor jedem Akt auf den Betten platziert werden. | Bild: Lukas Ondreka

Doch kaum jemand beschwert sich. Im Gegenteil. Die Beteiligten sind glücklich, dass die Pforten am 12. Oktober wieder öffneten. Sieben Monate waren die Bordelle geschlossen.

Während des Lockdowns boomte der illegale Markt

Es ging gar nichts – zumindest offiziell. „Alleine in Konstanz haben mehrere Dutzend Prostituierte illegal in Hotels gearbeitet“, sagt Simon Roger, Betreiber des Club Imperia.

Bild 3: Bordelle sind wieder geöffnet – doch bezahlten Sex gibt es nur mit Mundschutz: Ein Abend im Konstanzer Club Imperia
Bild: Lukas Ondreka

Er hält einen dicken Stapel mit Kopien in der Hand. Auf jedem Papier sind Bilder zu sehen von leicht bekleideten jungen Frauen, Handynummern stehen darauf, Namen von Konstanzer Hotels und Beschreibungen der Sex-Leistungen, die angeboten werden. „Die Schließung hat den illegalen und gefährlichen Markt belebt“, ist Simon Roger überzeugt. „Die Politik hat damit niemandem einen Gefallen getan.“

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Und doch sieht Simon Roger in der Pandemie eine große Chance für das Gewerbe. „Früher gab es unter den Damen klare Regeln“, sagt er. „Keine Küsse. Französisch nur mit Gummi.“ Das habe sich im Laufe der Jahrzehnte immer mehr aufgeweicht.

Club Imperia, Bar-Bereich und Tanzfläche Video: Schuler, Andreas

„In der Illegalität haben viele Frauen alles gemacht, es wurde immer verrückter.“ Nun, in der Krise, würde sich die Möglichkeit eröffnen, den Knopf zu drücken. „Reset“, sagt Simon Roger. „Alles wieder auf Null. Das würde auch die Ausbreitung von Krankheiten wie Aids oder Syphilis eindämmen.“

Die Frauen sitzen in der Bar und warten auf Freier. Rund 70 Prozent der Gäste kommen aus der Schweiz. Einmal pro Woche werden die ...
Die Frauen sitzen in der Bar und warten auf Freier. Rund 70 Prozent der Gäste kommen aus der Schweiz. Einmal pro Woche werden die Prostituierten getestet – auf Geschlechtskrankheiten und mittlerweile auch Covid 19. „Das Gesetz schreibt nur einmal pro Jahr vor. Absurd“, sagt Roger Simon. | Bild: Lukas Ondreka

Karina sitzt auf dem Bett eines Zimmers. Das Licht ist gedämpft, in der Luft hängt der Geruch eines süßlichen Parfüms. Hier empfängt Karina ihre Freier. An diesem Abend berichtet sie dem Reporter und dem Fotografen des SÜDKURIER aus ihrem Alltag.

Wie Sexarbeiterin Karina diese Zeit erlebt

„Das hier ist mein Leben“, erzählt sie. „Ich bin Single und habe keine Kinder. Bei meinem Beruf ist eine Beziehung nicht einfach. Es ist gut so, wie es ist.“

Die jungen Frauen warten auf Freier. „Die meisten sind Stammkunden“, sagen sie.
Die jungen Frauen warten auf Freier. „Die meisten sind Stammkunden“, sagen sie. | Bild: Lukas Ondreka

Sie lächelt, spielt immer wieder mit ihrer Halskette, an der zwei miteinander verbundene Herzen hängen. Als stünden sie für die zwei Leben, die sie führt. In dem einen verkauft sie ihren Körper und lebt weitgehend anonym. In dem anderen ist sie Mensch und kann es sein. „Ich vermisse meine Familie“, sagt sie. „Aber hier sind die Kolleginnen meine Familie.“

Karina fordert Respekt ein – und erhält den nach eigener Aussage auch.
Karina fordert Respekt ein – und erhält den nach eigener Aussage auch. | Bild: Lukas Ondreka

Auf dem Mundschutz der jungen Frau steht RESPECT. „Die meisten Männer respektieren mich und meine Arbeit. Kein Problem.“ Den Mundschutz muss sie derzeit tragen, wenn sie Geld verdient. Darin unterscheidet sie sich nicht von vielen anderen berufstätigen Menschen.

Vor den Zimmern hängen Vorrichtungen mit Desinfektionsmitteln.
Vor den Zimmern hängen Vorrichtungen mit Desinfektionsmitteln. | Bild: Lukas Ondreka

Die Corona-Verordnung schreibt Karina und ihren Kolleginnen vor, sich und die Kunden vor dem Virus zu schützen. Das klingt fast ironisch. Wenn jemand wissen sollte, wie man sich durch den Überzug eines künstlichen Stoffes über ein Körperteil vor einem Virus schützen kann, dann Prostituierte. Der Mund-Nasen-Schutz als Kondom für das Gesicht. Die Frauen werden jeden Freitag getestet – auf Geschlechtskrankheiten und auf Covid-19.

Bild 8: Bordelle sind wieder geöffnet – doch bezahlten Sex gibt es nur mit Mundschutz: Ein Abend im Konstanzer Club Imperia
Bild: Schuler, Andreas

„Na klar“, sagt die Rumänin. „Es gibt Männer, die bieten extra Geld, damit wir den Mund-Nasen-Schutz ablegen. Manche wollen ja auch kein Kondom benutzen. Aber das machen wir nicht.“ Die meisten seien Stammkunden, „und die wissen, wie man sich benimmt. Die wollen ja nicht, dass wir wieder schließen“.

Nur jeder zweite Barhocker darf genutzt werden.
Nur jeder zweite Barhocker darf genutzt werden. | Bild: Lukas Ondreka

Eine größere Hürde als der Mundschutz: Die Freier müssen bei Betreten des Clubs Namen, Adressen und Telefonnummer hinterlassen – so wie in Restaurants oder Cafés auch. Das dient der Nachverfolgung im Falle einer Covid-19-Infektion im Club.

Bild 10: Bordelle sind wieder geöffnet – doch bezahlten Sex gibt es nur mit Mundschutz: Ein Abend im Konstanzer Club Imperia
Bild: Schuler, Andreas

„Wer gibt gerne seine Nummer her, wenn er etwas macht, was niemand wissen soll?“, fragt Simon Roger, der in Konstanz seit mehr als 50 Jahren in der Szene aktiv ist – Arabella, Klein Paris, Relax Center, Imperia.

Roger Simon steht an der Bar seines Clubs. „Durch das Prostituiertenschutzgesetz und durch die Schließung der Bordelle werden die ...
Roger Simon steht an der Bar seines Clubs. „Durch das Prostituiertenschutzgesetz und durch die Schließung der Bordelle werden die Frauen in die Illegalität getrieben.“ | Bild: Lukas Ondreka

„Die Frau daheim soll ja nicht wissen, dass ihr Mann hier gewesen ist.“ Und doch hat er erst eine Handvoll Besucher erlebt, die sich weigerten und daher unverrichteter Dinge nach Hause geschickt wurden.

„Das Geschäft ist wieder krimineller geworden“

Fatal wäre in seinen Augen eine erneute Schließung. „Das würde viele wieder in die Illegalität treiben“, ist er überzeugt. Mit der Einführung des Prostitutionsgesetzes wurde die Sexarbeit 2002 von der Sittenwidrigkeit befreit und gilt seither rechtlich als anerkannte Tätigkeit.

Bild 12: Bordelle sind wieder geöffnet – doch bezahlten Sex gibt es nur mit Mundschutz: Ein Abend im Konstanzer Club Imperia
Bild: Lukas Ondreka

2017 trat das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft. Der Berufsverband Sexarbeit wies von Beginn an auf Probleme hin. „Das Gesetz verfehlt sein Ziel – den Schutz von Sexarbeitenden“, schreibt der Berufsverband. „Die Situation für Menschen in der Sexarbeit hat sich dadurch verschlimmert.“

Der große Wellnessbereich im Club Imperia ist derzeit geschlossen. „Die Hygieneauflagen sind zu hoch“, sagt Betreiber Roger ...
Der große Wellnessbereich im Club Imperia ist derzeit geschlossen. „Die Hygieneauflagen sind zu hoch“, sagt Betreiber Roger Simon. „Und das Risiko, dass sich Menschen infizieren und wir daher wieder zumachen müssen, ist zu groß.“ | Bild: Lukas Ondreka

Aus Angst vor einem Outing oder fehlender Arbeitserlaubnis würden viele Frauen in die Illegalität getrieben. „Dort arbeiten sie dann alleine, können sich nur schwer an die Polizei wenden und werden von Beratungsstellen nicht erreicht“, schreibt der Berufsverband.

Simon Roger stimmt dem zu: „Die Anzahl von Geschlechtskrankheiten hat seit dem Gesetz zugenommen und das Geschäft ist wieder krimineller geworden.“

Bild 14: Bordelle sind wieder geöffnet – doch bezahlten Sex gibt es nur mit Mundschutz: Ein Abend im Konstanzer Club Imperia
Bild: Lukas Ondreka
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