Pro: Das Thema ist sexualisierte Gewalt!

Bevor es emotional wird, hier eine kühle Berechnung: Laut Studien haben 60 Prozent der Frauen Angst im Dunkeln nach Hause zu gehen. Von den hier lebenden 45.585 Einwohnerinnen wären das knapp 27.000. Ziehen wir davon noch Seniorinnen, Kinder und Stubenhockerinnen ab, ist das Ausmaß der nächtlichen Sorgen nicht einmal im Ansatz berechnet.
Bei dem Thema liegt es nahe zu sagen, dass die Angst im Dunkeln etwas völlig Normales ist: Dass sogar der erste Stockacher Heidenhöhlenbewohner nur ungern ohne sein Feuer einschlief. Aber darum geht es nicht: Das Thema ist sexualisierte Gewalt! Ist uns nun daran gelegen, Frauen mit ein paar Euro vor dieser zu schützen, quäken die Herren der Schöpfung sofort nach Gleichberechtigung. Dass aber die überhaupt nicht im gleichen Maß von sexualisierter Gewalt betroffen sind, wird da schon mal gerne vergessen.
Schlimmer noch: Gewalt gegen Frauen geht nachweislich fast nur von Männern aus. Sie ist Ausdruck eines Machtgefälles, das sich seit den Zeiten der Höhlenbewohner durch Gesellschaft, Familie und Politik zieht. Sexualisierte Übergriffe sind der logische Auswuchs einer Gesellschaft, in der Männer – vielleicht bis auf Fußballfrust – nur Stärke und Dominanz zeigen dürfen.
Frauen hingegen sind bis heute oft dazu verdammt, sanft, passiv und unterwürfig zu sein. Da überrascht es nicht, dass weibliche Partygäste ab zwei Uhr nachts nur noch als Frischfleisch betrachtet werden. Dann mal viel Spaß auf dem Heimweg, mon Amour!
Es ist tragisch: Wir haben es als Gesellschaft verpasst, unseren Söhnen beizubringen, dass sie Frauen nicht ungefragt anfassen dürfen. Heute müssen wir unseren Töchtern deshalb sagen, dass sie im Dunkeln lieber aufpassen sollen. Das Frauennachttaxi bedient dasselbe Muster und wiederholt dabei ein auf Hilfe angewiesenes Frauenbild. Deswegen können sich auch Konservative darauf gut einigen.
Dass aber Frauen in der Nacht tatsächlich schutzbedürftig sind, liegt nicht an deren Rollenverständnis, sondern an der Angst, gefährlichen Typen über den Weg zu laufen. Deren toxische Männlichkeit können Konstanzer neuerdings auf den Gehwegen ihrer Stadt bemerken. Dort schreiben Aktivistinnen regelmäßig Erfahrungen von Übergriffen und sexistischen Kommentaren auf den Boden: ein Potpourri aus herabwürdigendem Verhalten, direkt vor der eigenen Haustüre.
Es ist klar: Wenn wir das Versprechen des Sozialstaats wirklich ernst nehmen, dann sollten wir es uns auch leisten, die Frauen darin ernst zu nehmen. Denn was bleibt uns übrig? Können wir wirklich den tausenden Frauen unserer Stadt jede Woche erzählen, dass sie sich nicht so anstellen sollen? Sollen wir ihnen tatsächlich ihre Gefühle absprechen?
Contra: So viel zum Thema Gleichberechtigung!

Das Ziel ist ehrenwert. Frauen sollen keine Angst haben, wenn sie nachts auf dem Nachhauseweg sind. Das Ansinnen von FGL und Grünen, ein Frauennachttaxi in Konstanz anbieten zu wollen, muss man aber infrage stellen. Zu kritisieren ist die Ungleichbehandlung, denn Männern soll dieses Plus an Sicherheit verwehrt bleiben.
Immer wird zu Recht Gleichberechtigung eingefordert. Da kann aber nicht heißen, dass Männer schlechter gestellt werden. Auch das vermeintlich starke Geschlecht ist Gefahren ausgesetzt, weniger wegen des Risikos sexueller Übergriffe, dafür durch Körperverletzungen. Erst jüngst wurde ein 26-Jähriger Opfer einer Messerattacke, die er in Lebensgefahr schwebend glücklicherweise überlebt hat. Wiegt sein Leben etwa geringer als das einer Frau?
Ist es rechtschaffen und vor dem eigenen Gewissen zu vertreten, Mädchen, Frauen und weiblich gelesene Personen in Sachen Sicherheit zu bevorzugen und Männer auszuschließen, wo Konstanz doch eine Stadt für alle sein soll? Die Antwort kann da nur lauten: Nein! Jeder Mensch – egal welches Geschlechts oder Hautfarbe – sollte in Konstanz sicher leben können. Punkt.
Tja, und dann leben wir in einer Wohlstandsgesellschaft, wo es selbstverständlich geworden scheint, die Eigenverantwortung abgeben zu wollen, an den Staat, die Stadt, die Schule – wie und an wen auch immer. Dabei ist in erster Linie jeder Mensch für sich selbst verantwortlich und sollte selbst dafür sorgen, Lösungen für allfällige Probleme zu finden. Eine pragmatische, altmodische Lösung wäre beispielsweise: Statt Nachtfrauentaxi könnten Freunde, die zusammen feiern, auch gemeinsam den Heimweg antreten oder sich zusammen ein Taxi leisten.
Noch bedenklicher als die mögliche oder vermeintliche Gefahrenlage in Konstanz ist die gesellschaftliche Tendenz, dass Bürger sich nicht mehr trauen, Zweifel, Bedenken und fundierte Kritik laut auszusprechen. Sie haben Angst, umgehend in eine Schublade gesteckt zu werden, in die sie nicht hinwollen. Sie schweigen lieber, um ja nicht in Misskredit gezogen zu werden. Da bleibt das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auf der Strecke, ein Grundwert der Demokratie.
Um die Demokratie zu festigen, ist aber dieser Diskurs wichtig; der Austausch von Argumenten, der von gegenseitigem Respekt geprägt ist, mit dem Ziel, die bestmögliche Lösung zu finden. So auch beim Thema Frauennachttaxi. Männer auszuschließen, ist der falsche Ansatz. Vielmehr sollten erst belastbare Zahlen auf den Tisch gelegt werden, um die gefühlten Sicherheitsrisiken auf Faktenbasis einordnen zu können. Auf einer solchen Grundlage können Stadträte das Für und Wider abwägen und sich überlegen: Arbeiten wir an dem Grundproblem oder an den Symptomen?