Ein Aperol Spritz für 9,50 Euro, eine Eigentumswohnung mit 36 Quadratmetern für 600.000 Euro und 90 Minuten Schwimmen im Schwaketenbad für 6 Euro: Das sind Zahlen, die schnell mal für Erregung sorgen in Konstanz. In einer Stadt, in der nach einer Studie der auf Stadtentwicklung spezialisierten Beratungsgesellschaft Cima die Kaufkraft deutlich geringer ist als zum Beispiel in Radolfzell. Und in einer Stadt, in deren Zentrum es zwar immer mehr Sitzplätze in der Außengastronomie gibt, aber kaum mehr ein schattiges Plätzchen, wo man sich ohne Konsumzwang niederlassen kann. Kann man sich Konstanz bald nicht mehr leisten?
Gibt es die schönen Dinge nur noch für Menschen mit dickem Geldbeutel?
Tatsächlich muss Konstanz aufpassen, dass nicht weite Bevölkerungskreise schleichend von der Teilhabe am Stadtleben ausgeschlossen werden. Nun gibt es kein Bürgerrecht auf einen Aperol Spritz für 5,50 Euro, und zu den Preisen der Ostalb wird man am Bodensee niemals wohnen können. Doch wenn immer mehr Menschen in der eigenen Stadt den Eindruck gewinnen, die schönen und angenehmen Dinge seien nur noch für die, die mit dem dicken Geldbeutel ankommen, ist das problematisch.
Denn wer nicht mehr mitmachen, nicht mehr mithalten kann, entwickelt ein Gefühl von Entfremdung von der eigenen Stadt. Und daraus entstehen schnell sehr viel bedenklichere Symptome als die Bekümmerung darüber, sich ein kleines Extra nicht mehr leisten zu können, oder die Wut darauf, dass jetzt zum stattlichen Viertele-Preis 0,15 Liter Wein ausgeschenkt werden. Mangelnde Teilhabe wird politisch, wenn Menschen in der Stadt nicht mehr mitreden, nicht mehr wählen gehen, keine Verantwortung mehr übernehmen. Spätestens dann sind stolze Bürger zu passiven Bewohnern geworden.
Das Leben in Konstanz ist teuer – vom Bus bis zum Bad
Nun greift es zu kurz, Gastro-, Schwimmbad- und Immobilienpreise zum alleinigen Maßstab für Teilhabe zu machen. Aber sie taugen als Barometer, weil sie den Querschnitt der Interessen ansprechen. Und die Reihe ließe sich ja fortsetzen: Ein Buchgeschäft zieht aus, eine Designer-Modemarke übernimmt den Platz. Eine Vier-Zimmer-Wohnung wird auf Airbnb angeboten, statt Heimat für eine Familie zu sein, die eben pro Monat nur so viel bezahlen kann wie Touristen in einer Woche. Und sogar eine Busfahrt vom Bahnhof zur Mainau kostet fast so viel wie einmal mit der S-Bahn ganz Berlin zu durchqueren.
Zur Wahrheit gehört dabei aber auch: Es gibt sehr viele Menschen, die sich diese Stadt gut leisten können. Weil sie ein gutes Einkommen haben, in einer abbezahlten Immobilie leben, geerbt haben oder einfach gut mit Geld umgehen können. Mindestens so viel wie sie profitieren von den Angeboten dieser Stadt aber jene, die am anderen Ende der sozialen Skala zu Hause sind. Mit dem Konstanzer Sozialpass gibt es vom Zuschuss zum Deutschlandticket über die stark vergünstigte Theaterkarte bis zum fast kostenlosen Volkshochschulkurs großzügige Ermäßigungen.
Vor allem die Mitte der Gesellschaft verliert den Anschluss
Das Problem ist also, dass die schwindende Teilhabe vor allem die Mitte der Gesellschaft betrifft: Menschen, die sich abrackern und dennoch nicht wohlhabend sind, aber eben auch weder Bürgergeld noch Wohngeld noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (um drei der Kriterien für den Konstanzer Sozialpass zu nennen) erhalten.
Diese Erosion in der Mitte zeigt sich übrigens auch in einem weiteren Bereich: Es sind, das zeigen alle Bevölkerungsdaten aus dem Rathaus, vor allem die Menschen mittleren Alters, die Konstanz den Rücken kehren. Wenn wir nicht aufpassen, werden wir zu einer Stadt der Ränder – der wirklich Wohlhabenden und der ganz Armen, der richtig Jungen und der ziemlich Alten. Das aber kann niemand wollen.
Und nein, dass wir kostenlos joggen und baden können, ist noch keine Teilhabe
Daran sollten sich alle erinnern, die für diese Stadt und ihre Gesellschaft Verantwortung übernommen haben. Der Verweis, dass man ja im Lorettowald kostenlos joggen, im Bodensee umsonst baden und am Schänzle für wenig Geld eine mitgebrachte Flasche Wein genießen kann, ist richtig: Konstanz hat auch für Menschen mit weniger Geld viel zu bieten. Aber dieser Verweis ist nicht die Antwort auf die politische Aufgabe, die Stadtgesellschaft in ihrer Vielfalt aus Altersstufen, Schichten, Interessengruppen und Herkünften zusammenzuhalten.
Teilhabe ist weder ein Gnadenerweis noch ein Almosen. Vor allem aber ist echte Teilhabe eben nicht der Zugang zu selbstverständlichen Dingen. Die ungehinderte Nutzung von öffentlichem Raum ist eine solche Selbstverständlichkeit. Das fast vollständig frei zugängliche Bodenseeufer ist es dagegen nicht, und man kann die Weitsicht derer, die das einst ermöglicht haben, nicht hoch genug loben. Wenn sich jedoch Menschen, die heute unzufrieden sind, mit den Errungenschaften von damals abgespeist fühlen, befördert das eher Frustration als Begeisterung.
Auch im Gemeinderat ist die Mitte der Gesellschaft kaum vertreten
Konstanz als eine Stadt für alle zu erhalten und in Teilen auch wieder zu einer Stadt für alle zu machen, ist in diesen unsicheren Zeiten keine einfache Herausforderung. Und diese Aufgabe ist umso größer, als wir zumeist von Menschen regiert werden, die das Leben in dieser Stadt noch gut finanzieren und sich ein Ehrenamt zum Beispiel im Gemeinderat leisten können. In ihrem Handeln zeigen sie oft einen guten Blick für die Nöte der Armen und Ärmsten in Konstanz. Es drängt sich aber der Verdacht auf, dass dieser Blick mehr von Mitleid geprägt ist als von dem Wunsch, die ganze Gesellschaft solidarisch zusammenzuhalten. Damit das gelingt, muss übrigens nicht zuvorderst der Aperol Spritz billiger werden.