Vereinzelt waren sie am Schmotzige Dunschtig zu hören, die Lieder von Willi Hermann. Auf der Gass‘ oder in den Weinstuben. Die Diskussionen darüber, ob man sie weiterhin spielen solle oder eben nicht, ebenso. Meistens lautstark und, je nach Alkoholpegel, auch sehr emotional. Selten hat ein Thema so polarisiert wird dieses. Willi Hermann ist unter den alteingesessenen Narren ein Dauerthema.

Meinung ja, aber nur hinter vorgehaltener Hand

Eine Meinung haben alle. Öffentlich darüber reden möchte mittlerweile kaum jemand mehr. Die meisten nur hinter vorgehaltener Hand. Das Thema hat viel Sprengstoff – im Scheinwerferlicht wird lieber geschunkelt als geschimpft. Kameler-Präsident Marcus Nabholz erhält für seinen Auftritt in Berlin, als er die umstrittenen Lieder des Antisemiten Willi Hermanns auf der Bühne sang, von alten Narrenfreunde viel Lob – doch dazu stehen möchte niemand. Die Niederburg distanzierte sich von Marcus Nabholz.

Bild 1: Weiter Wirbel um Willi-Hermann-Lieder: Die Konstanzer Fasnacht ringt um ihre Identität
Bild: Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde
Das könnte Sie auch interessieren

Kurtle Köberlin kam am Donnerstag in der Innenstadt kaum einen Meter weit, ohne das er nicht auf das Thema angesprochen worden wäre. „Die Stimmung fast überall: Wir lassen uns das Singen nicht verbieten“, berichtet er. „Die meisten Leute sehen die Lieder als Kulturgut.“ Er habe in der Nacht danach kaum geschlafen, „weil mich das Thema sehr bewegt, weil mich das sehr mitnimmt und mir Herzschmerz bereitet. Das muss ich erst einmal verarbeiten“.

Kurtle Köberlin kannte Willi Hermann sehr lange

Nach den Diskussionen vor einem Jahr hält er das Wiederaufleben für unnötig, „weil es doch absehbar war, welche Reaktionen das hervorrufen würde“. Er kannte Willi Hermann viele Jahre, stand bereits als Achtklässler 1965 neben ihm auf der Bühne der Niederburg. Die ganze Thematik geht ihm nach eigener Aussage „gewaltig auf die Nieren“.

„Das Thema bewegt mich sehr, nimmt mich sehr mit und bereitet mir Herzschmerzen. Das muss ich erst einmal verarbeiten“
„Das Thema bewegt mich sehr, nimmt mich sehr mit und bereitet mir Herzschmerzen. Das muss ich erst einmal verarbeiten“ | Bild: Aurelia Scherrer
Das könnte Sie auch interessieren

Seit 55 Jahren ist Kurtle Köberlin Mitglied bei den Kamelern, seit 50 Jahren Narrenrat bei der Vereinigung Konstanzer Narrenvereine. In der Szene hat sein Wort als Moderator und Mediator Gewicht. „Es wird Zeit, miteinander auf Augenhöhe zu reden“, verlangt er. „Die Beteiligten sollen sich an einen Tisch setzen und die Probleme aus der Welt schaffen.“ Die Fasnacht habe eine Delle erhalten, „und jetzt müssen wir alle versuchen, diese Delle klein zu halten“.

„Er hat sich entschuldigt dafür und das sollten alle respektieren und akzeptieren.“ Heinz Maser, Programmchef Fernsehfasnacht.
„Er hat sich entschuldigt dafür und das sollten alle respektieren und akzeptieren.“ Heinz Maser, Programmchef Fernsehfasnacht. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Niederburg-Ehrenpräsident: „Es geht nur miteinander“

Heinz Maser sieht es ähnlich. Der Programmchef der SWR-Fernsehfasnacht und Ehrenpräsident der Niederburg bezeichnet es als eine Verpflichtung, die seit dem Jahr 2000 bestehende Kooperation zwischen Kameler und Niederburg am Leben zu halten. „Es geht nur miteinander“, sagt er. Zu den Gerüchten, Marcus Nabholz wolle sein Nachfolger als Programmchef werden, möchte er nicht viel sagen. Nur so viel: „Das habe ich auch gehört.“

„Meine Gesundheit ist mir jetzt wichtiger“

In seinen Augen sei Niederburg-Präsident Mario Böhler der adäquate Nachfolger. Die Zusammenarbeit mit den Kamelern möchte er aber trotz des Berliner Auftritts von Marcus Nabholz nicht in Frage stellen. „Er hat sich entschuldigt dafür und das sollten alle respektieren und akzeptieren.“ Marcus Nabholz äußert sich nicht mehr zur Sache. Mehrere Nachfragen des SÜDKURIER blieben unbeantwortet.

Sagt jetzt gar nichts mehr zu seinem Berlin-Auftritt und den Folgen: Marcus Nabholz, Kameler-Präsident.
Sagt jetzt gar nichts mehr zu seinem Berlin-Auftritt und den Folgen: Marcus Nabholz, Kameler-Präsident. | Bild: Scherrer, Aurelia

„Mir hat der ganze Hype auf den Magen geschlagen und meine Gesundheit ist mir jetzt wichtiger. Somit gibt es jetzt keine Interviews und Stellungnahmen mehr“, schreibt Nabholz lediglich. Augenzeugen haben ihn bei der Straßenfasnacht als „angeschlagen“ beschrieben. „Er stand auf dem Augustinerplatz öfter abseits und wirkte nicht bei der Sache“, erzählt einer aus seinem engen Umfeld, der nicht genannt werden möchte.

Das könnte Sie auch interessieren

„Seine Lieder gehören zur Konstanzer Fasnacht“

Nabholz ließ wissen, dass für ihn nach wie vor seine Stellungnahme von Samstag vergangener Woche gelte – die der SÜDKURIER bereits vollständig veröffentlicht hat. Darin heißt es unter anderem: „Ich habe in vielen Beiträgen immer wieder klar gemacht, dass ich für ein liberales Menschenbild einstehe.“ Die Lieder des überzeugten Nationalsozialisten und Antisemiten Willi Hermann zu singen, sei da kein Widerspruch. Die Schlager „gehören zur Konstanzer Fasnacht wie Blätzlebuebe, Kameler, Niederbürgler usw.“, so Nabholz.

„Tiefes Bedauern“

Er bedaure zutiefst, was sein Auftritt in Berlin verursacht habe, „ist es doch nur mein Ansinnen, den Menschen an der Fasnacht ein paar fröhliche Stunden zu bereiten. Dass jetzt daraus ein Politikum gemacht wird, ist jammerschade und der Fasnacht nicht zuträglich“.

Ist bereit, weiter mit Nabholz zusammenzuarbeiten, „wenn er die Lieder nicht mehr auf der Bühne singt“: Niederburg-Präsident ...
Ist bereit, weiter mit Nabholz zusammenzuarbeiten, „wenn er die Lieder nicht mehr auf der Bühne singt“: Niederburg-Präsident Mario Böhler. | Bild: Scherrer, Aurelia

Die Worte des Bedauerns sind es, die Niederburg-Präsident Mario Böhler veranlassen, weiterhin mit Marcus Nabholz zusammenzuarbeiten – auch wenn er eine konträre Meinung zum Singen der Lieder hat und das strikt ablehnt. „Bei der Zusammenarbeit sehe ich keine Gefahr“, erklärt er – mit dieser Einschränkung: „Dem steht nichts im Wege, wenn er auf der Bühne diese Lieder nicht mehr singt.“ Hat in seinen Augen die Fasnacht gelitten unter der Affäre? „Nein, davon gehe ich nicht aus. Auch wenn die ganze Aufregung wirklich nicht hätte sein müssen.“

Das könnte Sie auch interessieren
„Wir haben die Pflicht, uns zu positionieren.“ Andreas Kaltenbach von den Blätzlebuebe.
„Wir haben die Pflicht, uns zu positionieren.“ Andreas Kaltenbach von den Blätzlebuebe. | Bild: Scherrer, Aurelia

Der Chef der Blätzlebuebe, Andreas Kaltenbach, spricht sich ebenfalls entschieden gegen das Vortragen der Hermann-Lieder aus. „Ich werde oft gefragt, warum ich mich dazu äußere“, sagt er. „Aber schweigen bringt nichts. Wir Funktionäre haben die Pflicht, uns zu positionieren. Wir haben in der Zunft eine klare offizielle Verlautbarung mit der Bitte danach zu leben.“ Wer privat eine andere Meinung habe, dürfe die gerne kundtun, „aber bitte mit dem Hinweis, dass das die privat sei“.