Mehr als 3000 Schwäne leben am Bodensee und am Seerhein, millionenfach fotografiert von Touristen und Einheimischen, die von Stolz und Anmut der im Notfall streitbaren Tiere fasziniert sind. Ein solcher vermeintlicher Notfall beschäftigt derzeit auch die Polizei in Konstanz. Doch die Angelegenheit ist mysteriös.
Der Unbekannte mit dem Rucksack
Am 8. April ging bei den Beamten eine Anzeige ein, zu der ein Foto gehörte. Darauf zu sehen: Ein Mann mit Rucksack von hinten, der einen offenbar wehrlosen Schwan aus dem Seerhein beim Bodenseeforum holt. Zumindest geht die Polizei davon aus, dass das Tier nicht bei Kräften gewesen sein kann.

„Einen lebenden Schwan einfach so einzufangen, ist doch schwer vorstellbar, da er sich vermutlich heftig wehren würde“, sagt Sprecherin Katrin Rosenthal vom Polizeipräsidium Konstanz. Auch Lisa Maier, Ornithologin im Nabu-Bodenseezentrum, käme wohl eher nicht auf die Idee, einen mehr als zehn Kilogramm schweren Vogel, der sauer ist, in eine Tasche zu packen und am Körper mit sich herumzutragen.
Sie hat ebenfalls eine Mail des Anzeigeerstatters mit dem Bild bekommen und weiß nicht so recht, was Sie von der darauf abgebildeten Szene halten soll. Der Nabu jedenfalls habe nichts damit zu tun. Eine Nachfrage beim Versender, ob er das Foto auch für eine Zeitungsveröffentlichung zur Verfügung stellen würde, blieb unbeantwortet. Auch die Polizei hält die Aufnahme mit Verweis auf die Ermittlungen unter Verschluss.
Was genau ist dort nun passiert? Hat die Tierrettung Südbaden einen verletzten Vogel aus dem Fluss gezogen, um ihn behandeln zu lassen? Nein, heißt es von der Einsatztruppe in Radolfzell. Und das Veterinäramt des Landratsamtes? Möglicherweise handelte es sich ja um einen Fall von Vogelgrippe? Kann sein, aber wenn, dann ist er an der Behörde vorbeigegangen. Denn die hatte nach eigenen Angaben nichts damit zu tun.
Wie viele Schwäne genau es in der Region gibt, lässt sich laut Lisa Maier vom Naturschutzbund nicht sagen. Das hänge auch stark vom Zeitpunkt im Jahr ab. „Im Sommer sammeln sich Bodensee-Brutvögel, Brutvögel aus dem Hinterland und Nichtbrüter, um hier zu mausern, also das Gefieder zu wechseln“, erklärt Maier.
Im August 2022 seien das allein im Ermatinger Becken – das ist das Deutsch-Schweizer Seegebiet zwischen Gottlieben, Insel Reichenau und Ermatingen – rund 1300 Exemplare und auf dem gesamten Bodensee 3200 Schwäne gewesen. Im Januar 2023 hielten sich laut Maier bis zu 4500 der Vögel am Bodensee auf. Im Ermatinger Becken waren es rund 1100.
Angewiesen auf Niedrigwasser
Vor allem die Winterzahlen sind in den vergangenen Jahren leicht angestiegen – so mischen sich in dieser Zeit Singschwäne aus dem Norden unter die weiße Flotte der Höckerschwäne. „Die Zahl der Brutpaare schwankt in Konstanz – also im Bereich Seerhein, Ermatinger Becken und Hegnebucht – jedes Frühjahr um die zehn.“
Gemeint sind damit nach Auskunft der Ornithologin nur erfolgreiche Bruten, die auch tatsächlich zu Nachwuchs führen, und nicht die Nester, die wegen ansteigenden Wassers samt Eiern versinken, so wie das in diesem Frühjahr unter anderem am Herosé-Park der Fall war.

„Die Schwäne profitieren in diesem Zeitraum von Niedrigwasserständen“, sagt Lisa Maier. 2022 seien hier deshalb beachtliche 18 Brutpaare registriert worden – weil sie erstens leichter Platz zum Brüten fanden und sich zweitens die Platzwahl später seltener als Fehler erwies.
War das aus dem Seerhein „gestohlene“ Tier nun krank, verletzt oder sogar tot? Das ist per Ferndiagnose unmöglich festzustellen. Die Gefahr, sich mit Vogelgrippe anzustecken, ist für Schwäne derzeit jedenfalls größer als in anderen Jahren, denn die Geflügelpest grassierte in den vergangenen Wochen auch in der Region. „Betroffen waren hauptsächlich Möwen, vereinzelt aber auch Schwäne“, sagt Maier.

Steffen Schmidt vom Büro des Landrats erläutert das Prozedere, wenn man einen kranken oder verendeten Vogel in freier Wildbahn entdeckt: Schnell den jeweiligen Gemeinden melden, die organisieren das Einsammeln, um die Verbreitung des Virus zu begrenzen! Auffällige Häufungen müssten dem Veterinäramt gemeldet werden. „Besteht der Verdacht, dass ein Wasservogel oder Greifvogel an der aviären Influenza – also der Vogelgrippe – erkrankt ist, wird er eingeschläfert und einer weitergehenden Untersuchung zugeführt.“
Auch in Konstanz sollte man die Vögel nicht einfach in den Rucksack stecken. Vielmehr kümmern sich nach Auskunft von Mandy Krüger von der Pressestelle der Stadtverwaltung die Technischen Betriebe (TBK) und in den Teilorten die Ortsverwaltungen mit ihren Bauhöfen um Fundtiere – zumindest in den Dienstzeiten. Ansonsten sei die Feuerwehr zuständig.
Anzeige wegen Jagdwilderei
Die TBK dokumentieren derartige Vorkommnisse laut Krüger und reichen die Informationen an das Veterinäramt weiter – das in Bezug auf diesen Vorfall von nichts weiß. Das städtische Unternehmen kann es in dem Fall von Anfang April also auch nicht gewesen sein, das den Schwan weggetragen hat.
Und wie weit ist die Polizei? „Die Anzeige gegen Unbekannt wegen Jagdwilderei wird der Staatsanwaltschaft Konstanz vorgelegt“, sagt Sprecherin Katrin Rosenthal. Wenn nicht noch überraschend neue Erkenntnisse auftauchen, ist das normalerweise der Schwanengesang auf die Ermittlungen.
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