„Nun kommt wieder zusammen, was zusammengehört.“ Der Satz klingt nach Berliner Mauerfall, nach Kanzler-Ikone Willy Brandt, der das fast wortgleich im Herbst 1989 über den Anfang vom Ende der getrennten Hauptstadt sagte. Tatsächlich stammen die Worte vom baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU), der damit das Ende der Grenzkontrollen zu Frankreich und zur Schweiz am Montag symbolisch auflud.

Konstanz und Kreuzlingen waren drei Monate lang getrennt

Nun konnte und kann in Konstanz von Mauer-Verhältnissen keine Rede sein. Dennoch wurde auch die größte Stadt am Bodensee zum symbolischen Ort: An der begrünten Kunstgrenze zu Kreuzlingen stand über mehrere Wochen ein Bauzaun; Konstanzer Kleingärtner konnten lange nicht zu ihren Grundstücken, weil diese auf Schweizer Staatsgebiet liegen; Familien und Freunde wurden wie an vielen Orten der Grenzregion über Wochen getrennt.

Bild 1: Ein Stück Alltag kehrt zurück: Rückblick auf den ersten Tag in Konstanz nach der Öffnung der Grenze zur Schweiz
Bild: Lukas Ondreka

Nach drei Monaten ist damit Schluss – zur Erleichterung der heimischen Wirtschaft, aber auch der meisten Menschen persönlich.

Grenzverkehr nimmt am Montag ab Ladenöffnung zu

Die Bundespolizei war am Sonntag um Mitternacht „zu ihrem gewohnten Auftrag zurückgekehrt“, wie eine Sprecherin der Inspektion Konstanz erklärte. Die Abfertigung an den Grenzübergängen fiel damit – abgesehen von den auch in nicht-pandemischen Zeiten durchgeführten Stichproben – zurück an das Hauptzollamt Singen.

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Dessen Sprecher Mark Eferl sagte am Montag: „An den Zollämtern in Konstanz herrscht reger Einreise- und Ausreiseverkehr. Es wurden bisher auch schon zahlreiche Ausfuhrscheine abgestempelt.“

Auch das gehört nun wieder zum Bild: Schlangen vor den Abfertigungsstellen zum Stempeln der Ausfuhrscheine.
Auch das gehört nun wieder zum Bild: Schlangen vor den Abfertigungsstellen zum Stempeln der Ausfuhrscheine. | Bild: Lukas Ondreka

Dies bestätigten die Beobachtungen des SÜDKURIER: Ab Beginn der Ladenöffnungszeiten nahm der Verkehr aus Richtung Schweiz zu, ohne dass es zu Staus an den Grenzübergängen kam.

Die Grenzübergänge Emmishofer Tor und Autobahnzoll in Konstanz am 15. Juni 2020 Video: Lukas Ondreka

Auch am Nachmittag waren die Parkhäuser im Zentrum frei, Schlangen vor den zugangsbeschränkten Geschäften bildeten sich nahezu keine.

Die von manchen befürchteten überfüllten Parkhäuser wiesen über den gesamten Montag hinweg freie Plätze auf.
Die von manchen befürchteten überfüllten Parkhäuser wiesen über den gesamten Montag hinweg freie Plätze auf. | Bild: Lukas Ondreka

Dass es dort in Deutschland anders als in der Schweiz eine Pflicht zum Tragen von Mund-Nasen-Masken gibt, schien den meisten eidgenössischen Kunden bekannt. Zusammengefasst war es eine vorsichtige Rückkehr in den gemeinsamen deutsch-schweizerischen Alltag.

Da die Schweizer keine Maskenpflicht haben, weisen Konstanzer Geschäfte auf die deutsche Regelung hin.
Da die Schweizer keine Maskenpflicht haben, weisen Konstanzer Geschäfte auf die deutsche Regelung hin. | Bild: Lukas Ondreka

Schweizer sind froh über Rückkehr nach Konstanz

Eine der frühen Einpendlerinnen aus Kreuzlingen war Filomena Capelli. Die 79-Jährige lebt dort seit 60 Jahren, kennt also Zeiten offener wie heruntergelassener Schlagbäume.

Filomena Capelli auf Kreuzlingen ist 79 Jahre und war am Montagmorgen eine der ersten, die nach Konstanz einpendelten. Wichtiger als die ...
Filomena Capelli auf Kreuzlingen ist 79 Jahre und war am Montagmorgen eine der ersten, die nach Konstanz einpendelten. Wichtiger als die Möglichkeit zum Einkaufen sei ihr die zurückgekehrte Bewegungsfreiheit. | Bild: Brumm, Benjamin

Sie beteuert: „Drei Monate war ich nicht in Konstanz und habe mich an das Verbot gehalten.“ Sie sei froh, dass sie sich nun wieder freier bewegen könne. „Zum Einkaufen komme ich gar nicht viel nach Deutschland“, sagt sie und ergänzt, bevor sie mit einem Lachen weitereilt: „Aber den Lotto-Schein, den will ich jetzt direkt ausfüllen.“

Handelsverband: „Konstanz besonders hart von der Krise betroffen“

Symbolisch zumindest vorsichtig lächeln kann die örtliche Wirtschaft. „Konstanz wurde besonders hart von der Krise getroffen“, erklärt Utz Geiselhart, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Südbaden.

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Inbesondere, weil Konstanz gleichzeitig Einkaufs- und Tourismus-Hochburg sei. „Die Erleichterung über die Öffnung ist daher groß“, sagt Geiselhart. Durch die Grenzschließung Mitte März hatte sich das Einzugsgebiet branchenübergreifend von einem Kreis zu einem Halbkreis entwickelt.

Zuletzt kamen auch deshalb nicht nur in die Läden weniger Menschen. Die Restaurants und Kneipen, in denen sonst oft ohne Reservierung kaum ein Platz zu finden ist, waren auch nach Wiedereröffnung lange nur spärlich gefüllt und die Nachfrage nach Hotelzimmern durch die internationalen Reisebeschränkungen reduziert.

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Ohne Frage: Der Handel hat seit 2015 von den Schweizer Kunden profitiert

Dennoch: Der Einzelhandel, der insbesondere seit dem sogenannten Frankenschock 2015 von den Einnahmen Schweizer Kunden stark profitiert hatte, erlebt gerade den wohl tiefsten Einschnitt der Nachkriegszeit. Lokale Geschäftsinhaber berichten von durchschnittlich 50 bis 60 Prozent weggebrochener Umsätze durch die Corona-Krise, je nach Branche kann das auch mehr sein. Wobei etwa die Hälfte davon auf fehlende Einnahmen aus der Schweiz entfiel, wie Utz Geiselhart vom Handelsverband bestätigt.

Die Rückkehr der Schweizer Kunden soll nach den schrittweisen Lockerungen dafür sorgen, dass auch die Mitarbeiter in die Geschäfte zurückkommen. „Wir hoffen, dass die Kurzarbeit nun Stück für Stück zurückgefahren werden kann“, sagt Geiselhart.

Hoffnung auf Zurückfahren der Kurzarbeit

Ein Ziel, dass auch Christian Ulmer verfolgt. Ulmer ist 2002 in das mehr als 50 Jahre alte Familienunternehmen eingetreten und betreibt heute drei Modegeschäfte. Er sagt: „In dieser Woche beobachten wir die Situation noch, dann streben wir eine Rückkehr unserer Mitarbeiter in großen Schritten an.“

Christian Ulmer betreibt drei Modegeschäfte in Konstanz. Die tatsächlichen Folgen der Krise auf seine Branche lassen sich seiner ...
Christian Ulmer betreibt drei Modegeschäfte in Konstanz. Die tatsächlichen Folgen der Krise auf seine Branche lassen sich seiner Einschätzung nach erst im Sommer 2021 beziffern. | Bild: Brumm, Benjamin

Den ersten Tag mit Schweizer Kunden bezeichnet er als „vorsichtig zufriedenstellend. Es sind eher etwas weniger als erwartet, aber vielleicht ist die langsame Rückkehr zur Normalität auch ganz gut.“ Ob und wie seine Branche aus dieser Krise kommen wird, vermag er jetzt noch nicht zu sagen. „Das sehen wir dann im Sommer“, sagt Christian Ulmer – er meint den im Jahr 2021.

Am Montag, beiderseits der Grenze ein regulärer Werktag, war also wieder mehr los in der Innenstadt. Man hörte häufiger Schwyzerdütsch, sah mehr der bekannten kleinen Autokennzeichen. Aber der – von manch Einheimischen befürchtete, von vielen Händlern und Gastronomen erhoffte – Ansturm war das nicht.

Angedeutet hatte sich dieser eher im Industriegebiet. Denn vor den dortigen Discountern standen die Kunden am Morgen tatsächlich in den extra markierten Wartebereichen an, im Laufe des Tages wurde es aber auch dort wieder ruhiger.

Bei Aldi in Fürstenberg war am Montag nach der Grenzöffnung wieder mehr los. Senadin Gurguska steht an der Aldi Tür und achtet darauf, ...
Bei Aldi in Fürstenberg war am Montag nach der Grenzöffnung wieder mehr los. Senadin Gurguska steht an der Aldi Tür und achtet darauf, das alles in geregelten Bahnen verläuft: „Wir haben die Desinfektionsmittelspender für die Hände und Einkaufswägen wieder rausgestellt. Es ist wieder sehr viel mehr los als sonst. Vor allem heute morgen, da standen die Kunden bis ans Ende der Markierungen.“ Diese wurden in Voraussicht auf den Andrang der Schweizer auf den Boden gesprüht. | Bild: Timm Lechler

Auf die Rückkehr der Nachbarn angesprochen zeigten sich die Konstanzer gleichmütig. Ein Achselzucken, das auszudrücken scheint: „Dann eben wieder mit Schweizern.“

Im Zentrum fühlt man sich derweil aufs erste Wochenende nach der Grenzöffnung vorbereitet. An verschiedenen Standorten gibt es neuerdings Verkaufsstellen für Schutzmasken. Unter anderem vor dem Lago-Einkaufszentrum, das die Idee gemeinsam mit der Konstanzer Tourismus-Gesellschaft MTK umgesetzt hat.

Agnes Grießhaber verkauft am Stand vor dem Lago Mund-Nasen-Schutzmasken.
Agnes Grießhaber verkauft am Stand vor dem Lago Mund-Nasen-Schutzmasken. | Bild: Brumm, Benjamin

Auch wegen der Rückkehr der Nachbarn, wie Center Manager Peter Herrmann erklärt. „Wir sehen das als Service“, sagt er, „im Lago selbst wird das Sicherheitspersonal die Kunden bei Bedarf auf die Regel in deutschen Läden freundlich hinweisen.“

Sanfte Hinweise und die Möglichkeit zum Maskenkauf – dieser Hinweis ist in Konstanz nicht ganz unwichtig – gibt es für einheimische wie für Schweizer Kunden. Hier gehören also beide Seiten schon wieder zusammen.