Damit hätte Nicolette Bruns nun wirklich nicht gerechnet: Sie war als Gast bei Johannes B. Kerners Spendengala „Ein Herz für Kinder“ eingeladen und ihr sollte, genau wie 24 weiteren Kinderkrankenschwestern und -pflegern, für ihren unermüdlichen Einsatz gedankt werden.
Doch anstatt des in der Generalprobe geprobten Interviews mit dem Moderator trat in der Live-Sendung plötzlich Olaf Scholz auf die Bühne, der drei Tage später zum Bundeskanzler ernannt wurde. Und der überreichte Nicolette Bruns und zwei Kollegen stellvertretend für ihren Berufsstand einen Ehrenpreis. „Ich war total aufgeregt und stolz, diesen beeindruckenden Mann kennengelernt zu haben“, erzählt die 55-Jährige später im Gespräch mit dem SÜDKURIER. „Überhaupt war diese ganze Sendung in Berlin mega beeindruckend.“
Krankenschwestern ersetzen die Eltern
Das ist aber auch die Arbeit von Nicolette Bruns. Die gebürtige Konstanzerin arbeitet seit vielen Jahren im Herzzentrum Bad Oeynhausen in Nordrhein-Westfalen als Kinderkrankenschwester. „Oft kommen die kleinen Patienten, die auf ein Spenderherz warten, mit eineinhalb Jahren zu uns und wir müssen uns nicht nur medizinisch kümmern, sondern oft auch die Eltern ersetzen, die nicht rund um die Uhr da sein können“, erzählt Bruns.
Und bei den Kindern im Grundschulalter sind sie und ihre Kollegen auch Seelsorger. „Nachts kommen die Fragen nach dem Tod“, sagt die 55-Jährige. „Die Kinder verstehen, dass ihnen nur geholfen werden kann, wenn ein anderes Kind stirbt. Manche fragen auch, ob sie nach der Transplantation eine andere Mama lieben, denn das Herz verbinden sie mit Liebe.“
Nicolette Bruns und ihr Patient sind bis heute verbunden
Eines Tages kam der zweijährige Noah ins Herzzentrum und baute eine enge Bindung zu Kinderkrankenschwester Nicolette Bruns auf. „Auch Noah brauchte eine Transplantation und bekam in der einjährigen Wartezeit ein externes Herz. Diese Maschine hängt an Schläuchen, die einen Bewegungsradius von 15 Metern erlauben. In diesem kreiste Noah immer um uns herum und obwohl er so krank war, stand sein Schnäbelchen nie still“, erinnert sich Nicolette Bruns und lacht.
Eines Tages nannte Noah sie aus Spaß „Brokkoli“ – und sie ihn „Herr Käse“. Der Spaß blieb, die Verbindung zu Brokkoli auch: Noch heute, vier Jahre nach der Transplantation, sind die beiden in Kontakt. „Noah fand mich toll, weil ich immer gute Laune hatte“, sagt Bruns und ergänzt: „Das mache ich gern für die Kinder, sie müssen eh schon so tapfer sein.“
Sorge um den Personalmangel
Dennoch vergeht der Kinderkrankenschwester angesichts des akuten Personalmangels oft die gute Stimmung. „Wir haben keine Zeit mehr am Kind“, sagt die Krankenschwester. „Für die Fütterung eines Säuglings dürfen wir nur dreieinhalb Minuten brauchen!“ Auch ein besseres Gehalt sei angebracht: „Viele von uns, so auch ich, haben einen Zweitjob.“

Erholungsphasen gibt es kaum: Hat Nicolette Bruns vier Tage frei, komme oft schon am zweiten Tag der Anruf mit der dringenden Bitte einzuspringen. „Viele machen das, gehen dabei aber über ihre Grenzen. Sie tun das für die Kinder, aber wenn wir immer alles auffangen, ändert sich nie etwas.“
Eine viel größere Sorge bereitet Bruns, die 1985 bis 1988 ihre Ausbildung zur Kinderkrankenpflegerin am Konstanzer Klinikum absolvierte, die Änderung in der Ausbildungsstruktur. „Seit drei, vier Jahren gibt es eine generalisierte Pflegeausbildung mit nur einem Jahr Spezialisierung auf Kinder, aber Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“, sagt Nicolette Bruns.
Gespräch mit dem Bundeskanzler
All dies hat sie Olaf Scholz auch deutlich gesagt. „Ich war beeindruckt, dass er sich in die Materie eingearbeitet und kluge Fragen gestellt hat“, sagt sie anerkennend. „Und er hat versprochen, dass sich was ändern wird. Das hat uns gut getan.“ Ein Grund zur Freude ist auch Noahs Zustand: „Er ist heute sechs Jahre alt und richtig fit, er freut sich auf die Schule“, berichtet die 55-Jährige.
Der Junge hatte genauso viel Glück wie sein Vater – denn auch der hat ein Spenderherz und war zufälligerweise Nicolette Bruns erster Patient, als sie nach Bad Oeynhausen wechselte. Auch deshalb ist die Beziehung zu Noahs Familie eine besondere. Ihre Verbindung zum Geburtsort Konstanz riss ebenfalls nie ab: „Ich bin regelmäßig am See“, erzählt Nicolette Bruns. „Schließlich wohnen meine Eltern dort und mein Sohn auf der Reichenau.“