Mit 88 Jahren hat man genug erlebt: den Zweiten Weltkrieg, ein Wirtschaftswunder, ein geteiltes und wiedervereinigtes Deutschland und nun auch noch eine die dagewesene Pandemie.
Margaritha von Kalckstein steht im hohen Alter ein weiteres Erlebnis bevor, wenn es auch eher eines ist, das sich stark auf ihre direkte Nachbarschaft beschränkt: Direkt neben ihrem Domizil – das Wort Wohnung wäre unangebracht beim Blick auf die Adresse: Seestraße 13 – rollt in Kürze wohl schweres Baugerät an.

Dass die 88-Jährige dort lebt, hat mit ihrem Großvater zu tun: Theodor Büdingen, Pionier für Herztherapien, Erfinder der Traubenzucker-Infusion – und Namensgeber eines Grundstücks, um das seit mehreren Jahren heftig gestritten wird.

Am Büdingen-Areal stehen sich Interessen von Bürgerinitiative und Investor gegenüber
Auf der einen Seite steht der Schweizer Bauherr Hans-Jürg Buff, der das Gelände 2016 erworben hat und dort ein Gesundheitshotel für Bestverdiener bauen will.

Auf der anderen Seite steht die Initiative Bürgerpark Büdingen, die sich bis zuletzt und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen das Projekt wehrt.
Salamitaktik oder Umsetzung von geltendem Baurecht?
Die Kritik reicht von Ärger über das Fällen dutzender Bäume bis zu Vorwürfen wegen eines schrittweisen Aushebelns der Vorgaben des bestehenden Bebauungsplans. Der Verein beschritt (erfolglos) den Klageweg, hat sich aber inzwischen als Umweltvereinigung anerkennen lassen und somit weiterreichende Möglichkeiten zur Akteneinsicht, um gegebenenfalls gegen die Bebauung vorgehen zu können.
Die Initiative Bürgerpark Büdingen spricht von „Salamitaktik“, Investor Hans-Jürg Buff dementiert die Vorwürfe und beklagte sich zuletzt über mangelnde Kommunikation seitens des Vereins. Die Stadtverwaltung sieht seine Baupläne als korrekt an.
Wie sieht die 88-jährige Büdingen-Erbin den Streit vor ihrer Haustür?
Und Margaritha von Kalckstein? Stört sie sich daran, dass auf dem Gelände nebenan bald nicht nur Zäune stehen, sondern ein Hotel samt Publikumsverkehr?

Im Gegenteil. „Ich weiß sehr wohl, was durch den Bau des Hotels auf mich zukommt. Das wird laut und die Baustelle wird auch buchstäblich Staub aufwirbeln“, meint sie. Nur, um dann einzuräumen: „Trotzdem sehe ich das Projekt positiv. Ich fand es traurig, dass hier 50 Jahre nichts passierte und irgendwann alles zugewuchert ist.“
Von Bürgerinitiative angesprochen – und dankend abgelehnt
Sie sei auch von Vertretern der Bürgerinitiative angesprochen worden, mehrfach. Warum sie denn nicht beitrete und die Idee Buffs sogar befürworte. „Schließlich bin ich die einzige direkte Anwohnerin“, sagt sie nicht ohne Stolz.
„Ich sage Ihnen, warum: Weil das Hotel ein Gewinn für Konstanz sein wird, es schafft schließlich auch Arbeitsplätze. Ich verstehe auch die Kritik wegen der gefällten Bäume nicht. Hier stehen immer noch ausreichend, schauen Sie nur auf das Gelände, davor war das purer Wildwuchs.“
Nun lebt die 88-jährige Büdingen-Enkelin ein privilegiertes Leben. Eine viel bessere Lage wird man in Konstanz kaum finden, das weiß Margaritha von Kalckstein. Bis zum Abitur am Ellenrieder-Gymnasium lebte sie dort, über Mainz ging es ins Münsterland. „Ich erinnere mich noch gut daran, als in meiner Kindheit Autos die gesamte Seestraße entlang fuhren“, sagt sie über die Vergangenheit. Seit vielen Jahren lebt sie wieder dort.
„Du bist für mich wie eine Prinzessin in einem Schloss“
Und dann erzählt sie eine Geschichte aus der Schulzeit: Eine Freundin, die aus einfachen Verhältnissen stammte, sagte irgendwann zur heute 88-Jährigen: „Du bist für mich wie eine Prinzessin in einem Schloss.“ Man sieht Margaritha von Kalckstein heute noch an, dass sie diese Einschätzung erschreckt, fast verletzt hat. Hochnäsig, das ist ihr wichtig zu betonen, will sie nicht erscheinen. Aber: Sie hat sich auch an das Leben im vermeintlichen Schloss an der Seestraße gewöhnt – es ist für sie die Normalität.

Und das bedeutet auch: Sie will zwar, dass Leben aufs Büdingen-Gelände einzieht. Aber „ein Wohnprojekt hätte ich nicht gewollt, das hätte nicht zum Areal gepasst“. Gefordert wurde das insbesondere aus dem politisch linken Spektrum. Margaritha von Kalckstein sagt dagegen: „Hier muss schon etwas Hochwertiges und Gepflegtes entstehen.“
Den Park nicht für alle Bürger öffnen? Die Büdingen-Erbin kann das verstehen
Einer der Kritikpunkte an Hans-Jürg Buff: Er öffnet den zugehörigen Park rund um das Hotel nur sehr begrenzt für die Öffentlichkeit, räumt lediglich ein Wegerecht rund um das Grundstück ein. Margaritha von Kalckstein kann auch dies verstehen. Ein Wegerecht über das Hotelgelände „wäre nicht vereinbar mit den Interessen der Hotelgäste, die für die Ruhe und Abgeschiedenheit ja auch etwas bezahlen“, sagt sie.
Ruhe, so viel ist dagegen klar, wird die 88-Jährige so schnell nicht haben – und das nicht nur wegen der vor ihrer Haustür allabendlich feiernden Menschen.