Nicht nur ehemaligen Susorianern fiel die Annonce in der SÜDKURIER-Ausgabe vom 28. Dezember 2022 auf; auch viele Leser, die nicht auf dem altehrwürdigen humanistischen Konstanzer Heinrich-Suso-Gymnasium waren, staunten beim Blick in die Zeitung.

Der Abiturjahrgang 1969 veröffentlichte zum Tod von Oberstudienrat a.D. Reinhard Schweizer eine Traueranzeige. Das muss ein besonderer Lehrer gewesen sein, wenn es ehemaligen Schülern nach 53 Jahren ein Bedürfnis ist, ihren, wie es im Nachruf wörtlich heißt, „Latte-Pauker“ posthum zu würdigen.

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Gleichzeitig weckten sie mit dem besonderen Nachruf bei vielen, die Unterricht bei Herrn Schweizer genossen haben, Erinnerungen und beförderten den Austausch untereinander. „Wir trauern um „unseren Herrn Schweizer“ – unser Klassenlehrer und unerschütterlich zugewandter ‚Latte-Pauker‘ fast alle Jahre unserer Gymnasialzeit“, steht in der Annonce geschrieben.

Diese Anzeige schaltete der Abiturjahrgang 1969 zur Würdigung ihres Lehrer Reinhard Schweizer am 28. Dezember, 2022 im SÜDKURIER.
Diese Anzeige schaltete der Abiturjahrgang 1969 zur Würdigung ihres Lehrer Reinhard Schweizer am 28. Dezember, 2022 im SÜDKURIER. | Bild: Scherrer, Aurelia

Und weiter heißt es in dem Nachruf: „Einfühlsam, bescheiden und gütig, voller Vertrauen in unsere Fähigkeiten, immer persönlich und nie schematisch hat er uns die Freude am Lernen erhalten.“ Vierzehn Namen des Abiturjahrgangs 1969 und der Zusatz „und alle Mitschüler“ stehen darunter.

Was hat Reinhard Schweizer so besonders gemacht?

Was hat die Ehemaligen zu dieser Würdigung, die vielleicht sogar Schule macht, bewogen? Was war so einzigartig an diesem Lehrer? „Das Besondere war: Er war so jung. Gerade einmal 13 Jahre älter als wir“, erzählt Karin Zienert-Eilts, die in Berlin lebt und die Anzeige aufgegeben hat, am Telefon.

Junge Lehrer waren seinerzeit eine Rarität in den Lehrerkollegien. Die meisten Pauker entstammten noch der Kriegsgeneration. „Und wir waren seine erste Klasse als Klassenlehrer“, erzählt sie. Da müsse Schweizer gerade einmal 24 Jahre jung gewesen sein.

Dieses historische Bild von Reinhard Schweizer hat der Abiturjahrgang 1969 Lehrer in sein Fotobuch anlässlich des Klassentreffen 2017 ...
Dieses historische Bild von Reinhard Schweizer hat der Abiturjahrgang 1969 Lehrer in sein Fotobuch anlässlich des Klassentreffen 2017 eingebettet. | Bild: Fotobuch anlässlich Klassentreffen 2017, Privatsammlung Marlies Deufel

Vor allem aber war Reinhard Schweizer „eine wichtige Figur aufgrund seiner Eigenschaften“, so Karin Zienert-Eilts, die auch die Aussagen ihrer ehemaligen Klassenkameraden eingeholt hat und hier wiedergibt. „Er war einfühlsam und bescheiden. Er hat nie jemanden heruntergemacht oder links liegen gelassen, sondern hat jedem Wertschätzung entgegengebracht. Er war als Mensch authentisch und er konnte Lust auf das Fach machen, welches er unterrichtetet.“

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Das können auch nachfolgende Schülergenerationen unterschreiben, denn auch als dann schon etwas älterer Lehrer strahlte er Güte aus und hatte immer Verständnis für seine ihm anvertrauten Schüler. Sie zu fördern und die Lust an den sogenannten toten Sprachen, Altgriechisch und Latein, zu wecken, das war ihm wichtig.

Als Pauker im klassischen Sinn hat ihn wohl nie ein Pennäler gesehen, sondern eher als einen Pädagogen, der bar eines erhobenen Zeigefingers ganz nebenbei vermittelte: „Non scholae, sed vitae discimus“ (Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir).

Ein Klassentreffen anlässlich des 80. Geburtstags

Bei Reinhard Schweizer blieb es nie bei bloßen Übersetzungen antiker Texte; es ging immer auch um deren Bedeutung. So füllte er den großen Anspruch hinter dem Begriff Humanistisches Gymnasium mit Sinn; er pflanzte in den jungen, frischen Humus die zarten Saatkörner des Humanismus, denn er machte eine ganze Generation mit großen Philosophen, wie Aristoteles, Platon, Sokrates, Cicero oder Seneca, vertraut. So manch Schüler seufzte bei anderen Lehrern, in Selbsterkenntnis kurzzeitig erstarrend: οἶδα οὐκ εἰδώς (Ich weiß, dass ich nichts weiß).

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Streiche gespielt haben die Schüler Reinhard Schweizer, der der Jugend stets viel Verständnis entgegengebracht hat, in der Regel nicht. Das bestätigt Karin Zienert-Eilts: „Wir waren schon brav, aber aufgeweckt.“ Der Abiturjahrgang 1969 hat den 80. Geburtstag von Reinhard Schweizer zum Anlass genommen, ein Klassentreffen zu organisieren.

„Er hat unsere Klassenbücher mitgebracht“, erzählt Karin Zienert-Eilts. Natürlich stöberte auch sie in den Zeitzeugnissen, die Schüler stets mit gemischten Gefühlen beargwöhnen, herum. „Ich wusste gar nicht, dass ich so viel Reli geschwänzt hab“, berichtet sie und fügt an: „Herr Schweizer hat mich nie darauf angesprochen.“

Dieses Foto von Reinhard Schweizer entstand an seinem 80. Geburtstag, zu dem der Abiturjahrgang 1969 wieder zusammenkam.
Dieses Foto von Reinhard Schweizer entstand an seinem 80. Geburtstag, zu dem der Abiturjahrgang 1969 wieder zusammenkam. | Bild: Fotobuch anlässlich Klassentreffen 2017, Privatsammlung Marlies Deufel

Das ist ein typisches Beispiel, wie Reinhard Schweizer seine Funktion als Klassenlehrer auslebte. Nach seiner Ansicht sollten die beiden Parteien es unter sich regeln. Erst bei großen Problemen wäre es ein Fall für den Klassenlehrer, wobei Schweizer dann eher dazu geneigt gewesen wäre, Partei für den betreffenden Schüler zu ergreifen.

Diesem besonderen Lehrer nochmals zu danken, „war allen ein tiefes Anliegen“, stellt Karin Zienert-Eilts fest, die, wie alle anderen Mitschüler, viel positive Resonanz auf die Traueranzeige erhalten hat. Viele ehemalige Schüler werden sicherlich bei der Trauerfeier mit anschließender Urnenbeisetzung am Donnerstag, 12. Januar, um 15 Uhr auf dem Hauptfriedhof Konstanz zugegen sein, um sich von ihrem Herrn Schweizer zu verabschieden.

Oberstudienrat a.D. Reinhard Schweizer war Jahrzehnte lang Lehrer am Konstanzer Heinrich-Suso-Gymnasium. Am 9. Dezember 2022 ist er ...
Oberstudienrat a.D. Reinhard Schweizer war Jahrzehnte lang Lehrer am Konstanzer Heinrich-Suso-Gymnasium. Am 9. Dezember 2022 ist er verstorben. | Bild: Christian Schneider