Zertrümmerte Dachziegel liegen auf dem Fußboden. Die Tapete schält sich von den Wänden. Der Dachstuhl und das Mauerwerk wurden entblößt. Und fehlende Fensterrahmen laden Neugierige dazu ein, vom Bürgersteig aus in das Innere des Hauses in der Kindlebildstraße zu spähen.
So auch zwei Kinder mit Schulranzen auf dem Rücken. Sie blicken durch ein Loch oberhalb der Tür in das Gebäude, beziehungsweise: was davon übrig geblieben ist. Fragende Blicke. Achselzucken. Dann gehen sie weiter.
Eine Anwohnerin radelt die Kindlebildstraße herunter. Nein, sie wisse nichts über das Haus und was damit passieren soll. „Aber der Daniel Groß“, sagt sie, „der kann Ihnen da bestimmt weiterhelfen.“
Gebäude stammt „mit Sicherheit aus dem 17. Jahrhundert“
Ein Anruf und ein anschließendes Treffen mit Daniel Groß, dem Wollmatinger Historiker, Stadtführer und Gemeinderat. Aus welcher Zeit das Haus genau stamme, sei schwierig zu sagen, meint er, aber „mit Sicherheit aus dem 17. Jahrhundert“. Die Bauweise, das Mauerwerk und die Dachbalken wiesen unter anderem darauf hin, so Groß.

Bei den meisten anderen Häusern in der Kindlebildstraße kenne er das Ursprungsdatum. Die Nummer 13 sei aber eine Ausnahme: Hier wisse er nur bis ins Jahr 1790 zurück, wem das Gebäude gehört habe. Zu dem Zeitpunkt wurde es aber nicht gebaut, ist sich Groß sicher. „Ich schätze, es ist deutlich älter.“
Wollmatinger Bürgermeister wohnte hier im 19. Jahrhundert
Wie der Historiker erklärt, hätten in dem Gebäude früher Bauern mit Nebenverdiensten gewohnt, beispielsweise Schuhmacher, Schuster oder Böttcher. Sogar ein Wollmatinger Bürgermeister habe im 19. Jahrhundert hier gelebt. Einst habe auf dem Platz gegenüber eine Dorfkirche gestanden, nach der Kreuzung mit dem Engelsteig sei das Ortsende Wollmatingens gewesen. Dahinter habe ein Feldweg durch ein Rebgelände zur Reichenau geführt, so Groß.
Doch leider falle das Haus nicht unter Denkmalschutz, sagt der Historiker. Im November 2019 hatte sich das Landesamt für Denkmalpflege nach einer Begehung ausdrücklich dagegen entschieden, wie das Denkmalamt Konstanz auf SÜDKURIER-Anfrage bestätigt. Die ehemaligen Eigentümer hätten das Objekt verkauft und im vergangenen Jahr habe der Konstanzer Gemeinderat über neue Bebauungspläne für das Grundstück beraten, wie Daniel Groß weiter ausführt.
Das Schicksal des Hauses sei damit besiegelt – es werde abgerissen, meint Groß. „Wollmatingen verliert damit an dörflichem Charakter. Es tut weh, dass man so etwas nicht erhält.“
Haus über vier Generationen in Familienhand
„Dass der Dani das Haus gern erhalten hätte, kann ich verstehen“, sagt Frank Stadelhofer. Der 52-jährige Wollmatinger ist mit Daniel Groß aufgewachsen und hat viele Jahre in dem Haus in der Kindlebildstraße gewohnt. Später zogen Frank Stadelhofer und seine Frau in ein Gebäude in der Nachbarschaft. Die Immobilie mit der Hausnummer 13 sei über vier Generationen hinweg im Besitz seiner Familie gewesen – bis vor rund anderthalb Jahren, erklärt Stadelhofer.

Zu dem Zeitpunkt verkaufte er die Immobilie an eine Wohnbaufirma aus dem Landkreis Waldshut. Der Grund: die mangelhafte Bausubstanz und die fehlende Aussicht auf eine erfolgreiche Sanierung. „Das Alte zu bewahren ist hier nicht möglich“, meint Stadelhofer. „Wenn man das hätte erhalten wollen, hätte man bis zu zwei Millionen Euro investieren müssen.“
Mit „Speedy Gonzales“ unter einem Dach
„Den Abriss betrachte ich mit einem weinenden und einem lachenden Auge“, sagt der 52-Jährige. Einerseits verliere der traditionelle Ortskern Wollmatingens ein Stück Geschichte, andererseits sei das Haus am Ende nicht mehr bewohnbar gewesen.
Mäuse und andere Tiere hätten im Mauerwerk gelebt, erzählt seine Frau Andrea Stadelhofer. „Wenn ich auf dem Sofa lag, konnte ich Speedy Gonzales in den Wänden hören.“ Ihr Mann fügt hinzu: „Dann musste man gegen die Wände klopfen und die Mäuse waren ruhig.“
Symbol für „Tradition, Familie und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit“
Ähnlich betrachtet Gudrun Romer, Frank Stadelhofers Schwester, das Schicksal des Hauses. Insgesamt zehn Jahre hat sie in dem Gebäude gewohnt. „Es wurde zu einer Zeit gebaut, als die Leute sehr arm waren“, erklärt sie. „Einen Wohnkomfort gab es dort nicht.“ Die fehlende Isolierung habe „astronomische Heizkosten“ verursacht. Die Wände seien schief gewesen und das Fundament des Gebäudes sei über die Jahre abgesunken, erzählt Romer.

Auf der anderen Seite symbolisiere das Haus für sie „Tradition, Familie und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit.“ Aus diesem Grund sei sie traurig, dass es abgerissen werde, sagt Gudrun Romer. „Es tut mir schon leid. Das kommt in letzter Zeit ein wenig hoch.“ Man habe aber keine andere Möglichkeit gesehen. „Jeder Euro, der da investiert wird, ist zu viel.“

Bereits in den 1960er-Jahren seien im Ortsteil viele alte Gebäude abgerissen worden und „Bausünden“ entstanden, meint Gudrun Romer. Über einen Verlust des Wollmatinger Ortskerns zu sprechen, der durch den Abriss ihres Elternhauses entstehe, hält sie daher für „verspätet“, wie sie sagt.
Wann wird das Haus abgerissen?
Wann die zuständige Abrissfirma anrückt und ein Neubau entsteht, ist bislang unklar. Auf mehrmalige Nachfrage des SÜDKURIER gibt der neue Besitzer, die Wohnbaufirma Schendel aus Wutöschingen, nur sporadisch Auskunft. Laut einer Mitarbeiterin könnte der Abriss „in den nächsten Wochen oder Monaten“ stattfinden, abhängig von der Verfügbarkeit der Abrissfirma. Weitere Informationen gibt die Wohnbaufirma dazu nicht.
Was auf dem Grundstück entstehen wird, ist dagegen bekannt. Wie Vorlagen aus Gemeinderatssitzungen vom Sommer 2020 darlegen, sollen dort zwei Mehrfamilienhäuser gebaut werden. Frank Stadelhofer bestätigt dies, er habe Baupläne gesehen, sagt er.
Trotz aller Nostalgie glaubt seine Schwester, dass der Neubau ein angemessener Nachfolger für ihr Elternhaus sein wird. „Ich glaube, das neue Haus wird sich gut in das Straßenbild einfügen“, sagt Gudrun Romer.