In den vergangenen Tagen wurden in Konstanz und in grenznahen Apotheken vermehrt Schweizer mit gefälschten deutschen Impfausweisen erwischt, die sich ein Impfzertifikat erschleichen wollten. Diese werden derzeit über diverse Gruppen im Internetnachrichtendienst Telegram vertrieben.
In einer der größten derartigen Gruppen sind derzeit fast 2000 Mitglieder. Schon die Information der Gruppe zeigt auf, um was es hier geht: „Wir machen aus der 3-G-Regel die 4-G-Regel – Genesen, Getestet, Geimpft oder gefälscht.“
„Freiheitspässe“ werden in geheimen Chats verkauft
Der Nachrichtenverlauf der Gruppe lässt sich einige Monate zurückverfolgen und es zeigt sich: Seit Mitte Juni werden sogenannte „Freiheitspässe“ verkauft. Das gelbe Büchlein wird dabei nicht direkt über die öffentliche Gruppe angeboten, sondern nur in geheimen Chats verkauft. Diese haben den Effekt, dass sie sich selbst löschen und es keine Möglichkeit gibt, die Nachrichten zu kopieren oder weiterzuleiten.
Tritt man einem geheimen Chat bei, bekam man lange Zeit erst eine Sprachnachricht in einem Ostschweizer Dialekt. Einmal war es eine freundliche Frau, dann ein Mann. Es haben sich mindestens fünf unterschiedliche Stimmen zu Wort gemeldet. Auch ein Mann in Deutsch meldet sich, bei einer erneuten Anfrage. Die Leute nennen sich „Kundenberater“. Eine Recherche hat schnell die mit dem Account verknüpfte deutsche Telefonnummer zu Tage gefördert. Telefonieren wollte jedoch trotz mehrmaligen Versuchen niemand.
2000 Euro für das digitale Zertifikat
In einem kollegialen Tonfall wird einem der Ablauf erklärt, wie man als Schweizer den falschen Impfpass bekommt: Erst gibt man seine Daten wie Name, Vorname und Geburtsdatum an. Dann bekommt man ein Video zugestellt, das zeigen soll, dass der gelbe Impfpass mit den eigenen Daten erstellt wurde. Schließlich soll man bezahlen. Ein Mann, der sich lieber Henry nennt, schreibt: „Die Bezahlung über Bitcoin ist nötig, weil wir uns außerhalb des rechtlichen Rahmens bewegen.“
Der erste falsche Impfpass kostet 500 Euro. Wer mehr bestellt, bekommt Rabatte. Mit diesen 500 Euro bestellt man jedoch lediglich das gelbe Impfbüchlein der EU. Dieses muss dann in Deutschland von den Käufern selbst in ein digitales Impfzertifikat umgewandelt werden. Wer direkt ein digitales Schweizer Impfzertifikat bestellen möchte, bestellt das „Premium-Paket“ inklusive Beratung für 2000 Euro – wiederum via Kryptowährung Bitcoin.
Die Betrüger verkaufen den Kunden gelbe Impfbescheinigungen, die mit echten Chargennummern und den Impfdosen aus dem jeweiligen Impfzentrum nach Wunsch versehen sind. Damit soll dann auch die Echtheit der Angaben von den Behörden geprüft werden können.
Im Telegram-Chat bedanken sich Hunderte Kunden für den tollen Service und versichern, dass niemand etwas gemerkt habe. Schreibt jemand etwas Kritisches, wird darauf bestanden, nur per Privatnachricht zu kommunizieren und schließlich verschwinden die kritischen Nachrichten nach einer kurzen Zeit ganz. Das System scheint ausgefuchst zu sein und das Geschäft mit den falschen Pässen floriert: Eine Recherche zeigt: In den letzten drei Monaten wurden mindestens 600 falsche Impfpässe verkauft, was einer Summe von rund 300.000 Euro entspricht – sofern die Käufer nicht auch Figuren im Spiel der Betrüger sind.
Käufer der gefälschten Pässe werden erwischt und online gelöscht
Userin Andrea (nur Nutzername, echter Name unbekannt) aus Aarau hat sich auf dieses Spiel eingelassen und vor einigen Wochen einen „Freiheitspass“ gekauft. Sie hat Bitcoin überwiesen und dann den Pass über eine Lieferadresse nach Konstanz geschickt. „Ich hatte wirklich ein gutes Gefühl und habe mich verleiten lassen, die Impfung zu umgehen – jetzt habe ich eine Anzeige wegen Urkundenfälschung am Hals“, erzählt sie in einem geheimen Chat, der kurz nach dem Austausch wieder verschwindet und gelöscht wurde. Andrea, die sich nicht impfen lassen will, wurde im süddeutschen Raum in einer Apotheke erwischt und überführt.
Auch ein anderer User beschwert sich in der Gruppe, er habe seinen Pass noch immer nicht erhalten. Man glättet die Wogen und verlangt von Thomas (nur Nutzername, echter Name unbekannt), dass er sich per Privatnachricht mit den Verkäufern in Kontakt setzen soll. Kurz darauf verschwindet seine Nachricht aus dem Gruppen-Chat. Privat angeschrieben, antwortet er kurz angebunden: „Sie haben meinen echten Namen, meine Daten und mein Geld. Was soll ich machen? Ich hoffe, die Pässe kommen noch.“
Dann löscht der User den Chat und das Fenster verschwindet. Wer sich im Gruppenchat negativ äußert, verschwindet.
Apotheker sind skeptisch bei Impfpässen
So clever die Betrüger auch agieren, sie haben die Rechnung nicht mit den Apothekern gemacht. In Konstanz häufen sich in diesen Tagen die Meldungen, dass Personen mit falschen Impfausweisen versuchen, diese digitalisieren zu lassen. Die Apotheker sind alarmiert: „Wenn da ein Schweizer aus Zürich, oder St. Gallen daherkommt, der angeblich in München geimpft wurde, werden wir natürlich skeptisch“, sagt Apotheker Daniel Hölzle von der Tiergarten-Apotheke in Konstanz. Auch seien Pässe seltsam, in denen lediglich die Covid-Impfungen vermerkt wurden. Man sei seit einiger Zeit auf der Hut vor Menschen, die sich die Zertifikate erschleichen wollen.
Auch in anderen Apotheken ist man vorsichtig: Nur wenige Straßen vom Bahnhof entfernt stehen zwei Frauen an einem Tresen in der Apotheke. Sie diskutieren unüberhörbar laut mit der Apothekerin, warum das mit dem Impfpass digitalisieren nicht gehe. Die ältere Frau spricht Hochdeutsch mit einem deutlichen Schweizer Akzent. Der Apothekerin wird die Sache zu bunt: „Dann gehen Sie doch in eine andere Apotheke, wenn Sie ihre Unterlagen nicht alle zeigen können.“ Die beiden Frauen machen sich dann schnell aus dem Staub.
Auf die Situation angesprochen wollen sie nichts von einem Impfpass gesagt haben, sondern es sei um etwas anderes gegangen: „Das geht Sie gar nichts an“, keift die jüngere Frau auf Schweizerdeutsch. Die Frauen ziehen davon und die Apothekerin nimmt den nächsten Kunden entgegen. Einen Kommentar dazu will sie nicht abgeben. Sie schüttelt nur den Kopf. Allgemein dürfe man jedoch nicht alle Menschen unter Generalverdacht stellen, die man vor sich habe. Unterdessen tauschen sich die Mitglieder der Telegram-Gruppe darüber aus, wo man noch eine Chance auf eine Digitalisierung hat.
Neue Form von Enkeltrick
Die Vorgehensweise der Verkäufer und der Kunden machen auch Ostschweizer Behörden wachsam. Während die Thurgauer Kantonspolizei bereits einige Leute mit gefälschten Impfpässen erwischt hat und wegen Urkundenfälschung ermittelt, hat auch die St. Galler Kantonspolizei die Fährte aufgenommen. Für Hanspeter Krüsi, Mediensprecher der Kantonspolizei St. Gallen ist der Fall klar: „Das ist wieder eine Art Enkeltrick. Einfach eine neue Masche, auf die wohl wieder viele Leute hereinfallen und irgendwelchen Unbekannten Geld überweisen.“
Tatsächlich wirken die meisten Mitglieder in der Telegramgruppe über 40 Jahre alt. Ein Verkäufer gibt sogar an, dass Personen über 70 die falschen Pässe gekauft haben sollen. So schnell wie in der Telegram-Gruppe täglich Leute schreiben, sie seien betrogen worden und wollen endlich ihre Pässe oder ihr Geld zurück, so schnell verschwinden diese Nachrichten wieder aus den Chats. Bei keiner Polizei sind bislang Anzeigen von Geschädigten eingegangen.