Der Volksmund und Kommentatoren in den sozialen Netzwerken sind sich einig: E-Scooter nerven, sind schädlich für das Klima und nur eine Modeerscheinung, die schon bald wieder in der Versenkung verschwunden sein wird. Oftmals werden sie aber auch als Baustein auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität beworben.
Viele E-Scooter-Anbieter verkünden, dass sie auf das Klima achten würden und zumindest ein Teil der Mobilitätslösung der Zukunft zu seien. So gibt beispielsweise das seit Kurzem in Konstanz vertretene Unternehmen Superpedestrian, das aus dem Massachusetts Instiute of Technology (MIT) heraus gegründet wurde, an, als Firma besonders klimafreundlich zu agieren. Mit Zeus und Lime sind außerdem zwei weitere Unternehmen in Konstanz vertreten.
Der SÜDKURIER hat das zum Anlass genommen und fünf Mythen zusammengetragen, die sich um die Stadtflitzer ranken. Sind diese wahr? Oder völlig erfunden? Bei diesem Fakten-Check unterstützt uns Experte Henry Martin, der an der ETH Zürich unter anderem zu diesem Thema forscht und eine vielfach beachtete Studie zum Thema E-Scooter-Mobilität herausgegeben hat.

1. E-Roller sind kurzlebig gebaut und haben eine geringe Lebensdauer. Danach sind sie Schrott.
- Das sagt der Anbieter: Jenovan Krishnan von Superpedestrian weiß, dass dies ein Argument der E-Roller-Kritiker ist. Und er versteht auch, warum. „Als das mit den E-Roller-Modellen losging, war das tatsächlich so“, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER. So sei die Langlebigkeit bei den ersten Modellen wirklich nicht sehr hoch gewesen. Doch die Anbieter hätten ziemlich schnell erkannt, wie wichtig die Langlebigkeit der Geräte sei, und daran gearbeitet. Das eigene Unternehmen Superpedestrian, welches nicht in der ersten Welle an E-Scooter-Anbieter dabei war, habe lange am Fahrzeug gearbeitet und „es auf die hohen Anforderungen im Verleihbetrieb angepasst“, so Krishnan.
Dort würde mit den Rollern schroffer umgegangen und sie würden auch mehr genutzt, als im privaten Bereich. „Unsere Fahrzeuge sind bis zu sechs Jahre haltbar“, sagt er. Zusätzlich gebe es ein Programm zu Generalüberholung, bei dem die Fahrzeuge neu lackiert und beispielsweise die Räder ausgetauscht würden. So seien auch die Roller in Konstanz bereits zuvor in anderen Städten genutzt und danach generalüberholt worden.
- Das sagt der Experte: Dass die Langlebigkeit für die Nachhaltigkeit ein essenzieller Punkt ist, weiß auch ETH-Forscher Henry Martin: „Die Lebensdauer ist sehr wichtig für die Nachhaltigkeit.“ Er spricht dabei vor allem den wichtigen Faktor CO2-Emissionen pro gefahrenen Kilometer an: Je mehr gefahrene Kilometer, desto weniger CO2. Er führt aus: „Wenn der Roller vier Jahre statt einem Jahr verwendet wird, werden die Emissionen, beispielsweise für die Produktion, auf einen größeren zeitlichen Rahmen ausgelegt.“
Das Problem in der Anfangszeit der Roller sei tatsächlich gewesen, dass diese billig produziert wurden, schnell kaputt gingen und somit auch einen schlechten CO2-Fußabdruck gehabt hätten. Mittlerweile habe sich dies geändert. Die Scooter seien robuster und hätten eine längere Lebenserwartung. Wichtig wäre laut Martin jedoch auch ein rigoroses Recycling am Ende des Lebenszyklus.
2. Die verwendeten Materialien, vor allem für die Akkus, sind schlecht fürs Klima.
- Das sagt der Experte dazu: Auch dieser Umstand ist laut Henry Martin grundsätzlich richtig, betreffe aber natürlich sämtliche Produkte – vor allem wenn sie mit ähnlichen Materialien hergestellt werden, wie die Scooter. Man denke hierbei an Akkus für E-Autos oder Smartphones. Er sieht das Argument hier nicht als komplett obsolet an.
Allerdings sagt er auch: „Akkus haben beispielsweise eine unglaubliche Entwicklung gemacht. Hier hat sich durch den wissenschaftlichen Fortschritt und die Skalierung viel geändert.“ Denn Akkus würden immer nachhaltiger, ressourcenschonender und effizienter produziert. Ganz sei das Argument jedoch nicht von der Hand zu weisen.
- Das sagt der Anbieter: Jenovan Krishnan von Superpedestrian spricht hier ebenfalls den technischen Fortschritt an. So sei die Akkulebensdauer und auch die Reichweite pro Ladung über die Jahre deutlich verbessert worden. Zudem würde eine ständige Kontrolle des Akkus und ein starkes Batteriemanagement durchgeführt, wodurch die Lebensdauer optimiert werde. Am Ende des Zyklus würden die Akkus überarbeitet und wieder eingesetzt oder recycelt werden.
3. Die Scooter ersetzen eher den Fuß- und Radverkehr als den Autoverkehr.
- Das sagt der Anbieter dazu: Laut Superpedestrian sei diese These so nicht grundsätzlich richtig. Doch natürlich käme das vor. Man verstehe sich aber als „zusätzliches Mobilitätsangebot“ neben anderen, um den Menschen eines von mehreren Angeboten zu geben, sich nachhaltiger, als mit dem Auto zu bewegen. Auch wolle man grundsätzliches Interesse an ähnlichen Angeboten, wie etwa anderen Sharing-Angeboten, schaffen. Damit wolle man es es Bürgern „so attraktiv wie möglich machen, das gesamte Anbot anstatt immer den Pkw zu nutzen.“ Das sei kein Prozess von heute auf morgen, sondern eine langfristige Entwicklung.
- Das sagt der Experte: Henry Martin stellt fest, dass es kompliziert ist. Wissenschaftlich von Bedeutung sei, ob der Roller den Fußweg ersetzt, der klimaneutral wäre, oder eben eine Fahrt mit dem Auto. Im ersten Fall ergebe sich ein Nachhaltigkeitsverlust, im zweiten ein Nachhaltigkeitsgewinn. Wie genau sich diese Verteilung darstelle, hänge maßgeblich vom Nahverkehrskonzept der jeweiligen Stadt, der Autoabhängigkeit der Innenstadt und sehr vielen anderen Faktoren ab. Dieser sei also je nach Stadt und Land sehr unterschiedlich.
4. Sie sind keine nachhaltigen Verkehrsmittel für Mikromobilität, sondern eine Modeerscheinung.
- Das sagt der Anbieter: Bei diesem Punkt sind sich Krishnan und Martin einig, dass das wohl nur die Zeit zeigen könne. Zumindest aktuell verzeichne Superpedestrian eine hohe Nachfrage. Krishnan verweist auch darauf, dass Fernbus-Unternehmen, wie etwa Flixbus, am Anfang ebenfalls als Modeerscheinung abgetan wurden. Mittlerweile seien sie jedoch fester Bestandteil der Mobilität in Deutschland und auch über die Grenzen hinaus. „Mobilität entwickelt sich, das ist ein Prozess“, so Krishnan.
- Das sagt der Experte dazu: Henry Martin stellt grundsätzlich fest, dass „ein leichter Zugang auf eine bunte und vielseitige Mischung von Mobilitätsangeboten“ elementar sei. So sei es mittlerweile normal geworden, sämtliche Wege mit dem Auto zu fahren – also etwa zum Einkaufen, zu Freunden, kurze innerstädtische Strecken, aber auch weite Strecken wie von Konstanz nach Hamburg. „Das Auto ist dabei meistens ineffizient, weil überdimensioniert“, stellt er fest. Das Wichtigste sei deshalb eine „Mischung an Verkehrsangeboten, die auf die jeweiligen Wege optimiert sind“. Welche Rolle die Scooter dabei spielen, sei noch nicht geklärt.
5. E-Roller sind umweltschädlich.
Diese These umschließt die meisten anderen Themenblöcke und ist dementsprechend schwierig mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten. Grundsätzlich gilt jedoch laut Superpedestrian und auch laut Experte Henry Martin, dass über die Nachhaltigkeit von E-Scooter vor allem ihre Lebensdauer entscheidet. Und diese ist, auch da ist man sich einig, in den vergangenen Jahren immer besser geworden.
- Das meint der Anbieter dazu: Krishnan sagt im Hinblick auf die Herstellung der Roller beispielsweise: „Viele der Gerüchte sind alt, die Industrie ist aber jung und verändert sich schnell. Dinge, die vor fünf Jahren gemacht wurden, wurden überholt und verbessert.“
- Das sagt der Experte: Henry Martin ergänzt, dass in der Studie, an der er beteiligt war, zwar unterm Strich herauskam, dass E-Roller umweltschädlich sind. Jedoch macht er auch klar, dass die Studie nur mit den damals genutzten Werten für CO2-Emissionen pro gefahrenen Kilometer, in dem damaligen Setting, Zeitraum, an jenem Ort (Zürich) usw. jenes Ergebnis geliefert hat. „Es braucht neue Studien, die die Zahlen neu berechnen“, so Martin. „Jetzt würden die Roller wahrscheinlich besser aussehen.“ Dieses Bild könne sich in Zukunft auch noch weiter verändern.