Als Levin Stracke an diesem Tag die schmale Hintertür seines Souvenirshops öffnet, um die wenigen Schritte am Gleis 1 entlang ins Lager zu gehen, findet er statt eines Fußweges nur Geröll vor. „Ah, so weit sind sie schon“, sagt er, schließt die Tür, öffnet sie dann doch wieder und blickt dem gelben Bagger nach, der sich rumpelnd entfernt.
Die Deutsche Bahn, Vermieterin der Ladenzeile, in der sich auch das Geschäft der Familie Stracke befindet, baut am Konstanzer Bahnhof. Endlich soll er behindertengerecht werden. Und 18 Jahre, nachdem sich die DB selbst verpflichtet hat, Bahnanlagen barrierefrei umzugestalten. Ein Jahr soll der Umbau dauern – voraussichtlich.
Schließfächer sind weg – und nun?
Bereits weg sind die Schließfächer. Seither fragen Reisende bei den Geschäften rings um den Bahnhof und in der Tourist-Information, wo sie ihre Koffer abstellen können. Levin Stracke hat eine Idee. „In unserem Lager wäre Platz für Gepäck“, sagt er. Lediglich die kleine Wand zwischen Lager und Souvenirladen müsste die Bahn dafür durchbrechen.
Es wäre ein Gewinn für beide Seiten. Einnahmen für den Corona-gebeutelten Souvenirladen, dessen Umsatz, so schätzt der Junior-Chef, sicher um 50 Prozent eingebrochen sei. Und ein Service für die Kunden der Bahn.
Win-Win-Situation? Das sieht nur eine Seite so
Nur: Als sich Vater Heinrich, der Kopf des Familienunternehmens Stracke, schriftlich an an Staatskonzern wandte, bekam er prompt eine Abfuhr. Eigentlich, heißt es in dem Schreiben, das dem SÜDKURIER vorliegt, sei es eine gute Idee. Allerdings nicht so einfach und schnell umsetzbar.
So schnell geht das alles nicht
Gut, wenn eines beklagt wird über die Deutsche Bahn als Geschäftspartner, dann dies: Schnelligkeit sei genauso wenig wie Flexibilität die Stärke dieses Ungetüms aus miteinander verzahnten Tochterfirmen.
Und so begründet der für Konstanz zuständige DB-Mitarbeiter beim Mieter- und Objektmanagement, Tobias Stegmeier, die Absage so: Es müsse ein Statiker für den Wanddurchbruch hinzugezogen werden, es brauche mehrere Genehmigungsverfahren, weitere Punkte seien zu beachten. Die Kosten wolle die Bahn nicht tragen. Auch, weil weiterhin der Abriss der Ladenzeile zur Debatte stehe.
Das ewige Provisorium
„Das hier ist ein ewiges Provisorium“, sagt Levin Stracke. Die Reaktion der Bahn ärgert ihn mehr als das Geröll hinter seinem Laden oder Baulärm. Zeigt sie ihm doch, wie wenig der Konzern bereit sei, sich für Kunden und Mieter zu bewegen. Vor Jahrzehnten hatte sich Heinrich Stracke in die Ladenzeile eingemietet.
Anspruchslose Mieter seien sie gewesen. Immer gezahlt, nie etwas gewollt, nie protestiert gegen die Zeitverträge, die alle drei oder fünf Jahre verlängert worden seien. Ladenzeile blieb immer Gebäude auf Abruf. Und dann kam Corona.
Kundengespräche über den Baulärm hinweg
Einige Meter weiter. „Nein, wir haben keine Leihräder mehr“, ruft Ralf Seuffert gegen den Baulärm an. Er ist mit seinem Radladen ebenfalls Mieter der DB, seit 1999. Das Verhältnis sei immer korrekt gewesen, sagt er. Aber die Umstände hier, er deutet auf den Bahnhofsvorplatz, „Katastrophe“.
Viel zu laut, viel zu unübersichtlich. Seit Jahren stockt die Neugestaltung in Politik und Verwaltung; für den Platz ist die Stadt zuständig. „Er sollte“, sagt Seuffert, „unser Eingangstor sein.“ Momentan sehe die Begrüßung der Gäste, die mit dem Zug anreisen, jedoch so aus: „Sie fallen über die zu hohen Gehsteige und finden kein Klo.“
Und das Klo fehlt auch
Die Bahntoiletten seien ständig wegen Vandalismus geschlossen. „Wir helfen aus, machen mit bei der Initiative ‚nette Toilette‘ und übernehmen so Aufgaben der Bahn und der öffentlichen Hand“, sagt Seuffert.
Seit den Bauarbeiten stellten Bahnkunden bei ihm auch mal Gepäck ab. Seuffert wünscht sich, dass die Bahn die Situation der Ladenbesitzer während der Coronakrise würdigt. „Wenn sie die Hälfte der Miete erlassen hätten, das wäre okay gewesen.“
Bahn wird vom Steuerzahler finanziert
Er denkt dabei gerade an Läden wie den Souvenirshop der Strackes, der, anders als sein eigenes Radgeschäft, während des Lockdowns dicht war. Immer wieder subventioniert der Bund die Bahn mit Milliarden aus Steuergeldern. Wäre es da nicht angebracht, in Corona-Zeiten zu helfen, etwa die Miete zu reduzieren, fragt Levin Stracke?
DB stundet zwei Monatsmieten
Geholfen habe man doch, sagt die Sprecherin der DB auf SÜDKURIER-Anfrage. Die Mieten der Läden seien gestundet worden. Im März und April. „Im August mussten wir das Geld bereits zurückzahlen“, so Stracke. Hätte man als halbstaatlicher Konzern die Miete nicht zumindest in der Zeit des Lockdowns reduzieren können? „Wir sind im Gespräch“, ist alles, was die DB-Sprecherin dazu sagen kann und will.
Eine Entschuldigung gibt es
Für die Sache mit den Schließfächern entschuldigt sie sich. „Wir haben mit dem zuständigen Bahnhofsmanager gesprochen, er hat das geprüft, doch es gibt keine alternativen Möglichkeiten der Gepäckablage.“ Und die Idee von Levin Stracke? Diese Idee, sagt sie, sei dem Bahnhofsmanager nicht bekannt gewesen. Würde sie an ihn herangetragen, würde er, verspricht die Sprecherin, den Vorschlag prüfen.
Der SÜDKURIER kann doch die Nummer weitergeben, oder?
Und tatsächlich: Der bei der DB für die Ladenzeile zuständige Mitarbeiter sagt auf Anfrage: „Nein, der Bahnhofsmanager weiß nichts davon. Das ist ja eine Vermietungssache, ob wir bereit sind, in das Objekt einzugreifen.“ Er rechnet vor: Statiker, Genehmigungen, da sei man locker im Jahr 2021, und dann kämen ja auch schon die neuen Schließfächer. Aber ja, er habe die Nummer des Bahnhofsmanagers, der SÜDKURIER könne diese gerne an Levin Stracke weitergeben. Na dann.
Neuer Bahnhofsvorplatz?
Nicht nur die Ladeninhaber am Bahnhofsvorplatz wünschen sich, dass dort endlich etwas geschieht. Seit Jahrzehnten diskutiert die Lokalpolitik über Neugestaltung und Verkehrsberuhigung. Wie nun eine Anfrage des SÜDKURIER ergab, könnte bald Bewegung in die Sache kommen. Laut dem Sprecher der Stadt, Walter Rügert, sei der Vorplatz in der Planungsphase. „Die Konzeption soll im Herbst dem Technischen und Umweltausschuss zur ersten Begutachtung vorgelegt werden. Es wird ein Gesamtkonzept entwickelt, das von der Einfahrt Marktstätte bis über den Lagoknoten hinaus gebaut werden soll. Baubeginn ist für 2021 geplant.“