Die Zuschauerplätze im Konstanzer Ratssaal füllen sich rasch, als über die geplante queere Beratungsstelle abgestimmt werden soll. Zwar bemüht sich der Ausschuss um Einigkeit, doch der angestrebte Konsens zeigt an mehreren Stellen Risse.
Dies wird einerseits in der Debatte über die Finanzierung deutlich, andererseits durch den gleichmäßigen Applaus, der sowohl kritische Einwände als auch unterstützende Stimmen begleitet.
Das Vorhaben einer queeren Beratungsstelle
Die Idee einer psychosozialen Anlaufstation für queere Menschen in Konstanz ist nicht neu: Schon 2022 beantragte die Mobile Jugendarbeit in Konstanz finanzielle Mittel, um ihre Mitarbeiter im Umgang mit queeren Jugendlichen zu schulen. Daraufhin führte die Chancengleichheitsstelle der Stadt eine Umfrage zum Thema durch, bei der zwar 83 Prozent der angefragten Institutionen und Personen einen Anstieg von jugendlichen, queeren Anfragen sahen, aber nur ein Viertel angab, dafür adäquate Unterstützung leisten zu können.
Ganz anders sieht das Anjaly Alena Dias Vieira vom Schülerparlament: Sie erkenne zwar an, dass es sich bei der geplanten Beratungsstelle um ein wichtiges Anliegen handle, als Vertreterin der gesamten Schülerschaft sehe sie dazu aber keinen zwingenden Handlungsbedarf: „Wir sind der Meinung, dass es schon ein gut funktionierendes Netzwerk für die Unterstützung queerer Jugendlicher gibt und dass die Schulsozialarbeit dabei eine ausreichende Rolle spielt.“

Vertreterin des Schülerparlaments sorgt für Rundumschlag
Das Beratungsangebot sei ein „viel zu isolierter Ansatz“, der zu einer teuren Doppelstruktur führe, ohne dabei einen spürbaren Mehrwert für einen Großteil der Jugendlichen zu schaffen. Sie führt aus: „Statt die begrenzten Mittel für eine kleine Gruppe zu investieren, plädieren wir entschieden dafür, den Fokus auf die psychische Gesundheit von allen Jugendlichen zu setzen. Das wäre weitreichender und relevanter.“
In ihrem Rundumschlag kritisiert sie die Überforderung junger Menschen in der Schule, die fehlenden Investitionen in Schulinfrastrukturen und das Sicherheitsbedürfnis junger Frauen bei Großveranstaltungen. Das sieht die Schulsozialarbeiterin Susanne Wagner anders. Sie entgegnet der Schülerin, dass ihre Anliegen zwar wichtig seien, es in dieser Sitzung aber um dem Beratungsbedarf queerer Jugendliche gehe, bei der sie in ihrem Arbeitsalltag an Grenzen stoße.
Auch CDU-Stadtrat Joachim Filleböck macht deutlich, dass viele wichtige Anregungen zu hören waren, bemerkt jedoch scherzhaft: „Ich habe bei 60 Anträgen, die Sie hier gestellt haben, aufgehört zu zählen.“ Außerdem sei der Bedarf einer solchen queeren Einrichtung unumstritten und es dürfe nicht darum gehen, Probleme miteinander zu vergleichen.
Niklas Becker startet mit persönlichen Erfahrungen in die Debatte
Wie dringend eine queere Beratungsstelle in Konstanz benötigt werde, machte Niklas Becker von FGL & Grünen in der Sitzung mit einer persönlichen Geschichte deutlich: „Mit 15 Jahren habe ich mit einem Freund gechattet, der mir erzählt hat, dass er sich überlegt, vor den Zug zu werfen. Anders als ich stieß er bei seinem Outing nicht auf ein tolerantes Umfeld. Er ist von seinen Eltern damit nicht akzeptiert und in der Schule ausgegrenzt worden.“
„Diese Art von Geschichte kennen viele queere Menschen“, meint der Jungpolitiker. Er merkt an, dass queere Jugendliche häufig Diskriminierung, Mobbing und Ausgrenzung in Gesellschaft, Familie und Schule erleben, was zu einer erhöhten psychischen Belastung führe. Hinzu komme, dass im eigenen Umfeld oftmals keine queeren Bezugspersonen vorhanden seien, sodass sich viele Jugendliche alleine fühlen.
Hohe Kosten bei leeren Kassen
Um fundierte Entscheidungen über die geplanten Investitionen zu treffen, lassen sich die Mitglieder des Jugendhilfeausschusses die angespannte Haushaltslage von Kämmerer Ulrich Schwarz erläutern. Susanne Heiß von den Freien Wählern macht daraufhin deutlich, dass ihre Fraktion sich bei den anstehenden Investitionsverhandlungen entweder enthalten oder gegen die Beratungsstelle stimmen werde.
Bürgermeister Andreas Osner hält dagegen, dass es aus volkswirtschaftlicher Sicht langfristig lohnend sei, in Bereiche wie das Kindeswohl zu investieren. Heiß bleibt davon unbeeindruckt: „Ich kenne diese ganzen Vorträge.“ Die Finanzierung ist auch in der Verhandlung rund um die queere Beratungsstelle immer wieder Thema.
Das Queer Netzwerk Konstanz hatte in seinem Konzeptpapier einen jährlichen Aufwand von 100.000 Euro für eine Vollzeitstelle sowie für laufende infrastrukturelle Kosten veranschlagt. In der Beschlussvorlage wurde dieser Betrag jedoch auf jeweils 50.000 Euro für 2025 und 2026 halbiert. Niklas Becker lehnt diese Änderung ab und fordert die konkrete Planung einer Vollzeitstelle, welche gemeinsam mit dem Landkreis Konstanz finanziert werden solle.
Daraufhin passt der Ausschuss die Beschlussvorlage an und beschließt sie so mit 8 von 14 Stimmen. Unter dem Eindruck der knappen Mehrheit und mit Verwunderung über die Position des Schülerparlaments hält sich das Queer Netzwerk Konstanz nach dem Ausschuss kurz: „Wir werden den Abend nun erstmal verdauen und dann weiterschauen“, so Burkhard Lehner.