Hajo Mayr musste noch nie den Alarmknopf in seinem Taxi drücken. Der ist für den Fall, dass einer seiner Fahrgäste gewalttätig wird. Hans-Mario, der von allen Hajo genannt wird, fährt Tagesschichten für das Taxiunternehmen Dornheim.

Seitdem Mayr Taxi fährt, schätzt er sein Leben etwas mehr. Ärger gibt es zwar selten – einzig, wenn er in Fußgängerzonen fährt. Doch er wünscht sich mehr Respekt, gerade dort. Denn er ist der Meinung, dass jeder einmal sehen sollte, was in einem Taxi am Tag alles geschieht. Denn die Schicksale seiner Kunden machen Hajo Mayr demütig.

„Ich hätte nicht gedacht, dass es so viele sind“, sagt Mayr. Über 50 Prozent seiner Fahrten in der Tagesschicht, schätzt er, sind Krankenfahrten. Im Taxi sitzt er in der Regel von sieben bis 17 Uhr. In Arztpraxen werden er und seine Kollegen auch mal beim Vorfahren als Taxitherapeut angekündigt.

Das könnte Sie auch interessieren

Darüber hinaus fahren die Taxifahrer auch Blutkonserven für Kliniken oder bringen Urlauber zum Flughafen oder an Bahnhöfe. Oftmals nehmen auch einsame Senioren in seinem Fahrzeug Platz. Der Konstanzer bringt sie häufig zu Terminen – etwa beim Friseur. Für manche sei das wie Ausgehen, so Mayr. Manchmal fühlt er sich, als sei er nicht nur der Fahrer, sondern auch Seelsorger für seine Fahrgäste. Für die Kranken wie für die Einsamen hat er ein offenes Ohr.

Diesen guten Draht zu fremden Menschen hat der 63-Jährige, weil er früher in der Gastronomie gearbeitet hat. Bevor er Taxifahrer wurde, besaß er noch ein eigenes Lokal. Das gab er jedoch auf, als seine Frau innerhalb von vier Jahren zwei Kinder bekommen hat. „Die Arbeitszeiten ließen sich nicht gut mit der Familie vereinbaren“, erzähl Mayr. So fand er zum Taxifahren bei Taxi Dornheim.

Hajo Mayr fährt viele Kunden und Stammkunden in seinem Taxi durch die Stadt und auch bis nach Singen. Einige Stammkunden sind wegen ...
Hajo Mayr fährt viele Kunden und Stammkunden in seinem Taxi durch die Stadt und auch bis nach Singen. Einige Stammkunden sind wegen ihrer Gesundheit auf Taxis angewiesen. | Bild: Ridder, Sebastian

Sorgen bereitete der Berufswechsel dem Konstanzer nicht. Schließlich wisse er aus der Zeit in der Gastronomie, wie er mit respektlosen Kunden umzugehen habe. Diese Sorge wäre aber auch umsonst gewesen, wie er heute weiß, denn die Anzahl freundlicher Fahrgäste schätzt Mayr am Tag etwa auf 85 Prozent. Die übrigen Passagiere seien hingegen nicht mal unfreundlich, sondern wollen einfach nicht reden. Das nehme Mayr niemandem böse.

Mayr wird gebraucht, das Sehen manche aber nicht

Unschöne Momente gebe es aber schon. Mayr muss sich manchmal auch Beschimpfungen in seinem Taxi anhören. Und zwar, wenn er kranke Menschen zu einer der vielen Arztpraxen in der Fußgängerzone fährt. Dann machen Passanten und Ordnungshüter Taxifahrern das Leben schwer. Fußgängerzonen dürfen nämlich nur in Ausnahmesituationen befahren werden.

Doch nicht immer sei klar, dass im Taxi schwerkranke Menschen sitzen, die es nicht zu Fuß zur Praxis schaffen. Nicht selten würde der Fahrer dann von Passanten beschimpft. Das Problem haben laut Aussage des Konstanzers alle Taxifahrer: „Niemand fährt gerne dort hin.“

Das könnte Sie auch interessieren

Aber der 63-Jährige steigt dennoch täglich gerne in sein Taxi. Vor allem, weil er festgestellt habe, dass er mehr Dankbarkeit als früher erfährt. „Die Leute vermitteln einem das Gefühl, gebraucht zu werden“, so der Konstanzer. Das Taxifahren erfülle ihn auf eine andere Weise. Im Lokal hat er auch Trinkgeld als Bestätigung bekommen, aber nie den Satz gehört: „Ich bin froh, dass es euch gibt!“ Im Taxi schon.

Der Tod gehört zum Taxifahren

Besonders dankbar seien Stammkunden. Darunter oft Menschen, die wegen Krankheiten beinahe täglich auf Mayr und seine Kollegen angewiesen sind. Zum Beispiel: Dialysepatienten. Über die regelmäßigen Fahrten hat Mayr zu einigen ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut. „Da frage ich schon mal extra nach, ob ich die fahren kann“, so der 63-Jährige, „die steigen oft lachend wieder aus dem Taxi aus.“

Doch die teils schweren Schicksale seiner Fahrgäste gehen nicht spurlos an Mayr vorüber. So erzählt er von einer 30-jährigen Frau, deren Immunsystem zerstört war. An die genaue Bezeichnung der plötzlich aufgetretenen Krankheit erinnert er sich nicht mehr. Der Konstanzer hat sie regelmäßig zu Behandlungen nach Tübingen gefahren. Sie haben sich gut verstanden. Er machte auch Besorgungsfahrten für sie. Solange, bis eines Tages ihre Mutter bei Taxi Dornheim anrief. Sie bestellte die Fahrten ab, denn ihre Tochter war gestorben.

Das könnte Sie auch interessieren

Das Sterben von Stammkunden gehört zwar nicht zum Alltag von Hajo Mayr, aber zum Beruf. „Das hat mich demütig gemacht“, so Mayr. Todesnachrichten, wie die der jungen Frau, verarbeitet der Konstanzer oft allein. Schließlich ist er das auch in seinen Schichten. Die Kollegen sieht er meistens nur bei der Schichtübergabe.

Kollege in der Nachtschicht lebensgefährlich verletzt

Mayrs Kollegen aus der Nachtschicht müssen hingegen mit ganz anderen Problemen fertig werden. Dort gibt es deutlich öfter Konflikte. Häufig mit Betrunkenen, wie Mayr von seinen Kollegen weiß. Die Nachtschicht sei viel unvorhersehbarer: „Meine Kollegen müssen immer mit allem rechnen“, so Mayr.

Sogar mit Attacken auf Leib und Leben: Einer von Mayrs Arbeitskollegen wurde im Juni 2018 beinahe getötet. Ein Fahrgast hatte ihn mit einem Messer schwer am Hals verletzt und war geflüchtet. Die Polizei konnte den Täter, der aufgrund paranoider Schizophrenie zum Zeitpunkt des Angriffs unzurechnungsfähig war, wenige Stunden später festnehmen.

Das könnte Sie auch interessieren

Ein weiterer Kollege von Mayr wurde im Sommer 2017 gezwungen, den Schützen der Schießerei am Grey zum späteren Tatort zu fahren. Der Mann soll mit dem Sturmgewehr ins Taxi gestiegen sein. Kurze Zeit später waren zwei Menschen tot, der Taxifahrer blieb unverletzt. Solche Vorfälle sind zwar Ausnahmen, bleiben aber in den Gedanken von Taxifahrern. Mayr wüsste selber nicht, ob er nach solchen Horrorerfahrungen wieder zur Arbeit ins Taxi steigen würde.

Polizisten haben ein Auge auf Taxifahrer

Am Tag fühlt er sich jedenfalls sicher. Und dazu trägt auch die Polizei bei. Denn die haben den stillen Alarm der Taxis im Blick. Dabei fängt das Taxischild lautlos an zu blinken. Mayr hat ihn bisher nur versehentlich gedrückt. Daraufhin haben sich schon Streifenpolizisten bei ihm erkundigt, ob alles in Ordnung ist. „Es ist gut zu wissen, dass jemand für den Fall da ist“, so der 63-Jährige.

Das könnte Sie auch interessieren