Manu Vogel hat die Aktion Kulturgesichter erstmals letzten Herbst in Freiburg auf Facebook gesehen. Zurück in Konstanz hörte er sich um, hier gab es das noch nicht. Zeit, dies zu ändern. Er fand in Benni Kreibich einen Mitstreiter, der dafür das Netzwerk des Kula mitbrachte, und mit Karsten Lubinsky einen Musikbegeisterten, der ebenfalls anpacken wollte.

Geschichte der Kulturgesichter-Aktion

Das Kulturamt stellte ein kleines Budget zur Verfügung, mit dem der professionelle Fotograf Chris Daneffel engagiert werden konnte. „An zwei Wochenenden im Dezember haben wir dann hier im Kula 130 Menschen aus der Kulturszene portraitiert“, erinnert sich Vogel. „Und das alles mit ausgefeiltem Hygiene-Konzept“, ergänzt Kreibich. Das sei ein ganz schöner Aufwand gewesen. Der sich aber gelohnt hat.

Hinter jedem Gesicht verbirgt sich ein Schicksal

„Wir waren von der Nachfrage wirklich überrascht“, gibt Vogel zu. Schnell habe sich die Aktion herumgesprochen, im Netz wurden die Bilder geliket, sodass es im März an einem Samstag noch einmal ein Shooting mit 60 weiteren Personen gab.

Manu Vogel, Musiker/Kulturgesichter-Initiator
Manu Vogel, Musiker/Kulturgesichter-Initiator | Bild: Chris Danneffel

„Wir haben jetzt so viele Bilder, wir können bis in den Juni jeden Tag ein neues Foto hochladen“, vermerkt der Junglehrer nicht ohne Stolz. Und dann hoffe man, dass „es wieder aufgeht“. Und man endlich wieder Konzerte, Live-Acts, Theater – ja, einfach Kultur erleben könne.

„Hinter jedem Gesicht stehen ja oft noch weitere Menschen, manchmal eine ganze Firma oder eine Band mit allen, die da mithelfen“, ergänzt Andrea Riegel. Sie arbeitet in dem Grafikdesign- und Medientechnik-Unternehmen „a2r:media“.

Andreas Riegel, Videotechnikerin
Andreas Riegel, Videotechnikerin | Bild: Chris Danneffel

Zwölf Mitarbeiter, drei Azubis. Für sie gelte kein Berufsverbot, aber woher Aufträge nehmen, wenn es so wenig Veranstaltungen gibt? Im Moment verdiene man sein Geld mit sogenannten „hybriden Veranstaltungen“ wie Streamings oder Videos.

Harte Zeiten, in denen das Kalkulieren und Wirtschaften schwerfällt. Das Schwierige sei die Planungsunsicherheit. „Im April und Mai hatten wir einige Firmenveranstaltungen geplant, die wir nun alle wieder rückabwickeln müssen.“

Das könnte Sie auch interessieren

Teilweise nehme man Aufträge an, die wenig einbrächten, nur um den Azubis etwas Praxis zu ermöglichen. „Wir alle müssen schauen, dass wir nicht aus der Übung kommen.“ Dem festangestellten Veranstaltungstechniker werde gerade ermöglicht, seine Meisterprüfung während des Lockdowns zu machen. Auch das trage das Unternehmen mit. Alles nicht einfach.

„So viel Arbeit für die Tonne!“

Das sei so frustrierend, bestätigt auch Roberto Hirche, Chef des Improtheaters Konstanz: „So viel Arbeit für die Tonne!“ Planen, verwerfen, neu planen, absagen, wieder konzipieren – die Arbeit ist nicht weniger geworden, eher im Gegenteil, aber sie sei eben oft nicht mehr effektiv.

Sein Unternehmen halte sich hauptsächlich mit Business-Theater über Wasser, das man online anbiete. „Wir hören uns zum Beispiel Konferenzen an und spiegeln dann den Teilnehmern im improvisierten Spiel, was wir gehört und gesehen und worüber sie vielleicht auch nicht gesprochen haben.“

Roberto Hirche, Impro-Spieler
Roberto Hirche, Impro-Spieler | Bild: Chris Danneffel

Das alles nur digital. Was sehr viel mehr Energie koste, als wenn man das live machen könnte. Auch drehe man in der Schweiz Lehrvideos für „interaktives Lehren und Lernen“. Letztlich, so Hirche, gehe es darum, die Mitarbeiter bei der Stange zu halten, diese würde man so gut es geht bezahlen, und man spare halt am eigenen Gehalt. Damit nicht kaputt geht, was man sich 16 Jahre lang aufgebaut hat. Auf der Straße werde er manchmal von ehemaligen Kursteilnehmern angesprochen und gefragt: „Werdet ihr überleben?“

Die Zuschauer werden „streaming-müde“

Dem kann Fanny Zimmermann, Eventmanagerin der Kantine, nur zustimmen. Diese Frage habe sie schon öfter gehört. Bei ihnen ist gerade alles zu, alle in Kurzarbeit. Der Umsatz, um zum Beispiel den Mittagstisch weiter zu betreiben, hätte nicht ausgereicht, um die nötigen drei Gehälter zu zahlen. „Die einzige Veranstaltungen, die ich letztes Jahr betreuen konnte, war unser ,Vlohmarkt‘, mehr gab‘s nicht live!“

Fanny Zimmermann, Eventmanagerin
Fanny Zimmermann, Eventmanagerin | Bild: Chris Danneffel

Stattdessen auch nur digitale Angebote, wie vor kurzem ein Podcast mit einigen DJs, die in den Interviews auch privat von sich erzählten. Um den Kontakt zu den Gästen zu halten. Aber die Leute seien auch so langsam „streaming-müde“. Düstere Zeiten also. Und abwarten, wie es weitergeht. Ohne zu wissen, wie es weitergeht. „Aber wir werden überleben“, ist sie sich sicher.

Das könnte Sie auch interessieren

Der Kula, so berichtet Kreibich, habe den Lockdown für weitreichende Umbauarbeiten im Bühnen-und Eingangsbereich genutzt. Daneben gestalten sich die Planungen für einen Sommer mit Veranstaltungen schwierig.

Weil keiner weiß: Wie viele Zuschauer werden zugelassen, welche Konzepte werden benötigt? Da könne man eigentlich keine Band buchen, weil die ja gar nicht wüssten, worauf sie sich einlassen. „Man hat überhaupt keinen Vorlauf mehr!“ Und eine Perspektive fehle sowieso.

Benjamin Kreibich, Booker/Kulturgesichter-Initiator
Benjamin Kreibich, Booker/Kulturgesichter-Initiator | Bild: Chris Danneffel

Aber so abgedroschen es klingen mag: Die Krise als Chance, auch das gab und gibt es. So hat „a2r.media“ mit dem Kula zusammen rund 30 Bandauftritte gestreamt. „Wir haben ja auch einen gesellschaftlichen Kulturauftrag, dem wir in diesen Krisenzeiten nachkommen wollen, indem wir Künstlern zumindest eine Plattform bieten“, bekennt Kreibich vom Kula.

Krise hat sie zusammengeschweißt

Die Agentur von Andrea Riegel hat das alles ehrenamtlich gemacht. Eine Zusammenarbeit, die auch noch Früchte trug im „Kultursommer“ letzten Jahres, der ohne Corona, so sind sich alle einig, in dieser Form so nicht stattgefunden hätte.

„Die Kulturszene in Konstanz hat sich mehr miteinander verbunden,“ ist sich Riegel gewiss. „In der Krise gab es viel mehr intensiven Austausch, und wir kamen in Konstellationen zusammen, die es vorher so nicht gab.“ Das mache auch Mut für die Zukunft.

Karsten Lubinsky, Musiker/Kulturgesichter-Initiator
Karsten Lubinsky, Musiker/Kulturgesichter-Initiator | Bild: Chris Danneffel

Und nun diese Plakataktion. Die einen neuen Zusammenhalt schafft. Und die endlich auch mal die zeige, die man sonst nicht zu sehen bekomme. Die hinter der Bühne arbeiten, die im Voraus planen, die auf-und abbauen, beleuchten, Tickets drucken.

Denn: „Wenn vier auf der Bühne stehen, haben 40 drumherum mitgearbeitet!“ Alle bekämen nun ein Gesicht. „Da ist alles dabei: Von der Songwriterin, die zu 100 Prozent davon lebt, bis zu dem, der sich nach Feierabend noch in einem Proberaum mit seiner Band trifft“, umreißt Vogel die Spannbreite.

Adrian Rippel, Musiker/Booker/Kulturgesichter-Initiator
Adrian Rippel, Musiker/Booker/Kulturgesichter-Initiator | Bild: Chris Danneffel

Durch die Aktion bekämen vielleicht alle etwas mehr von der Anerkennung, die ihnen gebührt, so Riegel. Und Fanny Zimmermann von der Kantine ist beim Betrachten der Bilder teilweise sogar gerührt: „Wie lange manche schon mit so viel Herzblut dabei sind und mit ihrer Kunst ihren Lebensunterhalt bestreiten – das ist schön zu sehen!“

Roberto Hirche fasst es so zusammen: „Mit der Aktion wird der Schleier gelüftet. Wir, die wir oft so für uns alleine rumwurschteln, sehen: Da sind die anderen!“ Ein gutes Gemeinschaftsgefühl, trotz Krise.

Die Botschaft: „Uns gibt es noch!“

Deswegen will man jetzt noch mehr Öffentlichkeit. Vogel träumt von Bussen, auf denen die Kulturgesichter aufgedruckt durch die Stadt fahren. Ein großes Banner mit allen drauf wäre schön, eine Projektion der Gesichter an prominente Gebäude der Stadt. Vieles ist vorstellbar, manches hoffentlich auch machbar.

Doch dafür braucht es noch Sponsoren. Und helfende Hände. „Uns wäre auch schon geholfen, wenn möglichst viele Geschäfte bereit wären, unsere Plakate aufzuhängen!“ Drei verschiedene mit je 40 Gesichtern gibt es schon und warten darauf, gesehen zu werden. Konstanzer Kulturgesichter wollen sich zeigen: „Uns gibt es noch!“

Das könnte Sie auch interessieren