Gräfin Sandra, Sie sind jetzt seit 14 Jahren mit dem Café Vergissmeinnicht hier auf der Insel, auf der vielzitierten Insel auf der Insel. Was war für Sie ein unvergessliches Erlebnis in der Zeit gewesen?

Ich glaube, es ist tatsächlich die Eröffnung meines Cafés. Ich konnte damit meinen Lebenstraum verwirklichen. Wir haben einen Ort geschaffen, der Jugendlichen auf dem Weg in die Berufswelt voranbringt und vielen eine Chance gibt, die sie sonst nicht hätten. Als das losging, war es ein unvergesslicher Augenblick. Und genauso wertvoll ist der Prozess, der dahinter steckt. Jedes Mal, wenn ich da reinkomme, erinnert es mich daran, dass man Träume verwirklichen kann.

Sie haben damals einen großen Vertrauensvorschuss bekommen von der Insel, für ihre Arbeit mit Jugendlichen, die sich sonst schwertun. Was haben Sie der Insel dafür zurückgegeben?

Einen Mehrwert, der darin begründet liegt, sozial etwas zu machen, für andere Menschen da zu sein. Davon profitiert auch die ganze Mainau. Aber auch die Lieblichkeit dieses Cafés bringt etwas Besonderes auf die Insel, diese Offenheit – und dass man keine Hürde sieht zwischen Menschen, die es vielleicht nicht so einfach haben. Die Insel steht dafür, dass wir offen sind und ein Ort der Begegnungen. Dazu tragen wir mit dem Café Vergissmeinnicht bei.

Ein Bild aus den ersten Tagen: Brandy Luziko (von links) und Madeleine Berger haben bereits 2010 bei „Gärtnern für Alle“ am Programm ...
Ein Bild aus den ersten Tagen: Brandy Luziko (von links) und Madeleine Berger haben bereits 2010 bei „Gärtnern für Alle“ am Programm „Pro Integration“ teilgenommen und bei ihrer Arbeit im Café Vergissmeinnicht auf der Insel Mainau viel fürs Leben gelernt. Ganz links: Geschäftsführerin Sandra Gräfin Bernadotte. Damals wie heute ist sie stolz auf die Leistung der Jugendlichen. | Bild: Nikolaj Schutzbach | SK-Archiv

Zu Ihnen kommen Jugendliche, die sich nicht leicht tun, nach der Schule eine Perspektive zu finden. Was bringen die so mit?

Ich sage immer, unsere Jugendlichen sind verhaltenskreativ. Wortwörtlich! Sie haben verschiedene Kreativitäten, die einen sind sehr geschickt im Handwerk, die einen sind sehr geschickt beim Backen. Oft wissen sie es gar nicht von ihren Fähigkeiten, und die versuchen wir dann, wenn sie kommen, herauszukitzeln. Alle haben ihre Stärken. Jeder Jugendliche bringt uns seine Individualität mit, und wir lernen von jedem von ihnen. Sie fordern immer wieder neue Fähigkeiten. Das bringt uns auch mal an unsere Grenzen, aber es jeden Tag aufs Neue spannend und schön.

Und was lernen die Jugendlichen von Ihnen?

Zuerst mal ganz grundlegende Dinge: pünktlich zu kommen, sich anständig zu verhalten, respektvoll miteinander umzugehen, sich wertschätzend zu begegnen. Das müssen wir ihnen mit unserem Team vorleben. Und das tun wir jeden Tag – nicht, weil es im Lehrplan steht, sondern weil mein Team hier einfach so funktioniert. Und ich kann Ihnen bestätigen, dass das wirkt.

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Das Ziel ist, dass die Jugendlichen nach der Zeit hier eine Chance haben, eine Ausbildungsstelle bekommen oder anderweitig gute Perspektiven für sich finden. Gelingt das in der Regel?

Gerade zu Corona-Zeiten war es schon mal schwierig, Praktikumsplätze für sie zu finden. Aber da wir nur bis zu zehn Jugendlichen hier bei uns haben, können wir uns gut um sie kümmern. Zehn übrigens, weil wir nicht mehr Platz haben – und weil es familiär und trotz der Hierarchie auch freundschaftlich bleiben soll.

So haben wir sehr viel Zeit und Energie für den einzelnen Jugendlichen und können auf die Wünsche, Neigungen und Eignungen eingehen und schauen, in welche Berufsrichtung es gehen könnte. So finden wir meist gut geeignete Praktikumsorte. Sie zu finden und die Jugendlichen zu vermitteln, ist zeitintensiv. Aber im Ergebnis haben wir eine hohe Vermittlungsquote.

Sie haben es gerade angesprochen. Sie waren vor Corona schon hier, sie waren während Corona hier und nach Corona. Was hat Corona mit den Jugendlichen nach ihrer Wahrnehmung gemacht?

Ich glaube, sie waren vor allem mehr für sich. Da musste und muss man sie wieder rausholen. Ihnen Interaktion geben, mit ihnen Gespräche führen, miteinander am Tisch sitzen. Viele waren viel zu Hause, saßen am Fernseher oder Smartphone. Dem setzen wir ein direktes Miteinander entgegen. Wir gärtnern zusammen, machen gemeinsame Spaziergänge auf der Insel, gehen raus in die reale Welt.

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Die Corona-Zeit fällt zusammen mit dem großen medialen Wandel, den wir gerade erleben. Wie gelingt es ihnen, die Jugendlichen mal vom Handy wegzubekommen?

Schwierig. Sie wissen, dass während der Arbeitszeit und des Unterrichts das Handy verboten ist, wenn es nicht für diese Zwecke benötigt wird. Da muss man schon immer schauen, dass das nicht doch irgendwo eines versteckt ist oder bei der Gartenarbeit mal heimlich rausgeholt wird. Wir haben hier klare Regeln, das ist für sie nicht immer einfach, aber da müssen sie durch. Ich wüsste nicht, wie man es freiwillig machen sollte. In den Pausen dürfen sie das Handy auch wieder nutzen, das sei ihnen gegönnt.

Worauf kommt es Ihnen an als Führungskraft? Wie arbeiten Sie mit einem so interessanten und vielfältigen Team?

Ich bin, wie ich bin, und bleibe Sandra, dann kann ich auch meine so verschiedenen Rollen gut ausfüllen. Ich lebe vor, wie man einen sinnhaften und wertvollen Umgang miteinander haben kann. Dann ist mir wichtig, dass wir immer in einem ganz engen Austausch sind. Ich sage immer, wenn was ist, dann kommt, egal ob es jetzt euch klein erscheint oder nicht. Wenn ein Störgefühl bei den Jugendlichen oder auch bei uns oder mir da ist, sprechen wir das schnell und offen an. Da geht es viel um Kommunikation und Klarheit.

Wir sind im Leitungsteam im engen Austausch, das verstehen die Jugendlichen auch und merken, dass man uns nicht gegeneinander ausspielen kann. Verlässlichkeit und Verbindlichkeit sind uns wichtig, denn unsere Jugendlichen brauchen vor allem ganz viel Menschlichkeit, Aufmerksamkeit und Zuneigung. Man kann viele Fähigkeiten immer weiter optimieren, aber das menschliche Miteinander ist der Dreh- und Angelpunkt von allem.

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Kommt das bei den Gästen an? Merken sie, dass das hier etwas Besonderes ist?

Ich denke ja. Unser Gebäude und unsere Einrichtung sind ja schon mal anders. Vor allem aber haben wird einen besonderen Umgang miteinander. Und wir erklären hier an den Wänden, was wir sind und warum wir das machen. Das erklärt auch, dass vielleicht einmal etwas ein bisschen länger dauert. Die Menschen spüren, dass es hier keine Hürden gibt und wir es mit der Offenheit wirklich ernst meinen. Auch auf die Gäste gehen wir auf eine besondere Art zu, auch wenn im Sommer viel Stress ist. Ich hoffe und beobachte auch, dass das von den Gästen wahrgenommen wird.

Sie kamen damals durch Ihre Heirat mit Graf Björn auf die Mainau. Die Ehe hatte leider keinen Bestand, aber Ihr Projekt schon. Wie haben Sie das hinbekommen und waren Sie auch mal an einem Punkt, an dem Sie fürchten mussten, dass Sie Ihren Lebenstraum aufgeben müssen?

Ja, natürlich, ich wusste immer, dass ich hier auch viel zu verlieren habe. Gerade weil so viel Herzblut im Café Vergissmeinnicht steckt. Aber es war eben nicht nur mein, sondern es war unser gemeinsames Herzensprojekt. Es war Graf Björn und mir wichtig, dass das erhalten bleibt, und dass wir unsere tiefe Verbundenheit auch unter den neuen Voraussetzungen in die Zukunft tragen können. Es war nicht einfach, sich mit der neuen Situation und einer vollkommen veränderten Ausgangslage zurechtzufinden. Für uns beide, wie auch für die Mitarbeiter.

Aber es war uns wichtig, dass wir das hinbekommen und dieses wunderbare, gemeinsame Projekt und auch unsere Freundschaft nicht aufgeben. Wir haben inzwischen dafür eine gemeinnützige GmbH gegründet und so einen guten Rahmen geschaffen. Darüber bin ich sehr, sehr froh und dankbar. Ja, es war nicht leicht, aber heute bin ich wirklich sehr, sehr glücklich, dass alles so gekommen ist und dass ich hier bin.