Michael Breuninger schossen die Tränen in die Augen und er konnte nichts dagegen tun. „Mir war das ein wenig peinlich, weil die Frau vom SÜDKURIER nicht so recht wusste, wie sie mit dieser Situation umgehen soll.“ Das Geschehen liegt mehr als einen Monat zurück, und die Entscheidung, dass der Konstanzer Weihnachtsmarkt selbst in seiner abgespeckter Form wegen Corona nicht fortgeführt wird, war gerade erst bekannt geworden. Die Redaktionskollegin befragte den Sprecher der Standbetreiber nach den Folgen, doch dass dem Mann die Nachricht so zu Herzen geht, kam für sie offenbar etwas überraschend.

Der Weihnachtsmarkt hat für Breuninger eine große Bedeutung

Weihnachten ist passé, aber an der Gemütsverfassung von Michael Breuninger hat das nicht viel verändert. „Nicht zu arbeiten, macht viele von uns fertig“, sagt der 62-Jährige. Der Weihnachtsmarkt nimmt für ihn eine Bedeutung weit jenseits des ökonomischen Werts ein. Kasse machen an seinem Glühweinstand ist das eine, aber Michael Breuninger ist viel zu lange im Geschäft, um nicht die psychologische und soziale Funktion einschätzen zu können. „Die Leute trinken in aller Regel nur ein Glas, wobei es primär nicht um den Alkohol geht. Danach sind sie ganz anders drauf – offen, gesprächig. Sie kommen einfach mal aus ihrem Alltag raus.“

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Dass der Weihnachtsmarkt in Folge der Pandemie zum zweiten Mal vorzeitig abgebrochen wurde, nagt am Selbstverständnis des Gastronomen, dessen Berufsverständnis sich nicht auf die Abrechnung von Euro und Cent beschränkt. Und Michael Breuninger ist überzeugt, dass es vielen seiner Weihnachtsmarktkollegen ähnlich geht. Ein Indiz für ihn ist „das völlige Zusammenbrechen der Kollegen nach Abbau der Stände“.

„So kann das nicht ewig weitergehen!“

So haben ihn vor einem Jahr nach der Absage des Weihnachtsmarkts viele seiner Kollegen angesprochen, diesmal gab es so gut wie keine Resonanz. Die Motivation ist offenbar perdu, was für Michael Breuninger ein Zeichen für die Grenzen der gesamtgesellschaftlichen Belastbarkeit ist.

„So kann das nicht ewig weitergehen“, ist er überzeugt, „die Leute brauchen Gemeinschaftserlebnisse wie den Weihnachtsmarkt.“ Der Weg dorthin führt für ihn über die Impfpflicht, was er für ihn nichts mit Freiheitseinschränkung zu tun hat. „Früher war das doch ganz normal“, sagt er und führt als Beispiel die Impfungen gegen Kinderlähmung an.

Fehler beim Krisenmanagement will er dabei nicht schönreden, allerdings gebe es im Hinblick auf Beistand und Unterstützung etwa der Stadtverwaltung keinen Grund zur Klage. Immer wieder habe es Anfragen gegeben, wie man helfen könne – zum Beispiel bei der Suche nach alternativen Standorten für einzelne Stände beziehungsweise als Drehscheibe für etwaige Kooperationen mit den örtlichen Händlern. Der Erfolg allerdings blieb überschaubar.

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Nach Kenntnis von Michael Breuninger wurden die Möglichkeit zur Nutzung von Schaufenster-Auslagen nur selten genutzt, und lediglich an sechs Standorten in der Stadt wurden einige ursprünglich für den Weihnachtsmarkt vorgesehenen Buden aufgebaut.

Weihnachtsmarkt als Besuchermagnet

Insgesamt waren 120 Stände für den Markt aufgebaut worden, was im Vergleich zu den Weihnachtsmärkten vor der Pandemie bereits eine Reduzierung um 60 Buden bedeutete. Auch bei den zugelassenen Besuchszahlen hatte man sich auf einen Grenzwert von maximal 8000 festgelegt – ein Klacks im Vergleich zu früheren Jahren. „An guten Samstagen kamen vor Corona bis zu 50.000 Besucher auf den Weihnachtsmarkt“, sagt Michael Breuninger, „insgesamt war der Weihnachtsmarkt mit 450.000 bis 480.000 Besuchern die größte Veranstaltung der Stadt.“ Allein aus diesem Zahlenvergleich lasse sich herauslesen, dass es „diesmal ganz bestimmt nicht um den Umsatz oder Gewinn gegangen ist, sondern nur um die Präsenz“.

Ganz aus dem Blick verlieren will und kann der Sprecher der Standbetreiber die Ökonomie gleichwohl nicht. Er selbst musste rund 420 Liter Glühwein entsorgen, vielen Kollegen mit einem Angebot verderblicher Ware dürfte es nicht anders ergangen sein. Michael Breuninger geht davon aus, dass Politik und Gesellschaft sich weiterhin solidarisch erweisen werden, allerdings sitze man anders als vor einem Jahr auf Kohlen.

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Da damals in manchen Fällen Schindluder mit den Soforthilfen betrieben worden sei, werde die Unterstützung diesmal über Zwischenstationen wie etwa die Steuerberater organisiert. Die Standbetreiber müssen nachweisen, welche Kosten ihnen entstanden sind, dann werden die Auflistungen weiter gereicht und „irgendwann im Frühjahr sehen wir dann wie‘s weitergeht“.

Auf den Fixkosten freilich bleiben die Standbetreiber, die den Weihnachtsmarkt in vielen Fällen als zusätzliches Standbein ihres Unternehmens nutzen, voraussichtlich sitzen. Das spürt auch Michael Breuninger, dem die Einbußen in diesem Jahr ganz anders schmerzen als im vergangenen Jahr. Dennoch befinde er sich auf der Grundlage seiner beruflichen Lebensleistung in einer komfortableren Situation als etliche seiner Kollegen. „Es gibt Standbetreiber, die nehmen eigens für den Weihnachtsmarkt einen Kredit für den Wareneinkauf ein“, berichtet er, „und da nimmt der Ausfall eine ganz andere Dimension an.“