Sie wollten sich rächen – aber niemanden töten. Das geht zumindest aus den Aussagen der beiden Angeklagten im Prozess wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht Konstanz hervor. Die Staatsanwaltschaft wirft den 35 und 20 Jahre alten italienischen Staatsangehörigen vor, am 7. Juli 2024 von einem Motorroller aus auf eine Menschengruppe an der Tankstelle in der Reichenaustraße geschossen zu haben. Nachdem sie in den bisherigen Prozesstagen weitgehend geschwiegen haben, legen sie am vierten Verhandlungstag ihre Sicht der Dinge dar.

„Unterm Strich hat er Glück gehabt, dass er noch lebt“

Mit der Beweisaufnahme versucht das Landgericht Konstanz, die Schießerei an der Eni-Tankstelle zu rekonstruieren, bei der ein heute 38-Jähriger durch einen Schuss schwer verletzt wurde. Wie knapp der Mann mit dem Leben davongekommen ist, wird am vierten Verhandlungstag deutlich, als ein Sachverständiger ein rechtsmedizinisches Gutachten vorliest.

Eine Kugel traf den linken Oberarm des Mannes, drang in seine Brust ein und blieb dort stecken. Zwar habe der Schuss keine Organe verletzt, sodass der zum Tatzeitpunkt 37-Jährige nicht in Lebensgefahr schwebte. Aber es war knapp: „Es ging um wenige Zentimeter“, macht der Sachverständige deutlich.

Was bisher vor Gericht geschah

Wäre die Position des Mannes etwas anders gewesen, hätte die Kugel womöglich sein Herz getroffen. „Er war zur falschen Zeit am falschen Ort“, so Richter Joachim Dospil. „Aber unterm Strich hat er Glück gehabt, dass er noch lebt.“

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Vorausgegangene Schlägerei bei Konstanzer Diskothek

Den Schüssen an der Tankstelle ging eine Auseinandersetzung in der nahe gelegenen Diskothek „Grey“ voraus. Das ist der schriftlichen Erklärung zu entnehmen, die der 35-jährige Angeklagte von seiner Rechtsanwältin vor Gericht verlesen lässt. Er sei mit seiner Lebensgefährtin zum Club im Industriegebiet gekommen, weil deren minderjähriger Bruder auf der Tanzfläche angegriffen worden sei. „In der Disco wurde ihm mit einem Schlagring gegen den Kopf geschlagen“, lässt der 35-Jährige verlauten. Ein Sicherheitsmitarbeiter bestätigte vor Gericht, dass ein junger Gast im „Grey“ an der Stirn verletzt worden war.

Der Angeklagte wollte den Schläger des Minderjährigen zur Rechenschaft ziehen, wusste jedoch nicht, um wen es sich dabei handelte. Er habe aber gesehen, wie der Minderjährige vor dem Club von einem 18-Jährigen ins Gesicht geschlagen wurde. Da er annahm, dass der 18-Jährige den Minderjährigen auch bereits zuvor in der Disco angegriffen hatte, schlug er mit seinem Schlagstock auf ihn ein. Der 18-Jährige hatte jedoch nach derzeitigem Erkenntnisstand nichts mit der vorangegangenen Auseinandersetzung in der Diskothek zu tun.

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Sie wollten dem Opfer eine Abreibung verpassen

Danach habe der 35-Jährige den 20-jährigen Angeklagten mit seinem Motorroller abgeholt, um den 18-Jährigen in diesem Bereich des Industriegebiets zu suchen. „Es war zu keinem Zeitpunkt geplant, ihn oder andere zu töten“, heißt es in der Einlassung des 35-Jährigen. Stattdessen wollten sie dem 18-Jährigen mit Schlägen eine weitere Abreibung verpassen. Sie trafen den 18-Jährigen mit seinem 19-jährigen Kumpel an der Eni-Tankstelle und verprügelten sie.

Diesmal benutzte der 20-jährige Angeklagte einen Schlagstock. Anschließend seien die beiden Angeklagten zu dem Motorroller zurückgekehrt. Der 35-Jährige habe sie von der Tankstelle in Richtung Bodenseeforum gefahren. Um nicht durch eine 30er-Zone fahren zu müssen, habe der 35-Jährige den Roller gewendet und sei in Richtung Schänzlebrücke gefahren. Zum weiteren Geschehen, insbesondere zur Schussabgabe, möchte der 35-Jährige keine Angaben machen. Er bedauere jedoch, was geschehen ist.

(Archivbild von Juli 2024) Nach den Schüssen an der Tankstelle an der Reichenaustraße sichert die Polizei den Bereich für die Spurensuche.
(Archivbild von Juli 2024) Nach den Schüssen an der Tankstelle an der Reichenaustraße sichert die Polizei den Bereich für die Spurensuche. | Bild: Florian Förster

Der 35-jährige Angeklagte soll geschossen haben

Der 20-jährige Angeklagte macht vor Gericht hingegen mit Hilfe der Dolmetscherin Angaben zu den Schüssen. Seiner Aussage nach habe der 35-Jährige auf die Menschengruppe geschossen. Er bestätigt, dass die beiden zunächst von der Tankstelle in Richtung Bodenseeforum gefahren seien und der 35-Jährige dann gewendet habe. Als sie an der Menschenmenge bei der Eni-Tankstelle vorbeigefahren seien, habe der 35-Jährige eine Schusswaffe aus dem Hosenbund gezogen und zwei Schüsse abgegeben – einen in Richtung Boden und einen in die Gruppe. Er habe aber nicht auf eine bestimmte Person gezielt.

Die Schüsse seien während der Fahrt abgegeben worden. „Wir hatten keine Zeit, um anzuhalten“, sagt der 20-Jährige. Er habe sich über die Schüsse gewundert: „Ich dachte nicht, dass die Waffe echt ist.“ Er kenne den 35-Jährigen schon länger und habe nie den Eindruck gehabt, dass dieser jemanden verletzen wolle.

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Weitere Schüsse in die Luft werden abgefeuert

Die beiden Männer seien dann weiter in Richtung Brücke gefahren. „Auf der Brücke habe ich zwei Schüsse in die Luft abgegeben“, sagt der 20-Jährige. „Warum haben sie das gemacht?“, möchte Richter Joachim Dospil wissen. „Wenn man in den Himmel schießt, will man Angst machen“, antwortet der Angeklagte. Danach habe er die Schusswaffe dem 35-Jährigen zurückgegeben. Was dann damit passiert ist, wisse er nicht.

Er wisse auch nicht, warum der 35-Jährige auf die Gruppe geschossen hat. „So wie ich ihn kenne, hat er nicht geschossen, um jemanden zu verletzen“, sagt der 20-Jährige. Erst später hätten sie aus den Nachrichten erfahren, dass jemand getroffen wurde. Sie selbst hätten in der Situation nichts davon gemerkt und es sei auch nicht geplant gewesen, so der 20-Jährige. „Aber was war denn der Plan?“, fragt der Richter. „Wir wollten ihn zusammenschlagen, um ihm das zurückzugeben, was uns angetan wurde“, erklärt der 20-Jährige.

Der 20-jährige Angeklagte schilderte mit Hilfe einer Dolmetscherin vor dem Landgericht Konstanz, was aus seiner Sicht am 7. Juli 2024 ...
Der 20-jährige Angeklagte schilderte mit Hilfe einer Dolmetscherin vor dem Landgericht Konstanz, was aus seiner Sicht am 7. Juli 2024 passiert ist. | Bild: Sabrina Morenz

Der voraussichtlich letzte Verhandlungstag ist für Montag, 17. Februar, angesetzt. An diesem Tag sind die Plädoyers und möglicherweise die Aussagen der beiden verbliebenen Zeugen vorgesehen.