Höhepunkt der Maiparade war die Ansprache vom „Aktivisten und Kämpfer“ Egenolf Löhr, der vor genau 50 Jahren gemeinsam mit dem damaligen SPD-Gemeinderat Erwin Reisacher und rund 150 Mitstreiterinnen und Mitstreitern über die Zäune der Seestraßenvillen stieg. Die „Aktion Seeuferspaziergang“ am 1. Mai 1975 nennt Zeitzeuge Löhr bei seiner Rede vor dem überbauten und eingezäunten Büdingen-Park als wohl „spektakulärste“ einiger Handlungen, mit denen sie damals schon mehr Freiraum für die Bevölkerung forderten.
Der Seeuferspaziergang hatte zur Folge, dass heute der Seeuferweg zwischen Seestraße und Hörnle für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Zum Gedenken des vehementesten Mitstreiters Erwin-Reisachers soll der Seeuferweg in „Erwin-Reisacher-Weg“ umbenannt werden, so der Vorschlag der Initianten der Maiparade, die die Schilder bereits bei der Kundgebung vor dem Büdingen-Park dabeihatten.
Start des Umzugs war die Wiese vor dem Bodenseeforum, wo Moritz Schneider vom Jungen Forum, die Eröffnungsrede hielt. Er lud ein zu einer Gedankenreise: „Was würde passieren, wenn Freiräume von unten heraufgestaltet würden?“ Potenzial dafür sieht er im Bodenseestadion, auf Klein Venedig oder in der Shedhalle im Siemensareal.
Wenn die Bevölkerung für solche Orte die Legitimation erhielte, etwas zu schaffen, Kultur- und Gemeinschaftsräume, könnten nicht nur „wirklich schöne Orte“ gestaltet werden, sondern auch eine Veränderung in der Stadtbevölkerung herbeigeführt werden, indem sich verschiedene Akteure zusammentun. „Stadt für alle, statt für wenige“, rief Moritz Schneider in die Menge. Als Negativbeispiel nennt Schneider den Büdingen-Park, auf dem heute ein eingezäuntes Luxusresort steht.
Der Zug wurde vom Nashornwagen der Piratensender e.V. angeführt, der die Menge mit Reggaemusik bis zu Europawiese führte, wo Live-Bands für die rund 200 Demonstrierenden spielten und die vielen Menschen, die dort den 1. Mai feierten.