Es war ein Meilenstein, den die DKMS im Mai 2022 erreicht hat: 100.000 Patienten mit Blutkrebs oder anderen lebensbedrohlichen Bluterkrankungen, die weiterleben können, weil ein genetischer Zwilling für sie gefunden wurde und Stammzellen spendete. Zu den Spendern gehören auch diese drei Frauen aus der Region, die hier ihre Geschichte erzählen.

Tanja Rebmann, Konstanz

Eigentlich hat Tanja Rebmann ja Angst vor Spritzen. Kaum zu glauben, aber ausgerechnet durch ihre Stammzellspende wurde sie davon geheilt. „Ich habe mir schon als 16-Jährige überlegt, mich dafür registrieren zu lassen“, erzählt die Konstanzer SPD-Stadträtin. Das Stammtischgerede über die Gefahren der Spende habe sie aber erst einmal abgeschreckt.

Tanja Rebmann hat mir ihrer Spende einem Schweizer geholfen.
Tanja Rebmann hat mir ihrer Spende einem Schweizer geholfen. | Bild: Tanja Rebmann

Bis zu dem Tag im Jahr 2017, als sich die damalige Studentin an einem Stand des Vereins „Aias – Studierende gegen Blutkrebs“ an der Universität dann doch das Stäbchen in den Mund stecken ließ. „Etwa ein Jahr später kam der Anruf der DKMS: Ich sei in der engeren Auswahl!“ Es folgten die Abnahme einer Blutprobe beim Hausarzt und verschiedene Tests im Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart, schließlich das Okay.

Vor allem aber folgte der Kampf mit den Nadeln! Denn in den fünf Tagen vor der Entnahme musste sie sich zweimal täglich eine Spritze geben, um sich ein Mittel zu verabreichen, das die Stammzellvermehrung im Blut ankurbelt. Eine Spritze in den Bauch, wohlgemerkt. „Zum Glück halfen mir zwei ganz tolle Freundinnen, die das morgens und abends bei mir gemacht haben“, erzählt sie. Am letzten Tag schaffte sie es sogar allein.

Die Spende in Stuttgart dauerte schließlich sechs Stunden. Länger als bei anderen, denn es ist halt nicht so einfach, ihre Venen zu finden. „Aber alle vor Ort waren total nett zu mir und haben mir beigestanden“, sagt Rebmann.

Wie bei dieser Art der Spende üblich, wurde ihr das Blut aus einem Arm entnommen, floss über einen Schlauch in ein Gerät, das die Stammzellen separiert, und über einen weiteren Schlauch zum anderen Arm in den Körper zurück.

Tanja Rebmann bei der Stammzellspende.
Tanja Rebmann bei der Stammzellspende. | Bild: Rebmann

Nach der Spende erfuhr Tanja Rebmannn, wer sie erhalten hatte: Ein Mann mittleren Alters aus der Schweiz. Mehr Informationen gibt es nicht, da die Anonymität der Empfänger im Nachbarland sehr strikt geschützt wird. „Ich hätte über die DKMS einen einzigen Brief an ihn schreiben dürfen, den er vielleicht beantwortet hätte, aber ich wollte nicht aufdringlich sein“, sagt die 29-Jährige.

Als der Mann Anfang 2020 noch einmal weiße Blutkörperchen von ihr benötigte, um den Heilungsfortschritt zu verstärken, gab es kein langes Nachdenken für Tanja Rebmann. „Ich bin beide Male nach der Spende aufgestanden und habe gedacht: Das war so einfach, und man gibt damit jemandem die Chance weiterzuleben. Deshalb mache ich, zum Beispiel in sozialen Medien, immer wieder darauf aufmerksam.“ Stets betont sie dabei, dass man keine Angst davor haben muss.

Und heute kann sich Tanja Rebmann auch ganz normal Blut abnehmen lassen.

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Silke Sauer, Reichenau

Die Musik von Abba, die Geschichten von Astrid Lindgren – Silke Sauer aus der Reichenauer Waldsiedlung hatte schon als Kind eine besondere Beziehung zu Schweden und wollte das Land unbedingt besuchen. Nun reist sie im August tatsächlich dorthin. Den Grund dafür hätte sie sich früher allerdings niemals träumen lassen.

Dank Silke Sauer kann ein 22-jähriger Schwede weiterleben.
Dank Silke Sauer kann ein 22-jähriger Schwede weiterleben. | Bild: Oliver Hanser

Weil es in ihrer Bekanntschaft einen Fall von Blutkrebs gab, ließ sich Silke Sauer 2010 das Test-Kit mit den Stäbchen zuschicken. Im Dezember 2013, das Ganze war mehr oder weniger vergessen, hatte sie plötzlich die DKMS am Telefon. „Ich bin total aus dem Häuschen gewesen“, denkt die 51-Jährige an diesen Tag zurück. Kurz nach dem erforderlichen Hausarzttermin mit Blutabnahme, den die DKMS für sie organisierte, erhielt sie frohe Kunde: Es passt!

Bei der Voruntersuchung in Köln quälte Silke Sauer dann vor allem ein Gedanke: „Oh Gott, wenn die jetzt was finden. Der Empfänger braucht mich doch so dringend!“ Doch Sauer war fit. Auch ihr stand die Prozedur mit den Spritzen in den Bauch bevor, für die sie sich extra ein YouTube-Video ansah, um alles richtig zu machen. „Ich hatte schon nach zwei Stunden grippeähnliche Nebenwirkungen, aber ich wusste ja, wofür.“

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Für die Spende ging es dann im März 2014 erneut in die Rheinmetropole, mit dem Flugzeug ab Zürich, samt Übernachtung im Hotel. Nach vier Stunden in der Entnahmeklinik waren die Stammzellen separiert. Noch im Hotel erhielt sie einen Anruf der DKMS, dass ihre Spende auf dem Weg nach Schweden sei, wo ein 22-jähriger Mann darauf warte.

Fünf Jahre lang erfuhr sie in einem Brief pro Jahr von der DKMS, wie es dem Empfänger geht. „Ich habe in der ganzen Zeit wirklich jeden Tag an ihn gedacht“, erzählt die Erzieherin, die in Allensbach im Kinderhaus St. Nikolaus arbeitet. Als das halbe Jahrzehnt Anonymitätsfrist, das in diesem Fall galt, endlich abgelaufen war, bat sie schließlich um Kontakt.

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Im Juli 2020 schickte die Schwester ihres Empfängers eine E-Mail – mit Bildern von Silke Sauers genetischem Zwilling. „Sie wollten wissen, wer der Engel ist, der ihrem Bruder das Leben gerettet habe“, erzählt die Reichenauerin und kämpft mit den Tränen. Mittlerweile hat man sich geschrieben, ist bei Facebook befreundet. „Er hat einen kleinen Sohn. Das sind solche Glücksgefühle.“

In ein paar Wochen, achteinhalb Jahre nach ihrer Spende, wird sie den beiden Menschen, die es ohne sie wahrscheinlich nicht gäbe, gegenübertreten.

Sandra Beil, Konstanz

Sandra Beil ist ein Sonderfall. Und zwar nicht nur deshalb, weil ausgerechnet ein Beitrag im SÜDKURIER, wo die 31-jährige gelernte Reiseverkehrskauffrau mittlerweile arbeitet, der Auslöser war. Sondern auch, weil die DKMS bei ihr zwei Anläufe nahm. Und weil in ihrem Fall die Stammzellen aus dem Knochenmark gewonnen werden mussten.

Sandra Beil hat einen kleinen Jungen aus Dänemark gerettet.
Sandra Beil hat einen kleinen Jungen aus Dänemark gerettet. | Bild: Oliver Hanser

Bei der Aktion für die an Blutkrebs erkrankte Isabel Allert, über die der SÜDKURIER berichtete, ließ sich Sandra Beil Anfang 2017 im Bodenseeforum als Spenderin registrieren. Rund ein Jahr später nahm die DKMS erstmals zu ihr Kontakt auf – um ihr später mitteilen zu müssen, dass es dem möglichen Empfänger zu schlecht für die Behandlung gehe.

Nach wiederum zwölf Monaten rief die Organisation erneut an. „Ich war gerade in der Mittagspause“, erinnert sich Sandra Beil an den Moment, als alles ins Rollen kam. Paket für die Blutabnahme beim Hausarzt, Untersuchung in Tübingen, wo die DKMS auch ihren Sitz hat – soweit schien alles wie bei den anderen beiden Frauen zu sein.

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Doch dann das: In ihrem Fall reichte nicht die Spende über das Blut, bei ihr mussten die Stammzellen aus dem Knochenmark im Beckenkamm entnommen werden. Wollte sie sich dem Eingriff trotzdem aussetzen? „Ja klar“, lautete Beils Reaktion. „Ich hatte auch vorher schon Vollnarkosen, deshalb habe ich mir da keine Gedanken gemacht.“

Am 2. April 2019 rückte die Konstanzerin ins Universitätsklinikum Tübingen ein, in dem sie zwei Wochen zuvor bereits einen Rundumcheck absolviert hatte. „Meine Bettnachbarin hatte selbst Leukämie“, erzählt sie, „alle dort wussten Bescheid und waren besonders freundlich zu mir.“

Als sie aus der Narkose erwacht war, spazierte der Arzt zum Zimmer herein und fragte sie, ob ihr aufgefallen sei, dass auf ihrem Rücken statt der üblichen zwei Pflaster nur eins klebe. Es war ihr aufgefallen, und der Mediziner nannte ihr den Grund dafür: Ihre Spende ging an einen kleinen Jungen aus Dänemark. Er benötigte nur eine geringe Menge an Stammzellen. Weshalb ein Einstich reichte.

„Ich hab‘ direkt angefangen zu heulen“, denkt Sandra Beil an das Gespräch zurück. Zumal ihre Zimmergenossin auch noch gesehen hatte, wie der Hubschrauber mit der Spende unmittelbar nach dem Eingriff vom Klinikgelände abhob, während die Konstanzerin noch betäubt war. „Ich war so glücklich, weil ich einem kleinen Kind geholfen hatte, und gleichzeitig so traurig, weil ein kleines Kind an Leukämie leidet.“

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Beil hat den Eltern des Jungen ein paar Zeilen geschrieben und so erfahren, dass er mittlerweile in den Kindergarten geht und gern Dreirad fährt. Und dass man ihr ein Leben lang dankbar sein werde. Die DKMS fragt jedes Jahr, ob weiterer Kontakt gewünscht wird. „Leider wollen die Eltern das jetzt aber nicht mehr“, sagt die Redaktionsassistentin.

Dafür kann es viele Gründe geben. Solange es ihrem kleinen genetischen Zwilling nur gut geht, zerbricht sich Sandra Beil darüber nicht den Kopf.