Überraschung! Der Stephansplatz soll schon ab Mai autofrei werden – zumindest der nördliche Teil. Von dem konkreten Zeitpunkt und dem Umfang wussten noch nicht einmal die Stadträte. Eine Frage, die sich hier sofort stellt, ist: Überholt die Verwaltung die Bürger und deren politische Vertreter rechts und macht den zweiten vor dem ersten Schritt?
Doch dahinter liegt etwas ganz anderes: Nirgendwo in Konstanz lassen sich alle Konfliktlinien, Widersprüchlichkeiten und Herausforderungen dieser Stadt besser ablesen als auf diesen rund 7000 Quadratmetern in der historischen Altstadt.
Über die Idee des autofreien Stephansplatzes diskutiert Konstanz seit Jahren kontrovers. Eine grobe Planung hat das Amt für Stadtplanung und Umwelt (ASU) vor über zwei Jahren vorgelegt, doch erst jetzt arbeitet ein externes Büro die Details aus. Wie der Stephansplatz künftig genau aussehen soll und wie teuer die Umgestaltung wird, weiß also noch keiner.
Bislang ist von drei bis fünf Millionen Euro Baukosten die Rede. Weder hat der Gemeinderat bislang einen Projektbeschluss gefasst, noch ist klar, ob das Projekt eine Förderung erhält. Einen Zuschuss braucht die Stadt, die offiziell als finanzschwach gilt, damit der Platz in einem Zug umgestaltet werden kann.
Noch sind viele Fragen offen
Obwohl noch zahlreiche und vor allem grundlegende Fragen – insbesondere jene der Finanzierung – offen sind, schafft die Verwaltung schon mal Fakten: Ab Mai wird im ersten Schritt ein Teil des Platzes autofrei, obwohl die Umgestaltung selbst erst in frühestens eineinhalb Jahren beginnen kann. Baubürgermeister Karl Langensteiner-Schönborn spricht derweil von temporären Maßnahmen. Sie sollen den Bürgern, wie er sagt, einen Vorgeschmack auf das geben, was (irgendwann vielleicht) einmal kommen soll.
Das ist übrigens eben jener Bürgermeister, der mit seinem Team trotz Klimaerwärmung Ende 2018 mit der Sanierung der Marktstätten-Unterführung begonnen und das bestehende Grün weitgehend gerodet hat. Von Klimaanpassungsmaßnahmen ist hier nichts zu sehen – im Gegenteil: Versiegelte Flächen und kein schattenspendendes Bäumchen, wenn man von den temporär aufgestellten Palmenkübeln einmal absieht. Und es ist auch der gleiche Bürgermeister, der vor zehn Jahren die Marktstätte pompös zum „Festsaal der Stadt“ umbauen wollte. Bekommen haben die Bürger eine neue Unterführung, wo es nun überhaupt kein Grün mehr gibt.
So geht es besser
Am Stephansplatz könnte die Verwaltung zeigen, wie es besser geht: Sie nimmt die Vorschläge und Bedürfnisse der Bürger ernst, legt eine detaillierte Planung für eine hochwertige Platzgestaltung mit zukunftsweisenden Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel in beispielgebender Ästhetik vor. Dazu gehören unabdingbar Kostenaufstellung, Finanzierung und Zeitplan.
Die Bewohnerparkplätze müssen in fußläufiger Nähe erreichbar sein – und bleiben. Das bedeutet für die Verlegung aufs Döbele: Die Anwohnerstellplätze müssen auch während des Baus des dortigen Parkhauses zur Verfügung stehen. Erst, wenn das komplexe Gesamtkonzept steht, wird es in einem Rutsch zügig umgesetzt. Wenn der Verwaltung das gelingt, dann könnte das Projekt zum großen Wurf werden.
Hier prallen Ideologien aufeinander
Das Gegenteil ist der Fall. Das Projekt Stephansplatz ist vielmehr das Brennglas, unter dem sich alle Probleme der Stadt beispielhaft bündeln. Es ist die Arena, wo Ideologien aufeinanderprallen, aber nicht im Kompromiss gelöst werden und deshalb die Stadtgesellschaft spaltet. Es geht um Themen wie Mobilitätswende, Klimaschutz und Anpassungen an den Klimawandel. Ein Teil der Bürgerschaft fühlt sich überrollt, dem anderen Teil geht es zu langsam.
Eine Strategie, wie alle Bürger auf sympathische Art auf dem Weg in die Zukunft mitgenommen werden, fehlt. Stattdessen gibt es vor allem Verbote und Vorschriften, die den Konstanzern auferlegt werden. Das führt zu Unmut in Teilen der Stadtgesellschaft. Politik und Verwaltung sollten die Sorgen der Menschen ernst nehmen und Lösungen finden, damit für jeden Konstanzer die Stadt lebens- und liebenswert bleibt.
Der Stephansplatz ist auch ein Beispiel, wie die Verwaltung versucht, selbst Politik zu machen und die Bürger und deren Vertreter vor vollendete Tatsachen zu stellen; dabei geht Vertrauen verloren. Das Vertrauen in Teile der Verwaltung, gerade was Stadtplanung anbelangt, ist ohnehin schon angekratzt.
Es gibt in der Stadt viele Konzepte, die seit Jahren in den Schubladen liegen, aber nichts scheint sich zu tun. Und wenn etwas begonnen wird, dann bleibt es meist Stückwerk – und in der Bevölkerung bleibt Misstrauen, und zwar aus guten Gründen.
Ein Provisorium wäre ein Negativ-Aushängeschild
Auf der Marktstätte hat die Verwaltung bisher nichts von dem geliefert, was man von einer Klimanotstand-Stadt eigentlich erwarten würde. Der Platz ist versiegelt wie eh und je, der einsame Baum steht noch immer allein vor der Sparkasse, Schatten ist Mangelware. Viele weitere Beispiele im Stadtgebiet geben kein viel besseres Bild ab.
Leider ist zu befürchten, dass sich der Stephansplatz in diese Reihe einfügt. Wenn jetzt einfach mal angefangen, aber das Projekt nicht zu Ende gebracht wird, dann: Bonjour tristesse! Denn nichts hält so lange wie ein Provisorium. Und ein Langzeit-Provisorium an dieser prominenten Stelle wäre ein Negativ-Aushängeschild für die Konzilstadt Konstanz.
Noch haben Gemeinderat und Verwaltung die Chance, mit all den Gruppen, die beim Stephansplatz mitreden wollen, eine gemeinsam getragene Lösung zu entwickeln. Eilends aufgestellte Parkverbots-Schilder mögen wenige Wochen vor der Gemeinderatswahl ein starkes Symbol sein – aber sie werden so lange ein Symbol bleiben, wie diese Stadt für einen ihrer wichtigsten Plätze keine bessere Idee entwickelt und dafür breite Zustimmung herstellt.