Ein altes Haus, eine besondere Vater-Tochter-Beziehung und viel Herzblut fürs Brotbacken: Das sind die Zutaten für diese Geschichte, die davon erzählt, warum sich seit Anfang August 2023 zweimal in der Woche eine lange Schlange vor dem schmalen Haus in der Salmannsweilergasse 4 bildet. Denn seit wenigen Wochen öffnen Nora und Jörn Ridder dort donnerstags und freitags ihren Laden „Brotalgut“.

Diese blaue Tür öffnet sich derzeit donnerstags und freitags von 12 bis 18 Uhr. Später sind weitere Öffnungstage geplant.
Diese blaue Tür öffnet sich derzeit donnerstags und freitags von 12 bis 18 Uhr. Später sind weitere Öffnungstage geplant. | Bild: Kirsten Astor

Während rundherum viele Bäckereien ihre Öffnungszeiten einschränken müssen oder ganz schließen, wagen Vater und Tochter in der Altstadt den Neubeginn. Sie bieten Roggen-, Dinkel- und Weizenbrote aus Natursauerteig an, auch wenige süße Teile sind im Angebot. Kurz nach der Eröffnung sind die beiden überwältigt von der Nachfrage. Doch bis dahin war es ein weiter Weg.

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Alles begann mit einem Brotbackbuch. „Mein Bruder bekam mal eines geschenkt“, erzählt Nora Ridder dem SÜDKURIER. „Daraufhin hat mein Vater zu Hause viel gebacken und sich im Keller eine kleine Backstube eingerichtet.“ Schon bald verschenkte er selbstgemachtes Brot an Familie und Freunde, besuchte Kurse der Akademie für Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim und Frankreich, hospitierte in vielen Backstuben.

So sieht das Natursauerteigbrot von Brotalgut aus.
So sieht das Natursauerteigbrot von Brotalgut aus. | Bild: Nora Ridder

„Ich habe eine große Leidenschaft fürs Brotbacken entwickelt“, sagt Jörn Ridder. „Doch allein konnte ich meinen Traum von einer kleinen Bäckerei nicht umsetzen. Zum Glück sprang der Funke auf Nora über“, sagt er und lacht seine Tochter an. Die war zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon im Lebensmittelhandwerk unterwegs.

Dass sie sich nun tatsächlich eine Backstube eröffnen konnten, verdanken die beiden auch einem glücklichen Zufall. „Einer der Bekannten, dem wir Brot geschenkt hatten, erfuhr von unserem Wunsch und sagte, er habe gerade ein altes Haus in der Salmannsweilergasse gekauft, in dem Gewerbe möglich sei“, erzählt Nora Ridder.

Diese denkmalgeschützte Decke befindet sich in der neuen Bäckerei.
Diese denkmalgeschützte Decke befindet sich in der neuen Bäckerei. | Bild: Kirsten Astor

Sie schauten sich die Räume im März 2021 an und waren sofort begeistert. Allerdings steckte viel Arbeit darin, aus dem uralten Gemäuer eine moderne Backstube zu machen. „Hier an der Säule war der Raum früher zu Ende“, sagt die 28-Jährige und deutet auf die Stelle mitten in ihrer Produktionsstätte. „Dahinter befand sich ein Innenhof mit Mülltonnen und Rädern“.

Blick in Richtung Eingang: Hier an der Säule, wo Nora und Jörn Ridder lehnen, war früher der Raum zu Ende. Eine Wand wurde entfernt, um ...
Blick in Richtung Eingang: Hier an der Säule, wo Nora und Jörn Ridder lehnen, war früher der Raum zu Ende. Eine Wand wurde entfernt, um die Produktiontsstätte zu vergrößern und Platz für Ofen und Kühlung zu schaffen. | Bild: Kirsten Astor

Der Innenhof wurde mit einem Glasdach versehen, sodass mehr Raum entstand. „Sonst hätten wir unseren großen Backofen und die Kühlung gar nicht untergebracht“, sagt sie bei einem kleinen Rundgang.

Tradition und Moderne: Diese Verbindung steckt nicht nur zwischen dem jahrhundertealten Haus und der neuen Bäckerei, sondern auch zwischen Vater und Tochter. „Wir hatten schon immer ein gutes Verhältnis und lernen uns jetzt nochmal auf der neuen Ebene der Geschäftsbeziehung kennen“, sagt Jörn Ridder.

Vater ist eigentlich Internist und Hausarzt

Beide führen die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gemeinsam, doch während Nora Ridder Vollzeit in der Bäckerei arbeitet, unterstützt ihr Vater sie stundenweise. „Mein erster Beruf und meine Praxis stehen weiterhin an erster Stelle“, sagt der Internist und Hausarzt. „Aber beim Backen entspanne ich gern. Andere spielen in ihrer Freizeit Tennis – ich habe mir eine Knetmaschine gekauft.“ Auch seine Frau Cathrin hilft tatkräftig im Familienunternehmen mit.

Nora Ridder faltet ihren Teig Video: Kirsten Astor

Nach zwei Jahren komplizierter Umbauphase und vielen Testbroten eröffnete Brotalgut Anfang August 2023 erstmals die Türen. „Sobald der Bauzaun weg war, haben die Leute neugierig durchs Fenster geschaut“, erzählt Nora Ridder. „Da wir das Konzept der transparenten Backstube umsetzen, können sie auch jetzt noch zugucken, wie wir Teig kneten und Brote formen.“

So entsteht ein Brot bei Nora und Jörn Ridder Video: Kirsten Astor

Sobald das neue Personal eingearbeitet ist, sollen weitere Öffnungstage dazukommen. Die Ridders planen außerdem die Bio-Zertifizierung. Dass nach so langer Vorbereitung nun tatsächlich Kunden Schlange stehen, kann Nora Ridder immer noch nicht fassen. Ihr Vater ergänzt: „Es ist schön, dass ein bodenständiges Produkt wie Brot so vielen Menschen Freude macht.“

Neues Leben auch in der Niederburg

Auch in der Niederburg zog jüngst neues Leben in eine alte Backstube ein: Heimatliebe mit Sitz in Allensbach eröffnete dort ihre neue Filiale in der St.-Johann-Gasse – dort, wo bis vor Kurzem noch die Bäckerei Fricke einen ihrer beiden Verkaufsräume betrieb. Aus Altersgründen gingen Andrea und Günter Fricke in den Ruhestand – aber auch deshalb, weil sie für ihre Backstube keinen Nachfolger fanden.

Heimatliebe eröffnete gerade eine neue Filiale in der Niederburg. Monika Schulte und Susann Thiers (von links) gehören zum Team.
Heimatliebe eröffnete gerade eine neue Filiale in der Niederburg. Monika Schulte und Susann Thiers (von links) gehören zum Team. | Bild: Hanser, Oliver

Ähnlich geht es vielen kleineren Bäckereien in Konstanz: Meister sind schwer zu finden, die Betriebe geben auf. Hier kommt Heimatliebe ins Spiel, die im Juni 2022 das Backhaus Holstein‘s mit seinen sieben Filialen kauften und auch die Produktionsstätte in Allensbach übernahmen. Nach und nach sollen alle Läden in die eigene Marke überführt werden. Doch zuerst steht die Übernahme und Eröffnung einiger zusätzlicher Bäckereien an.

In der St.-Johann-Gasse ist nun nach kurzer Umbaupause auch wieder eine Bäckerei.
In der St.-Johann-Gasse ist nun nach kurzer Umbaupause auch wieder eine Bäckerei. | Bild: Kirsten Astor

Die einen müssen aufgeben und die anderen profitieren davon, um zu wachsen? So sieht Frank Winterhalter es nicht. „Es ist so schade, dass viele Bäckereien aufhören müssen“, findet der Heimatliebe-Geschäftsführer. „Deshalb versuchen wir, sie als möglichst ganze Einheiten zu übernehmen, also auch mit dem Personal.“ Denn dass dies schwer zu finden ist, weiß auch der 56-Jährige.

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Azubis mit Ausbildungsvisum

Da nicht nur Verkaufspersonal rar ist, sondern vor allem auch die Bäcker, hat Heimatliebe zwei junge Auszubildende aus Malaysia und eine aus Indonesien angestellt. „Sie lernen Konditorin und Bäckerin und haben ein Ausbildungsvisum. Es ist viel Verantwortung für uns – so, als hätten wir neue Familienmitglieder. Aber wenn eine von ihnen am Ende bleibt, ist schon viel gewonnen“, sagt der 56-Jährige. „Man muss für die Zukunft neue Wege gehen.“

„Wir möchten alte Rezepte und Getreidesorten wiederbeleben“, sagt Heimatliebe-Geschäftsführer Frank Winterhalter.
„Wir möchten alte Rezepte und Getreidesorten wiederbeleben“, sagt Heimatliebe-Geschäftsführer Frank Winterhalter. | Bild: Kirsten Astor

Das bezieht er auch auf die Produkte. Wobei der neue Weg am besten zu den Wurzeln zurückführt, davon ist Frank Winterhalter überzeugt. „Wir möchten alte Rezepte und Getreidesorten wiederbeleben“, sagt er. „Die Japaner leben am längsten, und die fermentieren einfach alles.“ Das Heimatliebe-Sortiment umfasst langzeitgeführte Brote, konventionelle und solche mit Demeter-Maßstäben.

Neue Konzepte gegen Bäckereisterben

„Wichtig ist für uns, dass die Rohstoffe aus der Region kommen“, sagt der Geschäftsführer. „Heimat bedeutet, ein gutes Gefühl zu vermitteln.“ Frank Winterhalter weiß, wovon er spricht: Der Lebensmitteltechnologe mit Marketingstudium aus Kaiserslautern war in der ganzen Welt unterwegs. Durch seine Frau kam er an den Bodensee. „Es gibt kaum schönere Orte als hier“, stellte er recht bald fest.

Nun möchte er bleiben und weitere Filialen eröffnen. Für Vater und Tochter von „Brotalgut“ hat er nur Bewunderung übrig: „Was die beiden auf die Beine stellen, sehe ich absolut als Bereicherung. Gott sei Dank gibt es Menschen, die mit neuen Konzepten dem Bäckereisterben entgegenwirken.“