Betrug, Sachbeschädigung und versuchte Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion: Die Anklage hat es in sich, die die Staatsanwaltschaft gegen einen Mann erhebt, der in einem Saal des Konstanzer Amtsgerichts sitzt. Begleitet wird er von einem bekannten Gesicht: Andreas Hennemann. Der SPD-Politiker war in diesem Jahr zur Oberbürgermeisterwahl angetreten und hatte als Drittplatzierter nach dem ersten Wahlgang seinen Rückzug aus dem Rennen erklärt. Jetzt ist er wieder als Strafverteidiger tätig. Wie bereits im Wahlkampf wirkt Hennemann auch vor Gericht ruhig und überlegt, seine Argumente trägt er mit sanfter Stimme vor.
Ruhe und Geduld werden an diesem Tag auch dem Schöffengericht unter Vorsitz von Richterin Heike Willenberg und der Staatsanwältin abverlangt. Denn der verhandelte Fall stellt sich als äußerst verzwickt dar. Oft ist von „Hörensagen“ die Rede, die Vernehmung der mutmaßlich Geschädigten zieht sich in die Länge, und der Angeklagte äußert sich zunächst nur zur Person und nicht zur Sache. Am Ende jedoch bleibt das Bild eines Lebens, das eine tragische Wendung genommen hat.
Die Vorgeschichte
Als Jugendlicher kommt der Angeklagte laut eigener Aussage mit seiner Familie nach Deutschland. Nach drei abgebrochenen Lehren heuert der heutige Mittsechziger auf dem Bau an, macht später den Lastwagen-Führerschein, arbeitet als Fahrer, heiratet und bekommt mit seiner ersten Frau zwei Kinder. Die Ehe wird geschieden. Schließlich wechselt der Angeklagte in die Gastronomie. Mitte der 1990er-Jahre kauft er ein Haus, baut es um und eröffnet dort ein Lokal. Insgesamt habe er damals 1,5 Millionen D-Mark investiert, so der Angeklagte vor Gericht.
Gut 20 Jahre nach dem Hauskauf sitzt er noch immer auf Schulden in Höhe von 530.000 Euro, die Zwangsversteigerung droht. Da springt ihm die Witwe eines Rechtsanwalts zur Seite, den der Angeklagte länger kannte. „Er war für mich wie ein Vater“, sagt der Mann. Die Witwe dieses „Vaters“ kauft dem Angeklagten das Haus schließlich für 550.000 Euro ab. Zum einen aus wirtschaftlichem Interesse, wegen der Mieteinnahmen, wie die Frau bestätigt. Aber auch, um den Angeklagten „auf die Beine zu stellen“, wie sie sagt.
Der Betrug
Der Kaufvertrag enthält eine Klausel, in der geregelt ist, dass der Mann für die Gaststätte und eine Wohnung Miete leistet. Doch der Angeklagte zahlt fast ein Jahr lang nicht. Die Geschädigte sagt aus, er habe sie immer wieder vertröstet, das Geld komme bald. Der Angeklagte widerspricht dem: Die Klausel habe nur „pro forma“ im Vertrag gestanden. Es sei darum gegangen, seine zweite Ehefrau, die nach der Trennung in der Wohnung lebte, „rauszukriegen“.
Die Mietschulden werden in Zivilprozessen verhandelt, die Zwangsräumung der Wohnung erfolgt im Frühsommer vergangenen Jahres, die der Gaststätte wird zunächst aufgeschoben. Der Angeklagte lebt seit der Trennung von seiner Ehefrau in einem Raum der Gaststätte.
Der Suizidversuch
Eines Abends, so schildert er es, verklebt er in der Küche alle Fenster luftdicht, schraubt die Gasleitung des Herds auf, schluckt Tabletten mit einer Flasche Schnaps herunter und legt sich auf eine Matratze am Boden. „Ich wollte nicht mehr“, so der Mann vor Gericht. Doch der Selbstmordversuch scheitert. Wegen des Gasgeruchs werden am frühen Morgen die Feuerwehr alarmiert, die Mieter evakuiert und der Angeklagte ins Krankenhaus gebracht.
Rund zwei Monate nach den Geschehnissen reicht die Eigentümerin des Hauses und mutmaßlich Geschädigte Anzeige gegen den Mann ein. Die Ermittlungen nehmen ihren Lauf und landen schließlich vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Richterin Heike Willenberg.
Das Urteil
Es verurteilt den Angeklagten am Ende zu 150 Tagessätzen à 15 Euro. Denn, so die Richterin: „Sie wollten sich das Leben nehmen. Dadurch haben Sie auch andere Menschen in Gefahr gebracht.“ Auch der Tatbestand des Betrugs ist für sie klar erfüllt. Strafmildernd habe sich ausgewirkt, dass er „ein Päckchen zu tragen“ habe: Nach Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken lebt der Angeklagte derzeit in einem betreuten Wohnheim, ist auf Sozialhilfe angewiesen und in therapeutischer Behandlung. „Ich hoffe, dass Sie es schaffen, Ihrem Leben eine Wendung zu geben“, sagt Richterin Willenberg zum Schluss an den Angeklagten gerichtet.