Coop-Einkaufstaschen und On-Schuhe entlarven sie sofort: Schweizer Einkaufstouristinnen und Einkaufstouristen im Lago in Konstanz. Noch bis Ende des Jahres können sie im Shoppingcenter direkt an der Grenze zu Kreuzlingen für 300 Franken pro Tag einkaufen, ohne Mehrwertsteuer zu bezahlen. Damit ist ab 1. Januar 2025 Schluss: Die Schweiz senkt die Freigrenze für Einkäufe im Ausland auf 150 Franken.

Der Thurgauer Gewerbeverband hat bereits auf die neue Regel reagiert und bezeichnet die Senkung als „Schritt in die richtige Richtung“. Dieser Meinung ist auch Matthias Hotz, Rechtsanwalt und Präsident des Thurgauer Detailhandelsverbands TGshop. Er schätzt das „wertvolle Signal des Bundesrats“, aber: „Wir fordern seit über zehn Jahren die komplette Abschaffung der Wertfreigrenze beziehungsweise eine Reduktion auf 50 bis 60 Franken.“

Der Grund: „Warum soll in der Schweiz alles mehrwertsteuerpflichtig sein, außer Einkäufe aus dem Ausland? Das ist für mich nicht einsichtig.“ Hotz rechnet das Beispiel einer vierköpfigen Familie vor, die am Samstag in Konstanz einkaufen geht. „Mit der aktuellen Regelung profitiert sie bis 1200 Franken Warenwert von Steuergeschenken, die es sonst nirgends gibt.“

Matthias Hotz sagt: „Warum soll in der Schweiz alles mehrwertsteuerpflichtig sein, außer Einkäufe aus dem Ausland? Das ist für mich ...
Matthias Hotz sagt: „Warum soll in der Schweiz alles mehrwertsteuerpflichtig sein, außer Einkäufe aus dem Ausland? Das ist für mich nicht einsichtig.“ | Bild: Zvg

Matthias Hotz ist mit seiner Forderung nicht allein: Der Thurgauer Alt-Nationalrat Markus Hausammann (SVP) forderte in Bern bereits 2015 per Motion die Abschaffung der Wertfreigrenze. Aus dem Thurgau und aus St. Gallen kamen später Standesinitiativen mit demselben Anliegen. Hotz sagt: „Dass die beiden Grenzkantone Schulter an Schulter in Bern vorstellig werden, ist ein deutliches Zeichen.“

Die bisher „sehr hohe“ Schweizer Freigrenze schade der Schweizer und insbesondere der Thurgauer Wirtschaft, gefährde Arbeits- und Ausbildungsplätze. „Im Thurgau eine gute Stelle und einen tollen Lohn erwarten, aber das Geld steuerbefreit im Ausland ausgeben? Das geht nicht.“ Hotz selbst kauft jedenfalls nie in Konstanz ein: „Das könnte ich mir in meiner Position auch gar nicht erlauben.“

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Was sagen Einkäufer rund um das Lago?

Was Matthias Hotz aus Prinzip nicht tut, machen zahlreiche Landsleute in und ums Einkaufszentrum Lago.

Zwei Frauen aus Winterthur, beide Mitte 40, sind für einen gemütlichen Shopping-Tag gekommen. Früher seien sie oft mit der ganzen Familie ins Lago, die Anreise habe sich für günstige Kosmetik-Artikel und Windeln gelohnt. Dass die Freigrenze auf 150 Franken sinkt, finden die Frauen schade: „Ein teures Paar Schuhe, und schon ist man drüber.“

Nicht alle kommen indes wegen der tiefen Preise nach Konstanz. „Wir sind hier, weil uns die Stadt gefällt“, sagt eine junge Thurgauerin, die mit Partner, Baby und Kinderwagen an der Bäckerei-Theke ansteht. Dasselbe sagt ein Walliser in einem Supermarkt außerhalb des Lago: „Meine Tochter hat Ferien und wollte unbedingt einmal nach Konstanz. Wir sind vier Stunden hergefahren.“

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Etwas öfter kommt eine Rentnerin aus Nidwalden. Sie ist mit Ehemann, Schwester und Tochter angereist, stöbert in einem gut besuchten Drogeriemarkt durch die Gestelle und sagt: „Wenn ich schon hier bin, schaue ich, dass ich die Freigrenze ausnutzen kann.“ Die Senkung findet sie schade: „Ich weiß nicht, ob ich weiterhin komme, wenn ich bald nur noch für 150 Franken einkaufen kann.“

Die Umfrage vor Ort zeigt auch: Dass die Freigrenze sinkt, ist längst nicht bei allen Konstanzer Gewerbetreibenden angekommen. Zwei Buchhändlerinnen und eine Spielzeugverkäuferin wissen nichts von der neuen Regel. Anders eine Angestellte in einem großen Sportladen. Das Team sei informiert worden, sagt sie. „Wir gehen davon aus, dass uns die Schweizer Kundschaft bald weniger Umsatz bringen wird.“

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IHK: „Für die Schweiz selbst kaum ein Gewinn“

Unbeantwortet bleibt eine Anfrage zu den Folgen der neuen Freigrenze bei den Verantwortlichen des Lago. „Wir möchten keinen Kommentar abgeben“, schreibt Office-Managerin Sandra Helin. Offener ist Katrin Klodt-Bussmann, Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee. „Die Absenkung der Freigrenze hat eher symbolischen Charakter“, lässt sie sich in einer IHK-Mitteilung zitieren.

Klodt-Bussmanns Gründe: Der durchschnittliche Einkauf von Schweizer Kundinnen und Kunden in Deutschland liegt bei 75 Euro Warenwert und damit deutlich unter der neuen Grenze. Gewisse Waren sind in Deutschland zudem 30 Prozent günstiger als in der Schweiz, ­Lebensmittel zum Teil 50 Prozent – Freigrenze hin oder her.

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Außerdem können Schweizer Kundinnen und Kunden die deutsche Mehrwertsteuer weiterhin zurückfordern, wenn sie sich Ausfuhrscheine aushändigen und abstempeln lassen. Mit 19 respektive 7 Prozent (reduzierter Satz) liegt die deutsche Mehrwertsteuer deutlich über den Schweizer Sätzen von 8,1 und 2,6 Prozent.

Die Quintessenz aus Sicht der deutschen IHK-Chefin Katrin Klodt-Bussmann: „Für den hiesigen Einzelhandel ist die Absenkung der Freigrenze bedauerlich, für die grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen definitiv kein Fortschritt und für die Schweiz selbst wohl kaum ein Gewinn.“

Thurgauer fordern weitere Senkung

Anderer Meinung ist Urban Ruckstuhl, beim Kreuzlinger Gewerbeverein für den Detailhandel zuständig. Er weist darauf hin, dass gar eine Senkung der Freigrenze auf 50 Franken diskutiert worden sei, um Ungerechtigkeiten und Steuerausfälle zu verhindern. Vor diesem Hintergrund bezeichnet er die neue 150-Franken-Grenze als „eher mutlos“.

Urban Ruckstuhl findet, dass die Freigrenze eher auf 50 Franken gesenkt werden sollte. Die neue Regelung ab dem 1. Januar 2025 nennt er ...
Urban Ruckstuhl findet, dass die Freigrenze eher auf 50 Franken gesenkt werden sollte. Die neue Regelung ab dem 1. Januar 2025 nennt er „eher mutlos“. | Bild: Stefan Marolf

Wie der Thurgauer Gewerbeverband und TGshop-Präsident Matthias Hotz sagt auch Ruckstuhl: „Langfristiges Ziel muss eine weitere Senkung der Wertfreigrenze bleiben.“

Stefan Marolf ist Reporter unserer Partnerzeitung, der „Thurgauer Zeitung“, in der dieser Artikel zuerst erschien.