Eigentlich hatten sich alle Beteiligten auf einen langen Verhandlungstag eingestellt. Denn bei drei Angeklagten, einem Nebenkläger, vier Anwälten, neun Zeugen und zwei Dolmetschern kann es schon eine Weile dauern, bis ein Urteil fällt. Doch nach knapp zwei Stunden ist alles vorbei. Die neun Zeugen werden nicht benötigt, das Verfahren wird eingestellt.
Was war passiert? Gleich zu Beginn der Verhandlung im Weißen Saal des Gebäudes an der Rheingasse bitten die drei Anwälte der Angeklagten und der Anwalt des Nebenklägers darum, sich vor der Tür besprechen zu dürfen. Es dauert ein paar Minuten, dann betreten die vier Herren wieder den Gerichtssaal. Rechtsgespräch nennt sich diese Art der Verständigung.

Die vier Anwälte haben eine Mission: Sie möchten Frieden schaffen zwischen den vier Verfahrensbeteiligten. Denn obwohl über die Entstehungsgeschichte der angeklagten Taten vor Gericht nichts zu hören ist, wird doch klar, dass die vier Männer sich schon länger kennen und immer wieder aneinandergeraten.
Hämatom durch einen Holzstock
Im konkreten Fall wird Ahmad T., seinem Bruder Hasan T. und ihrem Freund Peyman R. vorgeworfen, am 16. Juni 2021 an der Seestraße einen 30- und einen 32-Jährigen angegriffen zu haben. Die drei trafen gegen 19 Uhr auf die beiden Geschädigten. Peyman R., 41-jähriger Iraner, soll mit einem langen Holzstock auf eines der Opfer eingeschlagen haben, sodass er ein großes Hämatom am Rücken erlitt.
Die Brüder T., 27 und 30 Jahre alt und im syrischen Aleppo geboren, sollen versucht haben, mit einem Messer auf die Geschädigten einzustechen. „Verletzt wurde dabei nur deshalb niemand, weil die Angegriffenen wegrannten“, sagt Staatsanwalt Christian Schubert.
Peyman R. soll zudem am 18. August 2021 einen der Geschädigten in der Paradiesstraße „plötzlich und unvermittelt von hinten angegriffen und massiv am Hals gewürgt haben“. Laut Schubert wurde das Opfer fast bewusstlos und trug Würgemale davon. „Peyman R. wurde dann von Passanten weggezogen“, sagt der Staatsanwalt. Alle drei Angeklagten sowie auch der Nebenkläger Kheir B. (der das Hämatom am Rücken davontrug) leben und arbeiten in Konstanz.
„Es geht darum, Frieden zu schaffen“
Genau das veranlasst die Anwälte, den Weg des Rechtsgesprächs zu wählen. „Konstanz ist nicht groß und es geht darum, Frieden zu schaffen. Es kommt bei Begegnungen zwischen den Männern zu bösen Blicken und süffisantem Grinsen. Wenn die jungen Leute sich mal aussprächen, wäre viel gewonnen“, sagt deshalb Salih Saydam, Anwalt von Hasan T.
Genauso sieht es Andreas Hennemann, Verteidiger von Peyman R.: „Wenn dadurch Begegnungen ohne böses Blut stattfinden können, bin ich auch für ein Rechtsgespräch.“ Das Ziel ist die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage.

Diese Art der Verständigung wird im Volksmund mitunter auch „Deal“ genannt. Salih Saydam schlägt vor: „Wenn die vier Männer sich die Hand reichen, in die Augen schauen und gegenseitig entschuldigen, wäre ich für einen Täter-Opfer-Ausgleich und dafür, dass die Angeklagten zusätzlich Geld an eine soziale Einrichtung bezahlen.“
Dann ergänzt er: „Es ist ja keine Einbahnstraße, warum es an der Seestraße zu dem Vorfall kam.“ Damit spielt er darauf an, dass der Nebenkläger Kheir B., der in diesem Verfahren das Opfer ist, mal einen Stein auf Ahmad T. geworfen haben soll. Hier läuft ein weiteres Verfahren.

Auch Bernd Rudolph, Anwalt von Kheir B., stimmt zu: „Wenn man Tür an Tür arbeitet, wäre es schön, wenn Sprüche wie ‚Fick deine Schwester‘ der Vergangenheit angehören.“ Zudem hält er ein Schmerzensgeld für seinen Mandanten für angebracht.
Nach ein paar Diskussionen einigen sich die Beteiligten darauf, dass Peyman R. für den Stockschlag 250 Euro an Kheir B. zahlt. Zusätzlich überweisen die drei Angeklagten je 750 Euro an die Kindernachsorgeklinik in Tannheim im Schwarzwald.

Damit künftig wirklich Frieden einkehren kann zwischen den vier Männern, signalisieren Ahmad T. und sein Anwalt Christoph Wiggenhauser, dass sie ihren Strafantrag gegen den Nebenkläger Kheir B. zurücknehmen, der wegen des Steinwurfs gestellt wurde.
Und dann folgt das, worauf dieses ganze Rechtsgespräch fußt: Die vier Männer entschuldigen sich gegenseitig, gestehen Fehler ein. Die Hand aber geben sie sich nicht. „Das Händeschütteln bedeutet im arabischen Kulturraum eine große Vertraulichkeit, die ist hier nicht gegeben“, erklärt Anwalt Bernd Rudolph.

„Die Männer müssen ja auch keine Freunde werden, aber vor der Tür haben wir gemerkt, dass sich die Situation zwischen ihnen entspannt.“ Auch Andreas Hennemann ist überzeugt davon, dass der Friede halten kann.
So wird das Verfahren eingestellt und die neun Zeugen abbestellt. Einer von ihnen hat dabei richtig Glück: Er ist vorbestraft und war selbst an einem der Vorfälle beteiligt. Unter Umständen hätte es zu einer Verhandlung gegen ihn kommen können. Nun aber werden die Taten nicht weiter aufgearbeitet. Dem Frieden zuliebe.