In einer Nacht im Juli 2021 entwendet ein damals 27-jähriger Schweizer einen weißen VW-Transporter aus der Tiefgarage eines Konstanzer Studentenwohnheims und fährt damit gen Norden, auf die Autobahn A81 Richtung Stuttgart. Es ist zwischen 7 und 8 Uhr morgens, mitten im Berufsverkehr, als er auf Höhe Rottweil eine Baustelle passiert, wegen der eine Geschwindigkeitsreduzierung gilt.

Das könnte Sie auch interessieren

Da nickt der 27-Jährige kurz ein und fährt einem anderen Auto, einem Pick-up, hinten auf. An beiden Fahrzeugen entstehen massive Schäden, verletzt wird niemand. Der 27-Jährige fährt weiter – mit offenen Fenstern und ausgelösten Airbags. Der Pick-up-Fahrer folgt ihm. Später werden auch Bundespolizisten die Verfolgung aufnehmen, die per Zufall an den auf der Straße liegenden Fahrzeugteilen vorbeigefahren sind.

Irgendwann verlässt der 27-Jährige im VW-Transporter die Autobahn, biegt schließlich in ein offenes Feld ein und fährt weiter, in ein Waldstück. Dort hält er an. Die angerückten Bundespolizisten können ihn wenig später widerstandslos festnehmen.

Das Urteil

Soweit der durch Zeugen und Beweise rekonstruierte Tathergang, für den der Schweizer nun vor der großen Strafkammer des Landgerichts Konstanz gelandet ist. Er selbst ist, was die ihm vorgeworfenen Taten anbelangt, vollumfänglich geständig. Die Kammer wird ihn am Ende der Verhandlung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilen und für diese Zeit seine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik anordnen, ohne Bewährung.

Doch wie kam es überhaupt zu dem Diebstahl des VW-Transporters, dem Unfall und der späteren Fahrerflucht?

Die Sicht des Angeklagten

Zu Beginn der Verhandlung schildert der aus Winterthur stammende Angeklagte mit starkem Schweizer Akzent seinen bisherigen Werdegang. Ein unstetes Leben, so scheint es, das nach einer Verkäufer-Ausbildung von häufigen Jobwechseln und Phasen des „Chillens“ geprägt ist, wie der 28-Jährige es bezeichnet. Mit Mitte 20 habe er angefangen, neben Alkohol weitere Drogen zu konsumieren, zuerst Marihuana, dann auch Kokain.

Der Schwurgerichtssaal – hier ein Archivbild – des Landgerichts Konstanz. In diesem Saal fand die Verhandlung gegen den ...
Der Schwurgerichtssaal – hier ein Archivbild – des Landgerichts Konstanz. In diesem Saal fand die Verhandlung gegen den 28-jährigen Schweizer statt. | Bild: Stefan Hilser/SK-Archiv

Dreimal habe er in der Schweiz bisher jeweils rund drei Monate in Psychiatrien verbracht – etwa, weil er in der Öffentlichkeit herumgeschrien oder mitten auf einer Straße gelegen habe. Das alles aufgrund der Drogen, so der Angeklagte, der bei Verhandlungsbeginn erneut in einer psychiatrischen Klinik untergebracht ist. Wegen der Drogen habe er jeweils „eine Manie gehabt“, so der 28-Jährige.

Auch an den ihm nun zur Last gelegten Taten seien die Drogen schuld. Er habe damals nach Berlin gewollt, unbedingt. Deshalb sei er zunächst mit dem Zug nach Konstanz gefahren. Eine Fahrerlaubnis besitzt er bereits seit längerem nicht mehr. In der Konzilstadt habe er sich dann die Nacht um die Ohren geschlagen: „In Restaurants, im Casino, Party gemacht, mich unters Volk gemischt“, erzählt der 28-Jährige.

Das könnte Sie auch interessieren

Irgendwann habe er sich wegen der Kälte einen Unterschlupf gesucht und irgendwo eine offene Kellertür gefunden. In einem Raum entdeckte er den Schlüssel für einen VW-Bus und fand das zugehörige Fahrzeug schließlich in der angrenzenden Tiefgarage. „Ich wollte damit nach Berlin. Als ich den Schlüssel gesehen habe, hatte ich den dummen Gedanken, ich will das mal erleben, habe das noch nie gemacht, ein Auto geklaut.“ Danach sei es dann zu dem „furchtbaren Unfall“ gekommen.

Und das alles wegen der Drogen, so der Angeklagte: „Vor allem Cannabis macht mir Probleme. Bei Marihuana reicht ein Zug. Ich hatte davor zwar weniger genommen, aber es hat trotzdem seine Wirkung gezeigt.“ So weit die Sicht des Angeklagten.

Der Eingang des Landgerichtsgebäudes an der Unteren Laube in Konstanz.
Der Eingang des Landgerichtsgebäudes an der Unteren Laube in Konstanz. | Bild: Simon Wöhrle/SK-Archiv

Der toxikologische Befund, der nach seiner Festnahme gemacht wurde und den die vorsitzende Richterin während der Verhandlung verliest, spricht eine andere Sprache. Demnach stand der Angeklagte zum Zeitpunkt der ihm zur Last gelegten Taten nicht unter Drogeneinfluss.

Das Gutachten des Sachverständigen

Beim Angeklagten liege bereits seit längerem eine bipolare Störung vor, so der geladene Sachverständige, der gegen Ende der Verhandlung sein psychiatrisches Gutachten präsentiert. Diese Störung sei durch Wechsel zwischen depressiven und manischen Phasen geprägt.

Der Gutachter bestätigt zwar, dass beim Angeklagten auch eine Suchtproblematik vorliegt. Da er jedoch vor den ihm zur Last gelegten Taten nachweislich keine Drogen konsumiert habe, sei in dieser Phase die bipolare Störung beim 28-Jährigen ausgeprägt gewesen.

Er habe sich in einer krankheitsbedingt gehobenen Feierstimmung befunden. „Er musste nach Berlin.“ Dass er dann am Steuer eingeschlafen sei und einen Unfall gebaut habe, sei nicht überraschend. In der manischen Phase gönnten sich bipolar Erkrankte „keine Ruhe, keinen Schlaf, sie sind voller Tatendrang“, so der Gutachter.

Das könnte Sie auch interessieren

Prinzipiell sei eine bipolare Störung gut behandelbar. Der Angeklagte habe nach seinen jeweiligen Klinikaufenthalten in der Schweiz auch entsprechende Medikamente erhalten. Aber zum Zeitpunkt seiner missglückten Fahrt nach Berlin hatte er diese nachweislich nicht mehr eingenommen. Denn dem 28-Jährigen fehlt es offensichtlich an der Einsicht, dass er krank ist, folgt man den Ausführungen des Gutachters: „Es ist ihm lieber, sich selbst und anderen zu sagen, dass es die Auswirkungen von Drogen waren, als einer psychischen Erkrankung.“

Werde seine Störung aber nicht behandelt, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Angeklagte wieder ein ähnliches Verhalten zeige, wenn er eine ähnliche manische Phase durchlaufe. Es bedürfe „mehrerer Monate Aufbauarbeit“, um sowohl die bipolare Störung als auch die Drogensucht zu behandeln und eine Krankheitseinsicht beim Angeklagten zu erwirken, so der Gutachter.

Das könnte Sie auch interessieren

Dieser Empfehlung folgt auch der Staatsanwalt in seinem Antrag und schließlich das Gericht in seinem Urteil. Gegen dieses kann der 28-jährige Schweizer, wenn er will, Revision einlegen. Er hat dafür nach dem Richterspruch eine Woche Zeit.